© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  40/09 25. September 2009

Der letzte Kampf der „Geheimen Armee“
Die tragische Geschichte der Hmong in Laos: Ihre Existenz wurde einem Staatsgeheimnis gleich der Öffentlichkeit verschwiegen
Marc Zöllner

Als die Gewehrsalven endlich verstummten, war Ntshiab Vue bereits seit einer Viertelstunde tot. Arme und Beine lagen zerfetzt auf der Wiese, ihr Kopf abgetrennt hinter der Mauer, auf welcher die durchlöcherten Überreste ihres gefesselten Körpers ruhten. Neben ihr die tote Mutter; gefoltert, vergewaltigt und anschließend brutal ermordet.

Ihre Henker kamen am hellichten Tag. Sie fuhren mit ihren Jeeps in das abgelegene Dorf am Rande der laotisch-thailändischen Grenze ein, schossen wahllos um sich und töteten rund zwei Dutzend Zivilisten. Ntshiab selbst benutzte man als lebende Zielscheibe. Wie lange ihr Martyrium dauerte, weiß niemand zu sagen. Überlebende berichteten später von bis zu einer halben Stunde. Auch was mit ihren acht Geschwistern passierte, ist ungewiß. Die Täter verschleppten sie mit in den Dschungel, vermutlich, um sie dort zu ermorden.

Ntshiab zählte kaum zwei Monate, als der Tod sie am 13. August dieses Jahres ereilte. Ihr einziges Verbrechen lag in ihrer Herkunft: Sie gehörte dem Volk der Hmong an. Einem Volk, welches vor über fünfzig Jahren in die Mühlen des Kalten Kriegs geriet und seitdem um seine bloße Existenz zu ringen hat. Einem Volk, welches in die Einsamkeit der Berge und Wälder Südostasiens fliehen mußte, um sich dort, ausgehungert, entkräftet und von Gott und der Welt verlassen, einer Strafexpedition zu entziehen, welche nun bereits mehr als drei Jahrzehnte andauert.

Die tragische Geschichte der Hmong begann im Jahre 1960. Der Süden Vietnams wurde seit fünf Jahren von blutigen Terroranschlägen seitens der kommunistischen Vietcong destabilisiert. Diese wurden von der nordvietnamesischen Volksarmee (NVA) hierbei nicht nur finanziell, sondern auch mit Waffen, Sprengstoffen sowie Ausbildern logistisch unterstützt. Die vom südvietnamesischen Präsidenten Ngo Dinh Diem erbetenen Militärberater der US-Armee sowie der CIA standen nun vor der völkerrechtlich schwierigen Frage, wie genau man jenen Nachschub aus dem Norden unterbinden und die staatsbedrohende Sicherheitslage wieder zugunsten Dinh Diems kippen konnte. Das Straßennetz, auf dem die Nordvietnamesen den Süden infiltrierten, verlief zum Teil auf laotischem Staatsgebiet. Einen neutralen Staat militärisch anzugreifen, konnten sich die Vereinigten Staaten nicht leisten; zu schnell hätte der Kalte Krieg zu einem globalen Konflikt ausarten können. Denn gerade in Peking und Moskau verfolgte man die Intervention der USA in Indochina mit Argwohn.

Sich nach zuverlässigen und vor allem verschwiegenen Verbündeten umschauend, entschied sich die CIA 1960 schließlich für Vang Pao. Der 1931 im Nordosten von Laos geborene General erfüllte gleich mehrere wichtige Kriterien. Zum einen war er der höchstdekorierte Angehörige der laotischen Armee. Bereits im Indochinakrieg bekämpfte er auf französischer Seite die antikolonialistischen Viet Minh. Nach dem Rückzug Frankreichs aus Südostasien verblieb Pao weiterhin im Heeresdienst; er galt als enger Vertrauter sowie loyaler Verbündeter des damaligen laotischen Königshauses. Gleichzeitig genoß er aber auch hohes Ansehen bei den Angehörigen seines eigenen Volkes: den christlichen Hmong, welche die Ufer des Mekong bewohnten, jenes Flusses im Herzen des Goldenen Dreiecks, an dessen Hängen sich das endlose Netzwerk an Straßen, Pfaden und Tunnels schlängelte, welches dem Westen später als Ho-Chi-Minh-Pfad bekannt werden sollte.

Im Gegensatz zu anderen Ethnien in Laos, welche sich oftmals den kommunistischen Rebellen der Pathet Lao anschlossen, galten die Hmong als zuverlässige und disziplinierte Verbündete der Amerikaner. Aufgrund ihrer ausgezeichneten Ortskenntnisse, der durch jahrhundertelanges traditionelles Jagen erworbenen hohen und vor allem lautlosen Mobilität in unwegsamen Gebieten sowie ihrer Verbundenheit den christlichen Glaubensbrüdern aus Europa und den Vereinigten Staaten gegenüber bildeten sie bald den Großteil der sogenannten „Geheimen Armee‘‘.

Im Sommer 1961, als die königlichen Truppen von den Pathet Lao geschlagen waren und die Stammesguerilla als die letzte noch verbliebene Stütze des laotischen Königshauses sowie der Amerikaner am Mekong gegen die kommunistischen Partisanen fungierte, hatte die CIA bereits an die 9.000 Hmong in Waffen- und Kampftechniken geschult sowie in Kompanien zu je hundert Mann organisiert. Zehn Jahre später sollte ihre Zahl das Fünffache übersteigen.

Die Hmong erwiesen sich als ausgezeichnete Guerillakämpfer. Zumeist im Schutz der Nacht den Dschungel verlassend, sprengten sie Brücken, überfielen Konvois und zerschlugen als personeller Nachschub gen Süden rückende Freiwilligenverbände der NVA. Dutzende abgeschossene Piloten der Air Force und der thailändischen Police Aerial Reinforcement Unit, einer von der CIA finanzierten thailändischen Luftwaffenbrigade, konnten durch Paos Truppen im Dickicht der Wälder von Laos und Vietnam  lokalisiert und anschließend evakuiert werden. Auch die Aufklärungsarbeit der Hmong war vorbildlich und reichte bis tief in den Süden Chinas hinein.

Mit der Unterzeichnung des Pariser Friedensabkommens im Januar 1973 änderte sich die Lage der Hmong jedoch schlagartig. Die Vereinigten Staaten zogen sich aus Vietnam zurück und mit ihnen verschwand die ein Jahrzehnt lang für den Stellvertreterkrieg in Laos bereitgestellte finanzielle sowie militärische Unterstützung. Die Geheime Armee der Hmong geriet in Vergessenheit, die Geschichte ihrer Existenz wurde einem Staatsgeheimnis gleich der Öffentlichkeit verschwiegen.

Die Hmong, bar jeglicher internationaler Unterstützung, ohne finanzielle Reserven, ohne militärische Verbündete, galten fortan als Freiwild der Pathet Lao und des laotischen Militärs. General Pao und rund 3.000 seiner Männer wurden nach dem Einmarsch der Kommunisten in die Hauptstat Vientiane 1975 in die Vereinigten Staaten ausgeflogen. Hunderttausende weitere Hmong flohen nach Thailand und wurden in den Folgejahren in die USA übergesiedelt. Die in Laos verbliebenen Angehörigen wurden meist, sofern es ihnen nicht gelang, in die Berge zu entfliehen, in sogenannten Umerziehungslagern interniert, gefoltert und oftmals getötet.

Was genau seit 1975 in Laos vor sich ging, weiß niemand mit Sicherheit. Nur wenigen Journalisten und Menschenrechtlern gelang es bislang, die zersprengten Überreste der Hmong-Gemeinden im undurchdringlichen Dschungel ausfindig zu machen und mit ihnen Kontakt aufzunehmen. Im Jahre 2003 erreichte Mitarbeiter des Time Magazine der Anruf des Obmanns einer der damals größten Gemeinschaften, welcher über ein eingeschmuggeltes Satellitentelefon kommunizieren konnte. Von den über 7.000 Hmong, welche sein Stamm zu Kriegsende zählte, seien nur noch 800 am Leben, davon allein 56 Waisenkinder. Ein Drittel leide an Schußverletzungen, sie seien ausgehungert und schwer krank. Drei Jahre später, im Sommer 2006, zählte seine Gemeinde nur noch 300 Menschen.

„Sie werden uns niemals vergeben“, berichtete auch Xang Yang, einer der wenigen flüchtigen Hmong, welchen es gelang, Kontakt zur Außenwelt herzustellen, der New York Times im Dezember 2007. „Wenn ich mich ergebe, werde ich bestraft.“ Wie diese Strafen ausfallen, beweisen Dutzende dokumentierte Beispiele der Gesellschaft für bedrohte Völker. Von zwei Gemeinden mit insgesamt fast 900 Mitgliedern, welche sich 2004 und 2005 den laotischen Behörden ergaben, fehlt bis heute jede Spur.

Eine weitere Gruppe von 171 Hmong, welche im Sommer 2005 völlig entkräftet den Dschungel verlassen mußte, wurde in Konzentrationslagern interniert. Frauen und junge Mädchen, die auf der Nahrungssuche in den Wäldern von Soldaten aufgespürt wurden, wurden mißhandelt und vergewaltigt, bevor man sie ermordete. Zeugen berichten von Säuglingen, die mit den Köpfen gegen Bäume geschlagen und von jungen Männern, die mit Gewehrkolben und bloßen Fäusten totgeschlagen wurden.

Die Zahl der flüchtigen Hmong nicht nur in Laos, sondern auch in Vietnam  oder Thailand sinkt derzeit weiter rapide. Zum Jahresende 2007 schätzte man offiziellen Angaben der US-amerikanischen Botschaft in Vientiane zufolge, daß sich noch „irgendwo zwischen einigen hundert und wenigen tausend“ ehemalige Partisanen sowie deren Familien und Nachkommen im Urwald verstecken würden. Daß sie dort keine Zukunft besitzen, ist ihnen bewußt. Hier im Dschungel werde man „entweder durch die Angriffe der Soldaten“ umkommen oder aber „weil es uns nicht möglich ist, auf Nahrungssuche zu gehen, um unsere Familien zu ernähren“, berichtete ein Überlebender. Daß sie sich trotz alledem nicht ergeben wollen, zeugt vom Bewußtsein, welche Strafen sie in der Außenwelt erwarten: Strafen, denen gegenüber das kollektive Verhungern ein vergleichsweise mildes Schicksal zu sein scheint.

Auf Bestreben konservativer US-amerikanischer Kreise wurde im Mai 1997, mehr als 24 Jahre nach Ende des Geheimen Krieges, auf dem Nationalfriedhof in Arlington unter Beisein Vang Paos und seiner dreitausend Männer, ein Denkmal für die gefallenen Hmong enthüllt. Eine Namensliste ist noch immer in Bearbeitung; viele Partisanen jedoch verstarben undokumentiert. Schätzungen zufolge mußte die Geheime Armee der Hmong etwa zehnmal mehr Verluste hinnehmen als die reguläre US-Infanterie.

Die kleine Ntshiab jedoch wird niemals auf dieser Liste zu finden sein; kein Denkmal wird je an sie, ihre acht Geschwister, ihre tote Mutter und die zwei Dutzend ermordeten Bekannten und Verwandten erinnern. Wie Tausende andere ihres Volkes starben sie bei dem verzweifelten Versuch, am Leben zu bleiben, etwas Nahrung und eine trockene Hütte zu finden und den Folgen des Handelns ihrer Väter und Großväter zu entfliehen. Sie starb vergeblich. Als Opfer eines Krieges, welcher nicht der ihre war.

Ntshiab ließ ihr junges Leben in einem Konflikt, vor welchem die Staatengemeinschaft seit drei Jahrzehnten die Augen verschließt; vor ihrem Schicksal, vor ihrem Leiden und vor dem jener Kinder, Frauen und Männer des Volkes der Hmong, welche Ntshiab dereinst noch folgen werden.

Foto: Hmong-Flüchtlinge aus Laos in Thailand: „Wir können nicht zurück, sonst werden wir wie meine Eltern getötet“, sagt Ye Saisong (r.) verbittert

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