© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  40/09 25. September 2009

CD: Iggy Pop
Altersweise
Georg Ginster

In jener Literatur, die nach dem schlechten Vorbild der Geistesgeschichte suggeriert, es ließen sich in den vergangenen vier oder fünf Jahrzehnten der populären Musik für einzelne Zeitabschnitte charakteristische Tendenzen identifizieren, die zudem in einem logischen Zusammenhang mit vorangegangenen und nachfolgenden stünden, firmiert Iggy Pop zumeist als ein „Vorläufer“ der Punk-Bewegung. Diese Einschätzung stützt sich auf einen willentlichen Dilettantismus, der seine Band The Stooges auszeichnete, sowie auf eindrucksvolle Show-Einlagen, mit denen er sein Publikum unterhielt. Mit seinem Namen verknüpft sind Auftritte mit entblößtem Oberkörper, zudem soll er sich gelegentlich auf der Bühne in Scherben gewälzt haben. Auch gilt er als Pionier des „Stagediving“, ein Metier, das heute selbst Rockpopschnulzensängern nicht fremd ist.

Derartige Alleinstellungsmerkmale mögen für die späten 1960er Jahre bemerkenswert sein, ganz voraussetzungslos und zeituntypisch waren sie nicht. Dieser Eindruck kann nur aufkommen, wenn man die impertinenten, ihr kleines, privates Leben bejahenden und genießenden Herdenindividualisten, die das gegenwärtig in der Erinnerungskultur wieder einmal aufgewärmte Woodstock-Festival bevölkerten, als Verkörperung des Zeitgeistes jener Tage ansieht. Dies zu tun, heißt jedoch, die genüßlich destruktiven und mitunter sogar in possierlicher Weise dämonischen Tendenzen auszublenden, die damals keineswegs eine Randerscheinung waren. So hat Iggy Pop selbst aus seiner Beeinflussung durch Jim Morrison keinen Hehl gemacht. Es ist ihm gelungen, dessen Exzentrik auf der Bühne noch zu übertrumpfen.

In seiner wechselvollen Karriere, deren Höhen er im Schlepptau von David Bowie erklomm, blieb er über nunmehr vier Jahrzehnte präsent, in denen er immer wieder aufsehenerregende Duftmarken hinterließ, um sich sogleich fluchtartige neuen Ufern zuzuwenden. Den Mangel an Stetigkeit mag man als kreative Getriebenheit interpretieren. Er hat ihn jedenfalls vor der Festlegung auf eine einträchtige Masche bewahrt und ihm dadurch die Wertschätzung einer nicht gerade kleinen Schar von Hörern gesichert, die nichts mehr fürchten, als sich Täuschungskünstlern hinzugeben, die sie in Wahrheit als Konsumenten begreifen.

Durch seine neue CD „Préliminaires“ (EMI) werden sie seine künstlerische Lauterkeit und die Erlesenheit ihres Musikgeschmacks bestätigt sehen. Auf ihr übt sich Iggy Pop in Rollen auf der Bandbreite zwischen Serge Gainsbourg und Leonard Cohen und reiht unerschrocken Titel aneinander, die den Hörer mal mit Bossa Nova, mal mit Chanson, mal sogar – er schreckt immer noch vor nichts zurück – mit New-Orleans-Jazz konfrontieren. Vor allem aber ist er die Ruhe selbst und fügt sich weise in die Vorstellung, die man von einem unterdessen immerhin 62jährigen hat. Allerdings signalisiert er zugleich, weiterhin nicht auf Vollendung aus zu sein. Folgerichtig zeigt „Préliminaires“ neue Möglichkeiten auf, ohne diese auszureizen, und hinterläßt einen eher fragmentarischen Eindruck. Seinem eigenen Bekunden zufolge soll die CD immerhin durch Michel Houellebecqs Roman „Die Möglichkeit einer Insel“ inspiriert worden sein. Dies ist sicherlich sehr schick, erschließt sich aber dem Hörer nicht ohne weiteres. 

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