© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  38/09 11. September 2009

Die Yes Men: Zwei Polit-Aktivisten versuchen die Welt zu verändern
Das System bloßstellen
Silke Lührmann

Am 3. Dezember 1984 traten in einer Pestizidfabrik der US-Firma Union Carbide im indischen Bhopal geschätzte 42 Tonnen Giftgase aus. Mehrere tausend Menschen starben, bis zu 200.000 erlitten bleibende Schäden. Die Panne gilt als größte Industriekatastrophe der Geschichte, die beharrliche Weigerung von Union Carbide, die Opfer wenigstens finanziell zu entschädigen, als humanitärer Skandal.

Nachdem Union Carbide 2001 vom Megakonzern Dow Chemical geschluckt wurde, konnte die BBC zum zwanzigsten Jahrestag des Unglücks mit einer Sensationsnachricht aufwarten: Just habe ein Dow-Sprecher dem renommierten Sender im Interview erklärt, der Chemieriese wolle sich nun endlich des vergifteten Erbes würdig erweisen, die volle Verantwortung übernehmen und den Betroffenen eine Kompensation in Höhe von zwölf Milliarden US-Dollar auszahlen. Die Weltöffentlichkeit war verblüfft, die Dow-Aktie stürzte steil ab.

Zu schön, um wahr zu sein, dachten die Skeptiker unter den Opfern – und sollten recht behalten. Hinter der Falschmeldung steckte ein besonders verwegener Coup eines weltweiten Netzwerks, das seit Jahren mit spektakulären Aktionen die Mißstände des global entfesselten Kapitalismus anprangert.

Die Yes Men, wie sie sich in ironischer Anspielung auf die Claqueure der corporate culture nennen, treten nicht als vermummte Krawallmacher, sondern als seriöse Anzugträger auf und bekämpfen den Gegner auf dessen ureigenem Territorium, in klimatisierten Führungsetagen statt in der Hitze des Straßengefechts: Spaßguerilleros mit einem bitterernsten Anliegen. Dessen Vermittlung freilich scheitert immer wieder daran, daß das System alles, was sie sich zu seiner Bloßstellung ausdenken, an blankem Zynismus und schierer Absurdität übertrifft.

Nach „The Yes Men“ (2003) ist „Die Yes Men regeln die Welt“ (Arte, 15. September, 21 Uhr) der zweite Film über die Aktivitäten von Mike Bonanno und Andy Bichlbaum, mit bürgerlichen Namen Igor Vamos und Jacques Servin. Für die MTV-Generation bereiten sie ihre Kampagnen so polemisch und populistisch wie Michael-Moore-Filme auf. Das hat ohne Zweifel Unterhaltungswert, übertönt aber ein wenig die helle Stimme der Vernunft, die aus ihrem schlichten Argument spricht: Wenn es den Menschen kraft ihrer Intelligenz gelungen ist, die Welt derart zugrunde zu richten, warum setzen sie nun nicht dieselben geistigen Fähigkeiten ein, um sie zu retten?

Als Vertreter der fiktiven Tochtergesellschaft „Dow Ethical“ erhalten Bonanno und Bichlbaum auf einem Wirtschaftsforum frenetischen Beifall für die Präsentation eines neuen Instruments zur Risikokalkulation, das den Wert eines indischen Menschenlebens gegen den vielfach höheren eines amerikanischen aufrechnet. Ihr goldenes Skelett „Gilda“, Sinnbild des mörderischen Profits, den gewitzte Unternehmer aus tausendfachem Leid zu schlagen wissen, erweist sich als Publikumsliebling.

Im Competitive Enterprise Institute, wo man sich damit brüstet, den Beitritt der USA zum Kyoto-Protokoll verhindert zu haben, schwärmen die einflußreichen Jünger des Liberalismus-Gurus Milton Friedman vor laufender Kamera von den Vorteilen des Klimawandels („Wärmer bedeutet angenehmer“) und den wundersamen Selbstheilungskräften des Markts.

Auch der „Überlebensball“, ein innovatives Produkt aus dem berühmt-berüchtigten Hause Halliburton, das die beiden Aktivisten auf einer Konferenz der Versicherungsindustrie vorstellen, stößt auf großes Interesse. Einen Nerv treffen sie erst, als sie zu noch drastischeren Mitteln greifen und auf einem anderen Unternehmerkongreß einen makabren „Biokraftstoff“ präsentieren.

Mal halten Bonanno und Bichlbaum der häßlichen Fratze des Neoliberalismus den Spiegel vor, mal versuchen sie ihr ins Gewissen zu reden. Auf einer Konferenz zum Wiederaufbau von New Orleans geben sie sich als Regierungsvertreter aus, die mit froher Kunde aus Washington angereist sind: Schluß mit der staatlichen Enteignung der Armen zugunsten finanzkräftiger Investoren!

Alles andere als die Ulknudeln, als die sie in den Mainstream-Medien immer wieder dargestellt werden, wenn ihre Aktionen auffliegen, überzeugen der Professor für Medienkunst und der Sci-fi-Schriftsteller nicht nur in ihren diversen Maskierungen als Anwälte des Teufels, sondern erst recht als Fürsprecher einer besseren Welt.     

Fotos: Yes Men im Überlebensball: Innovation von Halliburton?, Auftritt bei der BBC: Endlich Entschädigung  

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