© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  38/09 11. September 2009

Michel unter der weißen Kappe
Bis 1955 rekrutierte die französische Fremdenlegion hemmungslos in ihrer Besatzungszone – zum Verdruß bundesdeutscher Politiker
Vincenz Oertle

Was bist du eigentlich? Nichts   eine Nummer. Wenn du krepierst, streicht man die Nummer. Wenn du nach Hause gehst, verbittert, zerbrochen, kommt ein anderer an deine Stelle. Man hat dich nicht gerufen. Du hast kein Vaterland, keine Heimat. Du kämpfst für Geld, du stirbst für Geld, doch zum Leben reicht es nicht. Wer sieht dich an? Wer spricht mit dir? Die Dirne im Bordell, der Schuhputzerboy an der Ecke, der Senegalese, Sklave wie du. Und wenn dich ein Offizier fragt, warum bist du gekommen, sagst du nur: Zum Sterben.“ So die Bilanz des Ex-Legionärs Peter Schuft am 11. März 1962 in einem deutschlandweit verbreiteten Presseinterview.

Zu Tausenden hatten sich Deutsche nach dem Zweiten Weltkrieg in der französischen Fremdenlegion verdingt. Deutsch dominiert waren auch die 1948 formierten und sechs Jahre später in Dien Bien Phu vernichteten Eliteformationen: das 1er und 2e Bataillon Etranger de Parachutistes (BEP). Allein bis 1954 hatten etwa 35.000 Mann die Werbestellen passiert: Arbeits- und Obdachlose, Sowjetzonen-Flüchtlinge, Vertriebene aus den Ostprovinzen, Vereinsamte und Entwurzelte. Ein Schweizer Algerien-, Tunesien- und Indochina-Veteran vom 3e Régiment Etranger d’Infanterie (REI) namens „Erik“ (Familienname anonymisiert) erinnerte sich an das Frühjahr 1946 in Sidi-Bel-Abbès in einem Tatsachenbericht: „In die Compagnie de passage 3, in die ich eingeteilt war, kamen pro Woche tausend deutsche Kriegsgefangene. Zum Teil waren diese Soldaten in bedenklichem Zustand. Der Dienst in der Legion wurde ihnen in allen schönen Farben vorgemalt, so daß sie massenweise ihre Unterschrift gaben.“

Der kriegsgefangene SS-Schütze Walter Hefti (geboren 30. August 1925) aus Zürich hatte sich im Spätsommer 1945 im US-Camp Bolbec bei Le Havre folgende Bekanntmachung notiert: „Das Oberste Hauptquartier gibt folgendes bekannt: Die Kriegsgefangenen deutscher Nationalität, die als Freiwillige in die französische Fremdenlegion eintreten wollen, können jederzeit an die französischen Behörden übergeben werden.“ Die Legion hatte die während des Zweiten Weltkriegs gelichteten Reihen dringendst zu komplettieren.

Das „Legionärsunwesen“ wurde in der 1949 gegründeten Bundesrepublik Deutschland zum ärgerlichen Dauerbrenner, ebenso in der Schweiz. Trotz heftiger Debatten, die sich bis ins Parlament fortsetzten, kam es allerdings nie zu gemeinsamen Aktionen. Ganz im Gegenteil. Auf allerhöchster Ebene in Bonn und in Bern befleißigte man sich Frankreich gegenüber größter Zurückhaltung. Galt es doch die gerade erst zaghaft aufblühende deutsch-französische Freundschaft ebenso pfleglich zu behandeln wie die traditionell sehr engen Beziehungen der Eidgenossenschaft zu ihrem westlichen Nachbarn. Im Wissen aber auch, daß man sich in Sachen Fremdenlegion an Paris die Zähne ausbiß. Zudem saß der erst 1955 voll souveräne westdeutsche Staat gegenüber der Besatzungsmacht Frankreich ohnehin am kürzeren Hebel. Am 23. April 1959 zitieren die Luzerner Neuesten Nachrichten um Anonymität bittende Bonner Abgeordnete, die „französische Empfindlichkeiten“ beklagen, die in der BRD „mit Glacéhandschuhen“ angefaßt würden. Regierung und Parlament befänden „sich in einem peinlichen Dilemma zwischen außenpolitischen Rücksichten“ und „wachsender Empörung im Lande und humanitären Gesichtspunkten“, insbesondere bei „deutschen Minderjährigen in der Fremdenlegion“.

In den 1950er Jahren, in Indochina und auch noch in Algerien, hatten die Deutschen das Rückgrat samt Unteroffiziers-Reservoir der damals um die zehn Regimenter zählenden Legion gebildet. Mit eingeschlossen Österreicher und Deutschschweizer machte das deutschsprachige Element sogar bis zu sechzig Prozent des Bestandes aus, der 1953/54, auf dem Höhepunkt des Krieges in Fernost, etwa 36.000 Mann betrug. Umgangston und einfache Kommandosprache war Deutsch, von Sidi-Bel-Abbès bis Hanoi ertönten Wehrmachtslieder wie „Rot scheint die Sonne“, das sogar zum Parademarsch des nach dem Generalsputsch vom 21. April 1961 in Algerien zwangsliquidierten 1er Régiment Etranger de Parachutistes (REP) avancierte. „Es steht eine Mühle im Schwarzwäldertal“ oder „Ich hatt’ einen Kameraden“ zählen heute noch zum Repertoire der Legion.

Natürlich hatte die Legion auch gegenüber ehemaligen Angehörigen der kampferprobten Waffen-SS keine Berührungsängste. Ein Angehöriger des SS-Fallschirmjäger-Bataillons 500, dann des 1er BEP, erinnerte sich: „Die Vorgesetzten waren angetan von dieser ehemaligen deutschen Elitetruppe. Es wurde betont, daß in der Legion die gleiche Kameradschaft herrsche wie in der Waffen-SS. Politik war kein Thema.“ Auch ehemalige ausländische SS-Freiwillige waren in der Legion anzutreffen: Esten und Letten, Wallonen, Flamen und Niederländer. Selbst im befreiten Frankreich verurteilte Kollaborateure, Angehörige der 33. Waffen-Grenadier-Division der SS „Charlemagne“. Wie der Schweizer Ex-Caporal und Indochina-Veteran Hans Helbling (geboren 12. Januar 1927, Matricule 70514) berichtete, setzte sich die Section d’intervention des 1er Bataillon des 12e REI, eine etwa dreißig Mann starke Kommandotruppe, nebst seiner Person wie folgt zusammen: Ein Spanier, der Rest Deutsche, und alle unter der Führung eines ehemaligen französischen SS-Freiwilligen.

Die Rekrutierung für die Fremdenlegion beschäftigte schließlich am 8. Dezember 1954 auch den Deutschen Bundestag. „Nach monatelangem Liegenlassen“ – hinter dem Versäumnis stand einzig jene diplomatische Zurückhaltung gegenüber Frankreich – hatte sich das Parlament mit einer interfraktionellen Großen Anfrage und einem Antrag der FDP zu beschäftigen gehabt. Zumal die Legion in der französischen Besatzungszone (Rheinland-Pfalz, Baden und Württemberg-Hohenzollern) – das Saargebiet war sogar Protektorat –  angeblich Monat für Monat „drei kampfstarke Kompanien“ anheuerte.

Von „Sklavenmarkt“ war die Rede gewesen, von „Kulturschande“, und die Bundesregierung mußte sich „windelweiche Deklamationen“ vorwerfen lassen. In der Bundesrepublik war man, so der Bundestagsabgeordnete Walter Kutschera (Gesamtdeutscher Block/Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten), erst durch die Katastrophe von Dien Bien Phu „mit dem Kopf auf das Legionärsproblem gestoßen worden“.

Die Kesselschlacht in der nordvietnamesischen Provinz Tonkin hatte Anfang Mai 1954 mit einem überwältigenden Sieg der kommunistischen Vietminh geendet. „Was noch an Bunkern, Grabenstellungen, Stacheldrahtverhauen und Minenfeldern vorhanden war, verwandelte sich im pausenlosen Salvenfeuer in ein wüstes Trümmerfeld. Die ausgemergelten Fremdenlegionäre, in der Mehrzahl Deutsche, die afrikanischen Kolonialtruppen und national-vietnamesischen Verbände wehrten sich verzweifelt. Ein mörderisches Schlachten mit Spaten, Buschmessern und Pistolen.“ So das Hamburger Abendblatt, das der Sprecher der Deutschen Partei und Bundestagsabgeordnete Herbert Schneider zitierte.

Anders als in den unmittelbaren Nachkriegsjahren waren 1954 in der BRD zwar keine Werber mehr festzustellen gewesen. Der strafrechtlich nicht relevante Eintritt in die Fremdenlegion wurde aber durch die französische Militärpräsenz und die Sonderrechte der Besatzungsmacht nach wie vor massiv begünstigt. Als Anlaufstellen dienten die der Einflußnahme der deutschen Polizei entzogenen Garnisonen und Gendarmerieposten. Schwerpunkte waren Rastatt, Freiburg, Offenburg, Worms, Bingen, Trier, Ludwigshafen, Mainz, Kaiserslautern und Landau. Im badischen Offenburg befand sich sogar das Centre de Recrutement (CRLE).

Seitens der FDP hatte sich im Bundestag Erich Mende, der spätere Vizekanzler und Bundesminister, zu Wort gemeldet. Für den mit dem Ritterkreuz des Eisernen Kreuzes dekorierten ehemaligen Regimentsführer stand nicht „die hundertjährige Tradition und das Ansehen der französischen Fremdenlegion als einer Elitetruppe“ zur Debatte. Vielmehr die betrübliche Tatsache, daß „Einrichtungen und Methoden einer längst überlebten nationalstaatlichen Kolonialpolitik“ dem „Geist europäischer Zusammenarbeit“ zuwiderliefen. Gemeint war die Rekrutierung „von Bürgern aus den Mitgliedstaaten der Westeuropäischen Union“. Wozu Frankreich, so Mende, „seine Stellung als Besatzungsmacht mißbrauche“. In den folgenden Jahren löste sich das Legionärsproblem dann aber fast von selbst. Das neue westdeutsche Staatswesen hatte Stabilität gewonnen, das Wirtschaftswunder Fuß gefaßt, und es war Vollbeschäftigung in Sicht.

Auch war mit der wiedergewonnenen Wehrhoheit 1955 die Bundeswehr aus der Taufe gehoben worden. Was die französische Fremdenlegion – heute ein im Auftrag von Uno, Nato und EU weltweit im Einsatz stehendes Interventionskorps erster Qualität – veranlaßte, das CRLE nach Straßburg hinter die französische Grenze zu verlegen und auf dem Territorium des Bündnispartners keine Rekrutierungen mehr vorzunehmen.

Vincenz Oertle widmet sich in seinem Buch „Endstation Algerien – Schweizer Fremdenlegionäre“ (Verlag Volksfreund, Appenzell 2008, gebunden, 352 Seiten, Abbildungen, 24,50 Euro) in einem Kapitel dem Schicksal von Deutschen in der französischen Fremdenlegion nach 1945.

Fotos: Funktrupp der Fremdenlegion in Algerien Ende 1950er Jahre: Windelweiche Deklamationen gegenüber den Franzosen, Dien Bien Phu 1954, der Viet Minh fordert deutsche Fremdenlegionäre zum Überlaufen auf: Mörderisches Schlachten

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen