© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  38/09 11. September 2009

Im Namen des Täters
Was rechte Mörder denken
Martin Lichtmesz

Seit einigen Monaten kursiert in rechtskonservativen Kreisen ein obskures Büchlein mit dem Titel „Bauchschmerzen“. Der Autor Wolfgang Gottschalk ist laut Klappentext Gymnasiallehrer und „Initiator zahlreicher Jugendprojekte für Integration und gegen Fremdenfeindlichkeit.“

In Form eines Dialogs zwischen einem Gefängnispfarrer und einem in Untersuchungshaft einsitzenden Mörder, der eine ganze türkische Familie umgebracht hat, erzählt Gottschalk die Genese der Tat und des Täters. Dieser ist ein hochintelligenter „Steppenwolf“-Charakter, den traumatische Erfahrungen mit Ausländergewalt und das Leiden an einer von Schuldkomplexen zerfressenen Nation schließlich auf die radikale und pathologische Bahn führen. Der Täter wird zwar nicht zum Neonazi, dafür liest er Jünger, Schmitt und Mohler und hat aparterweise sowohl die JUNGE FREIHEIT als auch die Sezession abonniert.

Was nun nach pädagogischer Diffamierungs-Literatur klingt, erweist sich als komplexer Prosatext, der dem Leser gezielt Rätselraten aufgibt. Der Gefängnispfarrer wirkt wie die klassische Karikatur des bundesrepublikanischen Gutmenschen, voll mit zivilreligiösem Eifer und „menschelndem“ Pathos. Der Häftling ist schlagfertig, ironisch und sattelfest in seiner Materie, was den Leser schnell für seine gegen jede politische Korrektheit gebürstete Einstellung einnimmt. Der Pfarrer bemüht sich nach Kräften, die Position des Täters zu psychologisieren, um ihm seine fehlende „Menschlichkeit“ nachzuweisen. Dieser ist in der Tat sozial isoliert, beharrt jedoch auf den Fakten der Außenwelt und zieht gar das Resümee: „Wenn in unserer Gesellschaft jeder, der mit seinem gesunden Menschenverstand die linken Lügen und Ideologien durchschaut (...) gleich zum gefährlichen Rechtsextremisten erklärt wird – dann muß sich auch niemand wundern, wenn hin und wieder tatsächlich einer dazu wird.“ Selbst die finale Bluttat folgt einer gewissen inneren Logik, die der Autor mit einem Hauch von Patricia Highsmith darzustellen vermag.

Nach der Lektüre fällt es schwer, sich vorzustellen, daß sich der vermutlich pseudonyme Gottschalk im realen Leben mit der Position des Pfarrers identifiziert, als wollte er den Gegnern der Linken sagen: „Ihr habt die besseren Argumente, dafür haben wir die Gefühle und das Herz am richtigen (nicht rechten) Fleck.“ Oder aber das Buch hat eine verkappt subversive Tendenz, die angetan ist, sowohl den Rechten wie den Linken, vor allem aber den Linken Kopfschmerzen zu bereiten.

Wolfgang Gottschalk: Bauchschmerzen.Roman. Pro Business Verlag, Berlin 2009, gebunden, 210 Seiten, 9,90 Euro

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