© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  39/09 18. September 2009

So verkommt die Demokratie
Gleichheit statt Freiheit: Wie weiteren Erfolgen der Linkspartei der Boden bereitet wird
Thorsten Hinz

Der politische Linksruck in Deutschland umfaßt mehr als den Antifaschismus, den „Kampf gegen Rechts“, die Erfolge der Linkspartei und den Humanitarismus, der die Unterscheidung zwischen In- und Ausländern verbietet. Die Sozialromantik, die Staatsgläubigkeit und ein einklagbares Anspruchsdenken kommen hinzu. Der Linksruck erweist sich als ein Sieg der Gleichheitsideologie.

Die Französische Revolution trat unter der Formel „Freiheit – Gleichheit – Brüderlichkeit“ an. Sofort stellte das Gleichheitsstreben die Freiheit in Frage. In der Massen- und Mediendemokratie triumphiert der Gleichheits- über den Freiheitsgedanken und wird die Brüderlichkeit zum kollektivistischen Zwang. Für die Verschränkung der genannten Elemente und Tendenzen nur ein Beispiel: Der Antifaschismus ist in dem Maße unwiderstehlich geworden, wie der Faschismus als äußerste Form institutionalisierter Ungleichheit verabscheut wird. Auch ehedem bürgerliche Parteien müssen diesem neuen Ersatzgott huldigen. Das gilt keineswegs nur für Deutschland. Doch wie so oft in der jüngeren Geschichte bietet Deutschland dafür die idealtypische Anschauung.

Der Staatsrechtler Ernst Forsthoff sprach mit Blick auf die Bundesrepublik von einer „staatsideologischen Unterbilanz“. Sie war in der Art und Weise, wie ihre staatliche Existenz begann, bereits angelegt. Verfassungsgebungen sind in der Regel „durch Bewegungen von großer ideeller und emotionaler Breite und Tiefe“ begleitet bzw. sind deren Ergebnis. Zu denken ist an nationale, freiheitliche, antifeudale, bürgerlich-liberale Bewegungen oder an das Streben nach staatlicher Unabhängigkeit. Nichts davon trifft auf die Bundesrepublik zu, deren Grundgesetz hinter verschlossenen Türen formuliert wurde. Die Kraft des nationalen Gedankens war nach der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs gebrochen. Daher konnte – parallel zum Wirtschaftswunder – der soziale Gedanke zur „stärksten innenpolitischen Potenz“ werden. Er determiniert heute die Politik und in gewisser Weise auch den Rechtsstaat.

Die rechtsstaatlichen Gewährleistungen sind normalerweise Ausgrenzungen gegenüber dem Staat: Die Freiheit der Person, die Glaubens-, Meinungs-, Vereins-, Versammlungsfreiheit, die Eigentumsgarantie oder das Erbrecht sind Grenzziehungen, vor denen der Staat haltmachen muß. Dagegen sind die sozialstaatlichen Gewährleistungen auf Teilhabe aus. „Die Teilhabe als Recht und Anspruch meint einen leistenden, zuteilenden, verteilenden, teilenden Staat, der den einzelnen nicht seiner gesellschaftlichen Situation überläßt, sondern ihm durch Gewährungen zu Hilfe kommt.“ Diese Teilhaberechte haben keinen vorab normierbaren, konstanten Umfang, sondern sie unterliegen einer Dynamik. Es entspricht der menschlichen Natur, daß einmal geweckte und befriedigte Begehrlichkeiten schnell als Normalzustand empfunden werden und neue Begehrlichkeiten wecken, die durch den weiteren Ausbau des Sozialstaats gestillt werden müssen.

Der Preis, den der Staat dafür verlangt, ist bekannt: Er schröpft die Steuerzahler, nimmt dem Bürger Entscheidungsfreiheiten, zwingt ihn in die Abhängigkeit, steuert und normiert das individuelle Verhalten und das Privatleben, zieht die Freiheitsgrenzen immer enger, verstärkt die Kontrollen. Ideologisch überwölbt wird diese Entwicklung von der Formel: Gerechtigkeit! Und als gerecht gilt, was der Gleichheit dient und den Leistungsträger vom -empfänger allmählich ununterscheidbar macht. Der jetzt aus dem Bundestag ausscheidende CDU-Politiker Friedrich Merz hat dazu lapidar festgestellt: „Rein rechnerisch betrachtet kann man Wahlen heute mit den Arbeitnehmern und den Unternehmern allein nicht mehr gewinnen“, aber gegen die Transferempfänger „sehr wohl verlieren“.

Auch wer aktuell Schadenfreude über den tiefen Fall der SPD empfindet, dem sollte es zu denken geben, daß die Sozialdemokraten nicht für ihre Fehler, sondern ausgerechnet für das abgestraft werden, was sie – wenigstens tendenziell – unter Kanzler Schröder richtig gemacht haben. Hinter der „Agenda 2010“ stand der Gedanke, die Sozialabgaben und die Etablierung von Sozialhilfedynastien einzudämmen. Gewiß, vieles wirkte planlos, improvisiert, die Durchführung war schlampig, und die Gleichstellung von Arbeitnehmern, die jahrzehntelang in die Sozialkassen eingezahlt hatten, mit Ausbildungs- und Arbeitsunwilligen war und ist ein Skandal. Andererseits fällt den Kritikern wieder nichts anderes ein als die Ausweitung des Sozialstaates und verstärkte Umverteilung. Was zu Zeiten Forsthoffs bereits die „stärkste innenpolitische Potenz“ war, hat sich seitdem verabsolutiert und wird von den Medien verstärkt, so daß kein Ankommen dagegen mehr ist. Damit ist dem weiteren Erfolg der Linkspartei, die ganz auf die egalitäre Karte setzt, der Boden bereitet, und Gregor Gysi kann die Sozialdemokraten höhnisch auffordern, sie „müssen ein paar Kilometer auf uns zugehen“.

Ursprünglich hatte das Bürgertum dem Monarchen das Wahlrecht abgetrotzt, weil es als größter Steuerzahler über die Verwendung der Gelder mitbestimmen wollte. Mit der Massendemokratie geht die Entwicklung dahin, daß auch diejenigen, die niemals eine Arbeits- oder anderweitige gesellschaftlich wertvolle Leistung erbracht haben und erbringen werden, genausoviel Stimmrecht besitzen wie diejenigen, die ihre verbriefte Erwartungshaltung finanzieren. Dieser Umstand ist geeignet, das von Friedrich Wilhelm IV. 1849 eingeführte preußische Dreiklassenwahlrecht, welches das Stimmengewicht an die Steuerkraft koppelte, neu zu bewerten, doch natürlich ist seine Wiedereinführung unmöglich.

Ein Kinderwahlrecht, das von den Eltern treuhänderisch wahrgenommen würde, stellt in gewisser Weise eine Modifizierung dieses Modells dar, doch seine Einführung hätte einen gegenteiligen Effekt. Nicht diejenigen würden gestärkt werden, die verantwortlich und langfristig in der Generationenabfolge denken, sondern ausgerechnet jene Dynastien von Transferempfängern, die an der eigenen, kurzfristigen Einnahmevermehrung interessiert sind und die statt der Beitragszahler die Beitragsnehmer von morgen heranziehen.

So oder so entwickelt sich nicht nur das Parteiensystem, weil es unvollständig ist und wichtige Fragen negiert und tabuisiert, zur Farce und Fiktion, sondern die hierzulande real existierende Demokratie insgesamt  – mit der Aussicht zu kollabieren. Und danach? Nicht weniger wahrscheinlich als die Herrschaft einer verantwortlichen Elite ist die Diktatur der Gleichheitsfanatiker, die alle politischen Formalien und rechtsstaatlichen Schranken wegräumen, auf daß die Faulen sich hemmungslos bei den Fleißigen bedienen können.

Foto: Gleichheitsideologie: Die Faulen, die niemals eine gesellschaftlich wertvolle Leistung vollbracht haben, können sich bei den Fleißigen bedienen

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