© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  40/09 25. September 2009

„Wir sind ein Volk“
Tirol: Ein Festumzug in Innsbruck war der Höhepunkt des Andreas-Hofer-Jahres / Südtiroler Schützen bekennen sich offen zur Landeseinheit
Wolfhard H. A. Schmid

Schätzungsweise 100.000 Zuschauer säumten vergangenen Sonntag die Straßen der Innsbrucker Altstadt, als 26.000 Teilnehmer in einem mehrstündigen farbenprächtigen Umzug an Andreas Hofer und die Tiroler Freiheitskämpfe von 1809 (JF 9/09) erinnerten. Auf der Ehrentribüne vor der Hofburg saßen unter anderem der österreichische Bundespräsident Heinz Fischer, Bundeskanzler Werner Faymann (beide SPÖ), Vizekanzler Josef Pröll und der Tiroler Landeshauptmann Günther Platter (beide ÖVP) sowie sein Südtiroler Amtskollege Luis Durnwalder (SVP).

Daß der als Höhepunkt des Andreas-Hofer-Jahres vorgesehene Festzug so problemlos ablief, war wegen monatelanger Streitigkeiten zunächst keineswegs sicher. Hauptgrund für den Zwist war die bereits bei den Festzügen von 1959 und 1984 mitgeführte Dornenkrone, die an die seit 1919 aufgezwungene Teilung Tirols erinnern sollte. Die Südtiroler Schützen wollten die Dornenkrone wieder mitführen, was aber bei den Verantwortlichen auf wenig Gegenliebe stieß. Doch die Südtiroler Schützen blieben hartnäckig und drohten sogar, auf eine Teilnahme zu verzichten, sollten die Veranstalter das Mittragen der Dornenkrone verbieten sollten.

Schließlich einigte man sich auf einen Kompromiß, bei dem die im Nordtiroler Erl aufbewahrte Dornenkrone im Südtiroler Sexten mit 2009 Rosen geschmückt werden sollte. Diese Idee beruhte auf einem preisgekrönten Vorschlag der Südtiroler Künstlerin Margit Klammer. Als Ende Mai auch das Mitführen dieser Dornenkrone im Umfeld des Organisationskomitees erneut in Frage gestellt wurde, verlangte der Landeskommandant der Südtiroler Schützen, Paul Pacher, in einem offenen Brief an Plattner eine Bestätigung der Zusage. Obwohl man in einem eigenen Ideenwettbewerb gemäß dem Umzugsmotto „Geschichte trifft Zukunft“ eine mit der Europafahne umhüllte Dornenkrone als Sieger ermittelt hatte, heißt es in seinem Schreiben, habe man sich mit der „blühenden“ Dornenkrone einverstanden erklärt. Daraufhin machte der Landeskommandant der Nordtiroler Schützen, Otto Graf von Sarnthein, als Gegner der Dornenkrone einen halben Rückzieher, indem er erklärte: „Ich war immer gegen die Dornenkrone – aber eine Demokratie muß so eine Krone aushalten, ebenso die Transparente.“ Ähnlich äußerte sich der Koordinator des Landesfestumzuges, Andreas Khol (ÖVP): „Wer A sagt, muß auch B sagen“, erklärte der Ex-Nationalratspräsident. Zur politischen Diskussion gehörten eben auch „Los von Rom“-Parolen. Kanzler Faymann sagte seine Teilnahme zunächst ab, um dann schließlich doch zu kommen.

Die Nord- und Osttiroler Schützenkompanien enthielten sich daher jeglicher offiziellen Solidarität gegenüber ihren Südtiroler Freunden. Diese trugen dennoch unübersehbare Transparente mit Aussagen wie „Süd-Tirol ist nicht Italien“, „Wir fordern die Wiedervereinigung Tirols im europäischen Geist“, „Unsere Heimat Tirol – EINigt TIROL in Europa“ oder „Ein Tirol – nach über 90 Jahren Unrechtsgrenze fordern wir die Wiedervereinigung Süd-Tirols mit Österreich“ – was von vielen mit Applaus gewürdigt wurde.

In Erinnerung an die Bombenanschläge auf italienische Einrichtungen in den sechziger Jahren und die folgende Repression war sogar die Mahnung „Nie wieder Folter und Erniedrigung“ zu lesen. Eine Abordnung aus Petsch-Hayden (Anpëz/Cortina d’Ampezzo, heute Provinz Belluno/Region Venetien) forderte auf deutsch und italienisch: „Zurück nach Bozen“, die Trentiner aus Welschtirol bekundeten: „Wir sind ein Volk – Von Kufstein bis Borghetto“.

Bei der Pressekonferenz der Politiprominenz im Anschluß an den Festumzug wurde allerdings mit keinem Wort auf die Transparente eingegangen. Platter sprach von der Europaregion Tirol, Durnwalder wies auf die Stärke von Tradition, Kultur und Geschichte einer österreichischen Minderheit in Italien hin, und alle Politiker zeigten Erleichterung über den friedlichen Ablauf. Das österreichische Bundesheer, Traditionsverbände, Kaiserjäger, Trachtler und Gebirgsschützen aus ganz Tirol und Welschtirol (Trentino/Trient) sowie Abordnungen aus Salzburg, Kärnten und Vorarlberg – begleitet von vielen Musikkapellen – gaben ein farbenprächtiges Bild ab. Sogar Verbände aus Bayern, Sachsen, Liechtenstein und Eupen (heute Belgien) waren dabei.

Doch trotz aller Euphorie bei den Teilnehmern – vieles spricht für einen Erhalt des Status quo. Bei einer unlängst in Süd-Tirol (wo ein Viertel der Bevölkerung Italiener sind) durchgeführten Befragung sollen 40 Prozent für Italien und nur 27 Prozent für eine Wiedervereinigung mit Österreich plädiert haben. Mangelndes Geschichtsinteresse der nachgewachsenen Generationen und die in Süd-Tirol vergleichsweise gute Wirtschaftslage könnten vor dem Hintergrund einer schleichenden Zuwanderung aus allen Teilen der Welt diesen Trend auf Dauer bestätigen.

Ob die Errichtung des Peter-Mayr-Gedenksteins an seiner Bozener Erschießungsstätte manche zum Nachdenken bringt? Schließlich hatte jener „Wirt an der Mahr“, dessen Gasthaus heute noch unweit von Brixen am Eisack existiert, als Weggefährte Hofers bei seiner Verhaftung durch die Franzosen 1810 die ihm später gebotene Chance für eine Freilassung mit dem für heutige Generationen unverständlichen Ausspruch abgelehnt: „Ich will mein Leben nicht mit einer Lüge erkaufen!“

Weitere Informationen, Bilder und ein Kurzfilm über die Festveranstaltung finden sich unter www.jungefreiheit.de

Fotos: Tiroler Festumzug in Innsbruck: Zur politischen Diskussion gehörten auch „Los von Rom“-Parolen, Südtiroler Schützen: Eindeutige politische Forderungen auf ihren Plakaten

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