© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  40/09 25. September 2009

Einfach die Notenpresse anwerfen
Finanzpolitik: Nur Staaten, die in ausländischer Währung verschuldet sind, können zahlungsunfähig werden
Menno Aden

Die EU-Kommission hat angesichts der staatlichen Milliarden-Hilfen für verspekulierte Banken errechnet, daß die meisten Mitgliedsstaaten bis 2020 einen Schuldenstand aufweisen werden, der doppelt bis dreimal so hoch ist, wie es die Maastricht-Kriterien erlauben. Das wären 180 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung. Die USA steuern auf ein ähnliches Staatsdefizit zu. Insgesamt betrug der Schuldenstand von Staat, Wirtschaft und Verbrauchern in God‘s own country im ersten Quartal 2009 sogar fast 360 Prozent des nominalen Bruttoinlandsprodukts (BIP).

Wird ein privates Unternehmen zahlungsunfähig, dann übernimmt ein Insolvenzverwalter das Zepter und wickelt ab – wie jetzt im Falle Arcandor. Am Ende ist der Schuldner von der Bildfläche verschwunden. Im Zuge der derzeitigen Finanzkrise drohten auch Staaten zahlungsunfähig zu werden. Island, Lettland und Ungarn konnten nur durch Notpakete davor gerettet werden; die Ukraine könnte der nächste Fall sein. Zahlungsunfähigkeit von Staaten ist nichts Neues. So gilt die Zahlungsunfähigkeit des Königreichs Frankreich 1789 als Hauptauslöser der großen Revolution. Neu aber ist die Frage, ob auch über Staaten ein Insolvenzverfahren durchgeführt werden kann.

In Europa wurde schon immer zwischen dem hoheitlichen und privatrechtlichen (fiskalischen) Handeln des Kaisers bzw. Staates unterschieden. Heute gilt weltweit: Insofern der Staat wie eine Privatperson am Wirtschaftsverkehr teilnimmt, etwa Anleihen am Kapitalmarkt aufnimmt oder Bürgschaften gibt, wird er auch wie eine solche behandelt. Er unterliegt daher der Gerichtsbarkeit der zuständigen Gerichte. Wenn etwa die Republik Argentinien ihre Anleihen nicht bedient, kann sie verklagt werden. Entsprechende Urteile des Landgerichts Frankfurt am Main sind bereits ergangen. Aus völkerrechtlicher Sicht ist also kein Grund zu sehen, warum für Fiskalschulden eines Staates nicht auch ein Insolvenzverfahren über ihn möglich sein sollte. Voraussetzung ist allerdings, daß der Staat tatsächlich zahlungsunfähig ist.

Geld ist ein Geschöpf der Rechtsordnung. Die Zentralbanken können Milliarden schöpfen und vernichten – je nach politischer Konstellation. Solange sich ein Staat nur in seiner eigenen Währung verschuldet, kann er daher niemals zahlungsunfähig werden. Wenn er kein Geld mehr hat, seine Beamten zu bezahlen, dann hängt er der Million einfach eine „0“ an – schon sind daraus 10 Millionen geworden, und wenn es nicht reicht, dann noch einmal, und das Guthaben des Staates bei seiner Zentralbank beträgt 100 Millionen. In einem solchen Falle verliert die Währung zwar jeden Wert, aber Geld an sich wäre da. Selbst Simbabwe bleibt formal zahlungsfähig, auch wenn die Hyperinflation zum Zusammenbruch führt. Japan mit einer Staatsschuld von 200 Prozent des BIP ist fast nur bei seinen eigenen Bürgern verschuldet. Im Zweifel könnte Japan immer neue Yen schaffen.

Ein Staat kann daher nur insolvent werden, wenn er in einer Währung verschuldet ist, die er nicht selber schaffen kann. Solange der US-Dollar an den Goldpreis gebunden war, bestand (theoretisch) auch für die USA die Möglichkeit, wegen ihrer Dollarschulden zahlungsunfähig zu werden. Nach dem Bretton-Woods-Abkommen (1944) hatten die USA die Verpflichtung übernommen, den Dollar zu einem Fixkurs in Gold einzutauschen. Anfang der siebziger Jahre wurde diese Verpflichtung aufgekündigt. Die enormen Schulden der USA gegenüber der Welt lauteten damals wie heute fast ausschließlich auf US-Dollar – was Richard Nixons Finanzminister John Connally 1971 mit dem berühmten Satz kommentierte: „Der Dollar ist unsere Währung, aber Ihr Problem!“ Die USA haben und nutzen die Möglichkeit, ihre Auslandsschulden durch Geldschöpfung wegzuinflationieren. Damals war speziell Europa betroffen, heute wären die Hauptgläubiger China und Japan die Leidtragenden.

Bis etwa 1914 galt es als völkerrechtlich zulässig, daß ein Gläubigerstaat zur Betreibung seiner eigenen und von Forderungen seiner Staatsangehörigen militärische Gewalt einsetzte. Der Schuldnerstaat konnte dem vorbeugen, indem er Gebietsteile veräußerte. Der Angola-Vertrag zwischen Deutschland und Großbritannien beruhte darauf, daß Portugal gegenüber Deutschland verschuldet war. Großbritannien hätte danach keinen Einspruch erhoben, wenn Deutschland sich durch Wegnahme der portugiesischen Kolonie schadlos gehalten hätte. Spanien war 1898 nach dem Krieg mit den USA finanziell am Ende. Es sah sich 1899 genötigt, Geld dadurch zu beschaffen, daß es seinen Inselbesitz in der Südsee an das Deutsche Reich verkaufte.

Das Deutsche Reich war infolge der ihm auferlegten Kriegsschulden 1923 zahlungsunfähig, denn die Schulden mußten in US-Dollar gezahlt werden, die immer teurer (daher die fallende Reichsmark) gekauft werden mußten. Frankreich und Belgien nutzten das zur Besetzung des Ruhrgebiets, was allgemein als Verletzung des Völkerrechts angesehen wurde. Heute kommt diese Form der Schuldbeitreibung nicht mehr vor. So wurde der nach 1990 geäußerte Gedanke, Rußland solle in Verrechnung der russischen Schulden gegenüber Deutschland uns Nordostpreußen (Oblast Kaliningrad) zurückgeben, politisch nicht mehr ernst genommen.

Für die Schuldenbeitreibung gegen Staaten werden Vorschläge diskutiert, die letztlich auf einen Vergleich zwischen Gläubigerstaat und Schuldnerstaat hinauslaufen. Aber wenn der sich nicht vergleichen will? Da die UN-Satzung Angriffskriege (außer zur Verteidigung des Weltfriedens) verbietet, ist das Völkerrecht gegenüber einem zahlungsunwilligen Staat eigentlich am Ende.

Denkbar wäre folgende Lösung: Ein Staat verliert durch Zahlungsunfähigkeit so lange, wie diese dauert, einen Funktionsbereich seiner Souveränität. Ein anderer Staat kann dann ohne Völkerrechtsverstoß für seine Gerichte eine (Not-)Zuständigkeit für ein Insolvenzverfahren über das Vermögen dieses Staates annehmen. Es gilt der Grundsatz der größten Nähe. Zuständig wird also der Staat, welcher dem Schuldnerstaat rechtlich, kulturell und geographisch am nächsten steht. In diesem Insolvenzverfahren wird das Vermögen des Schuldnerstaates weltweit gesammelt, soweit dieses nach allgemeinen Regeln des Völkerrechts dem Vollstreckungszugriff unterliegt. Damit wären also ausgenommen solche Werte, die den hoheitlichen Funktionen dieses Staates dienen, etwa seine Botschaften oder Kulturinstitute.

Sollte sich dieser Gedanke durchsetzen, ist zu erwarten, daß allein die Furcht des Schuldnerstaates, einem Insolvenzverfahren in einem anderen Staat unterworfen zu sein, Wunder an Kooperationswilligkeit bewirken wird – so daß es zu einer effektiven Erprobung dieser neuartigen Rechtsfigur gar nicht zu kommen braucht.

 

Prof. Dr. Menno Aden ist Jurist, Fachautor und Vorsitzender der Staats- und Wirtschaftspolitische Gesellschaft (SWG). Die Thematik hat er in seinem Lehrbuch „Internationales Privates Wirtschaftsrecht“ (Oldenbourg Wissenschaftsverlag, München 2009) vertieft.

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