© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  40/09 25. September 2009

„Das ist der blanke Haß“
Konservative müssen auf der Straße mit allem rechnen. Am Samstag protestieren 1.000 Lebensschützer in Berlin
Moritz Schwarz

Herr Libner, in Berlin wird derzeit viel über die zunehmende linksextreme Gewalt diskutiert. Am Samstag wollen Sie sich mit Ihrem „Marsch für das Leben“ tatsächlich in die Höhle des Löwen wagen?

Libner: Auf jeden Fall, obwohl wir wissen, daß bereits gegen uns mobilisiert wird.

Was haben Sie zu erwarten?

Libner: Wir haben im letzten Jahr erstmals eine größere Gegendemonstration erlebt. Wer sich das nun als eine gesittete, bürgerliche Veranstaltung im Sinne von Demokratie und Toleranz, also als politisches Pendant zu unserem „Marsch für das Leben“ vorstellt, der irrt leider. Wir waren entsetzt von dem, was uns da entgegengeschlagen ist.

Nämlich?

Libner: Das war der blanke Haß. Es ging den Gegendemonstranten ganz offensichtlich nicht darum, unserer Position die ihre sachlich gegenüberzustellen, sondern darum, uns zu beleidigen, zu demütigen und möglichst zu vertreiben. Das Ganze war extrem aggressiv. Man versuchte, unsere weißen Kreuze zu stehlen und zu zerstören, einzelne unserer Marschteilnehmer wurden überfallartig aus nächster Nähe aus Leibeskräften angeschrien, quasi Schallattacken. Störer begleiteten unseren Zug oder lauerten uns immer wieder auf, um uns zu beschimpfen. Mit hämischer Freude an der Unerträglichkeit des Gesagten für die Ohren von Christen wurde in Sprechchören Gott geschmäht, Christen als degenerierte Menschen, Religion als Geisteskrankheit dargestellt. Politisch sinnfreie Haßgesänge wie „Fickt die Kirche!“ oder „Föten zu Pflugscharen!“ und lesbische Störerinnen, die sich immer wieder vor unseren Augen schamlos entblößten und küßten, zeigten, um was es eigentlich ging. Immerhin, es gab nicht den Versuch, uns körperlich anzugreifen. Ich weiß aber nicht, was gewesen wäre, wenn uns die Polizei nicht so zur Seite gestanden hätte.

In den USA wurde jüngst ein Lebensschützer erschossen.

Libner: Soweit ist es bei uns zum Glück noch nicht. Mir ist bis heute kein Fall bekannt, bei dem in Deutschland ein Lebensschützer Opfer solcher Gewalt geworden wäre. Allerdings, Christen wehren sich ja auch nicht körperlich. Das läuft dann zum Beispiel so ab wie unlängst in Marburg, wo der Info-stand einer Lebensrechtgruppe vor deren Augen von Unbekannten einfach abgebaut und mitgenommen wurde.

Warum dieser Haß?

Libner: Ich denke, es gibt zwei Gründe. In Deutschland werden laut offiziellen Zahlen pro Jahr etwa sage und schreibe 115.000 Kinder vorgeburtlich getötet. Wir Lebensschützer halten dem natürlich den Spiegel vor, so werden die Abtreibungsbefürworter immer wieder damit konfrontiert, daß es sich um die Tötung von ungeborenen Kindern handelt. Das ist im Grunde wohl auch für sie schwer zu ertragen. Die Wut richtet sich dann gegen den Überbringer der Fakten, gegen den, der einen immer wieder an das eigene Vergehen erinnert. Ihr Haß ist wohl Ausdruck eines schlechten Gewissens. Insofern ist das auch ein gutes Zeichen. Aber ihr Haß ist auch ein Mittel zum Zweck: Man will die Lebensschützer auf diese Weise derart einschüchtern, damit sie aufgeben und von der Straße und möglichst auch aus der öffentlichen Debatte verschwinden.

Also ist es nicht nur ein Problem von Christen?

Libner: Keineswegs. Der Lebensschutz ist doch nur eines von vielen nicht-linken Themen. Und wenn man dafür auf die Straße geht, kann es zu schlimmsten Angriffen kommen. Das Fatale aber ist, daß viele dieser bürgerlichen, friedfertigen Menschen, die der Demokratie und ihrem Versprechen der Meinungsfreiheit vertrauen, nach solch schlechten Erfahrungen frustriert aufgeben. An den Parolen der Gegenseite wie „Abtreiben gegen Deutschland!“, auf der oben bereits genannten Gegenveranstaltung im letzten Jahr, kann man erkennen, wie fest diese Leute in der linksextremen Szene verwurzelt sind. Denn hier zum Beispiel verbindet sich auf verräterische Weise der Haß auf die Lebensschützer mit dem für Linksextremisten typischen pathologischen Haß auf Deutschland. Und wer ihre Internetseiten besucht, wird auch darüber belehrt, wie der Lebensschutz angeblich in Verbindung mit dem „repressiven“ Gesellschaftssystem der „BRD“ steht, das es zu überwinden gelte. Im übrigen: Lebensschutz ist nicht ein Sonderinteresse von Christen. Lebensrecht ist Menschenrecht! Die Würde des Menschen stellt eine für alle verpflichtende Maxime dar. Schauen Sie ins Grundgesetz, das das menschliche Leben ausdrücklich an die Spitze unserer Werteordnung stellt.

Was befürchten Sie nun Samstag konkret?

Libner: Diesmal sind gleich zwei Gegendemonstrationen angemeldet. Eine davon unter dem unverblümten Motto „1.000 Kreuze in die Spree!“ Da können Sie sich ja vorstellen, was auf uns zukommt! Einer meiner Kollegen hat im Netz auch schon die Zuspitzung „Christen in die Spree“ gefunden – so schnell geht das, wenn an der Spirale der Militanz gedreht wird.

Inzwischen können Sie nur noch mit erheblichem Polizeischutz demonstrieren.

Libner: Wir sind natürlich froh, daß die Polizei da ist, aber andererseits ist diese Notwendigkeit schon ein Sieg für die andere Seite, denn dieses Erscheinungsbild entfernt uns natürlich vom Bürger. Wir bauen deshalb darauf, daß die Bürger den Unterschied bemerken zwischen ruhigen, friedlichen Christen und krakeelenden Störern.

Wenn Sie erst die Polizei rufen müssen, hat dann nicht die Gesellschaft versagt?

Libner: Im Grunde ja, denn die überwiegende Mehrheit der Gesellschaft teilt doch die extremistischen Parolen dieser Linksradikalen nicht im mindesten. Dennoch können sich diese Leute ungehindert auf der Straße austoben. Beim „Kampf gegen Rechts“ bilden sich sofort breite Bündnisse. Linksextremisten aber läßt die Gesellschaft gewähren. Deshalb ist unser Marsch nicht nur eine Demonstration für das Leben, sondern auch ein Zeichen, daß wir uns nicht unserer Bürger- und Freiheitsrechte berauben lassen. Dazu bedarf es eben Zivilcourage!

Allerdings geht es nicht nur um die Straße.

Libner: Nein, denken Sie nur – als ein Beispiel von vielen – an den ZDF-Beitrag der „Frontal 21“-Redaktion vom 4. August, der die unlängst im Jemen entführten und ermordeten christlichen Missionare in die Nähe islamistischer Selbstmordattentäter gerückt hat. Immerhin ermittelt inzwischen die Staatsanwaltschaft Mainz deshalb wegen Volksverhetzung gegen das ZDF. Man muß sich vergegenwärtigen, wie weit solche Haltungen schon ins etablierte Spektrum hineinreichen. So hat zum Beispiel bei der genannten letztjährigen Gegendemonstration die Vorsitzende von Pro Familia gesprochen.

Ihre Vorgängerin wollte damals gegenüber dieser Zeitung noch nicht von einem Skandal sprechen.

Libner: Pro Familia ist eine Organisation, die zahlreiche Schwangerenberatungsstellen unterhält, an vielen Schulen präsent ist und die von öffentlichen Zuschüssen lebt. Und deren Chefin, Gisela Notz, spricht auf einer linksextremen Demo neben Transparenten wie „Abtreiben gegen Deutschland“!

Pro Familia ist finanziell auch von CDU-geführten Landesregierungen abhängig.

Libner: Sowie von der Bundesregierung, ja. Und man muß dabei bedenken, daß Pro Familia mit 6.000 Mitgliedern keine Großorganisation ist, sondern „groß“ erst durch die reichlichen öffentlichen Mittel wird.

Dennoch ruft die CDU Pro Familia für solche Entgleisungen nicht einmal zur Ordnung.

Libner: Alle Versuche unsererseits, dafür bei der CDU ein Problembewußtsein zu schaffen, sind schon vor Jahren im Sande verlaufen. Dabei ist der eigentliche Skandal in Sachen Pro Familia noch nicht einmal ein solcher Auftritt, sondern: Was ist denn von Pro Familia in der Schwangerschaftskonfliktberatung zu erwarten, wenn die Bundesvorsitzende gegen die sogenannte Zwangsberatung von Schwangeren polemisiert, aber ihre Organisation selbst Teil des staatlichen Beratungssystems ist und die öffentlichen Gelder dafür kassiert? Kann man da erwarten, daß schwangeren Frauen wirklich geholfen wird? Keine Frau treibt doch zum Spaß ab. Hinter jedem Wunsch nach Abtreibung stecken Probleme. Das bedeutet, Beratung muß darauf abzielen, diese Probleme gemeinsam mit der Schwangeren zu lösen, denn in dem Moment, wo sie gelöst sind, ist auch das Leben des Kindes gerettet. So stelle ich mir wahre Hilfe für schwangere Frauen vor. Sobald es aber bei der Beratung im Grunde nur um das Verteilen von Abtreibungsscheinen geht, ist der Weg zum Töten des Kindes vorgegeben. Das ist nicht nur ethisch verwerflich, sondern auch gesellschaftlich verheerend.

Ab diesem Jahr heißt der seit 2002 veranstaltete „1.000 Kreuze für das Leben“-Marsch nur noch „Marsch für das Leben“. Warum?

Libner: Wir wollen damit zeigen, daß wir Teil der weltweiten Pro-Life-Bewegung sind. Die Pro Life-Initiative in den USA gehört sicher zu den größten und erfolgreichsten. Aber Europa braucht sich da nicht zu verstecken. Den irischen und den polnischen Pro-Life-Gruppen ist es ganz wesentlich zu verdanken, daß wir eine frauenfreundliche und lebensbejahende Gesetzgebung in diesen Ländern haben. Die dortigen Pro-Life-Märsche gehören dazu. Dementsprechend haben wir nun die zentrale Demonstration des Bundesverbandes Lebensrecht, der Dachorganisation deutscher Lebensschutzverbände, in „Marsch für das Leben“ umbenannt.

Bis 2008 fand der Marsch nur alle zwei Jahre statt, nun zum ersten Mal jährlich.

Libner: Eine Veranstaltung wie den „Marsch für das Leben“ zu organisieren, ist eine große Herausforderung. Daß wir uns jetzt in der Lage sehen, dies jedes Jahr zu bewältigen, zeigt, daß die deutsche Lebensrechtsbewegung in den letzten Jahren stärker geworden ist.

Dennoch nimmt Ihre Teilnehmerzahl nicht zu. Nachdem Sie schon mal bei circa 1.200 waren, kamen Sie letztes Jahr nur auf etwa 850.

Libner: Es wird natürlich immer stärkere und schwächere Jahre geben, vor allem bei einem jährlichen Rhythmus. Aber für unsere Pro-Life-Bewegung in Deutschland liegt der Erfolg nicht darin, die Teilnehmerzahl in astronomische Höhe zu treiben, sondern den „Marsch für das Leben“ auf eine stabile Grundlage zu stellen. Also zu erreichen, daß wir regelmäßig eine Teilnehmerzahl um die 1.000 erreichen. Wichtig ist, daß es uns gelungen ist, den Marsch zu institutionalisieren, um mit dem Anliegen des Lebensschutzes die Öffentlichkeit zu erreichen.

Am Sonntag ist Bundestagswahl: Was soll der Konservative, der am Tag zuvor für das Leben demonstriert hat, am nächsten Tag in der Wahlkabine tun?

Libner: Ich kann nur empfehlen, zum Beispiel die Internetseite unserer Mitgliedsvereinigung „ALfA – Aktion Lebensrecht für Alle“ zu besuchen (www.alfa-ev.de). Dort finden Sie eine Untersuchung des Abstimmungsverhaltens in Lebensrechtsfragen aller Bundestagsabgeordneten. Der „Wahlometer“ kommt zu dem Ergebnis, daß immerhin 124 Abgeordnete unter diesem Gesichtspunkt wählbar sind – vor allem von der Union, aber nicht nur.

Es gibt allerdings 299 Wahlkreise, bleiben 175, in denen der Abgeordnete nicht den Ansprüchen genügt.

Libner: Aber vielleicht einer seiner Herausforderer. Es wurden ja nur die bereits im Bundestag befindlichen Kandidaten untersucht, nicht alle, die antreten. Ich empfehle jedem Wähler, sich genau zu informieren. Und scheuen Sie nicht davor zurück, Ihren Kandidaten auf den Zahn zu fühlen!

Es gibt allerdings auch eine Zweitstimme, mit der man nur Parteien wählen kann.

Libner: Als Vorsitzender einer überparteilichen Vereinigung kann ich mich dazu natürlich nicht äußern.

Augen zu, CDU?

Libner: Ich befürchte, viele unserer Mitglieder werden da lieber zu Hause bleiben.

Oder eine konservative Kleinpartei wählen?

Libner: Es ist kein Geheimnis, daß der „Marsch für das Leben“ auch durch etliche Mitglieder von Kleinparteien, vor allem christlicher Prägung, unterstützt wird. Aber solange in diesem Lager die Zersplitterung anhält, sehe ich nicht, wie diese je politische Relevanz gewinnen können. Wichtig wäre, daß mindestens eine von ihnen wahrnehmbar an fünf Prozent herankäme. Dann würde die Union vielleicht aufmerksam werden und ihren eigenen Kurs überdenken. Das zeigt, daß Kleinparteien grundsätzlich eine wichtige Funktion haben können.

 

Manfred Libner ist Vize- und seit Juli 2009 amtierender Interim-Vorsitzender des Bundesverbands Lebensrecht, der Dachorganisation der deutschen Lebensrechtsverbände, die am Samstag in Berlin den „Marsch für das Leben“, die zentrale Großdemonstration der deutschen Lebensschutzbewegung, organisiert. Der studierte Politikwissenschaftler und ehemalige Vize-Geschäftsführer einer PR-Agentur ist heute hauptberuflich Geschäftsführer der Stiftung Ja zum Leben (www.ja-zum-leben.de). Geboren wurde er 1958 in Düsseldorf.

 

„Marsch für das Leben“: Seit 2002 ruft der Bundesverband Lebensrecht alle zwei Jahre im September  nach Berlin zum Protestmarsch „1.000 Kreuze für das Leben“ auf. Dabei stehen die tausend weißen Holzkreuze für die eintausend Kinder, die in Deutschland an einem gewöhnlichen Werktag abgetrieben werden. Ab diesem Jahr findet der „1.000 Kreuze“-Marsch jährlich statt und nennt sich nach internationalem Vorbild künftig „Marsch für das Leben“.

 

Bundesverband Lebensrecht: Der BVL (Logo oben) vereinigt die zwölf wichtigsten deutschen Lebensschutzverbände, darunter Christdemokraten für das Leben (CDL), Stiftung Ja zum Leben und Aktion Lebensrecht für Alle (Alfa), mit zusammen rund 30.000 Mitgliedern und Unterstützern. Ziel ist der Schutz des menschlichen Lebens, vor allem der Ungeborenen, Behinderten, Alten und Sterbenden, sowie die Stärkung von Ehe und Familie.

 

Kontakt und Informationen: Fehrbelliner Straße 99, 10119 Berlin, Telefon: 030 / 44 05 88 66, im Internet: www.bv-lebensrecht.de

 

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