© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  40/09 25. September 2009

Kalter Blick auf das Schlachtfeld
Der israelische Militärhistoriker Martin van Creveld analysiert die Ursachen von Sieg und Niederlage in den Kriegen des 20. Jahrhunderts
Michael Wiesberg

Der in Jerusalem lehrende israelische Militärhistoriker Martin van Creveld bleibt sich auch in seinem neuesten Werk, das sich mit dem Wandel bewaffneter Konflikte seit 1900 beschäftigt, treu. Treu bleiben heißt hier, daß er bewußt eine emotionslos-kühle Argumentation pflegt, die moralische Aspekte, sofern sie überhaupt ventiliert werden, außen vor läßt. Dieser Ansatz, der vor allem die militärische Effizienz im Auge hat, wird auch dieses Mal wieder jene irritieren, die Kriegsgeschichte vor allem als Verbrechensgeschichte betreiben.

In der Natur dieses Ansatzes liegt es, daß die kaiserliche Armee und die Wehrmacht aufgrund ihrer militärischen Leistungsfähigkeit und ihres Durchhaltevermögens angemessen gewürdigt werden, und dies nicht zum ersten Mal: Bereits in seinem Buch „Kampfkraft“, in dem Creveld die Wehrmacht mit der US-Armee verglich, brachte er seinen Respekt vor der Wehrmacht zum Ausdruck, die selbst in der Schlußphase des Krieges noch eine größere Kampfkraft als ihre Gegner besaß. Leider kommt Creveld diesmal nur am Rande darauf zu sprechen, was die Voraussetzungen dieser Kampfkraft waren, nämlich unter anderem die „Institutionalisierung der militärischen Höchstleistung“ durch den deutschen Generalstab, wie es der US-Militärhistoriker Trevor N. Dupuy in seinem Buch „Der Genius des Krieges“ (JF 31-32/09) herausgearbeitet hat.

Van Crevelds neues Buch dreht sich vor allem um die heuchlerische Frage, welche Gründe für den Gewinn bzw. Verlust von Kriegen entscheidend waren. Der Bogen, den er dabei schlägt, reicht von der Marneschlacht bis hin zur US-Invasion im Irak. In diesem Zusammenhang resümiert er für die erste Hälfte des 20. Jahrhundert: „Die Geschichte der Kriegführung von 1914 bis 1945 ist (...) zu einem beträchtlichen Teil die Geschichte der deutschen Armee, ihrer Vorgehensweise und der Reaktion ihrer Gegner auf ihre Schritte.“

Warum sowohl die kaiserliche Armee als auch die Wehrmacht letztlich scheiterten, erklärt Creveld vor allem mit der geopolitischen Situation Deutschlands, der seitens der Politik nur unzureichend Rechnung getragen worden sei. Er nennt hier vor allem England, dessen Niederwerfung sowohl im Ersten als auch im Zweiten Weltkrieg nicht konsequent betrieben worden sei. Dazu wäre eine umfassende Strategie notwendig gewesen, die England wirtschaftlich schachmatt gesetzt hätte. Mit ziemlicher Sicherheit ist diese Inkonsequenz auch Ausdruck der Tatsache, daß weder das kaiserliche Deutschland noch Hitler Krieg gegen England führen wollten. Dieser Umstand entschuldigt freilich nichts, weil, wie Creveld richtig feststellt, aufgrund des eingeschlagenen politischen Kurses ein Krieg mit England im Bereich des Wahrscheinlichen lag. Daß von deutscher Seite dennoch kein erfolgversprechendes Konzept im Krieg mit England verfolgt wurde, sei einer der Gründe, der entscheidend zur deutschen Niederlage in beiden Weltkriegen mit beitrug.

Sehr klar arbeitet Creveld heraus, wie sich aufgrund technischer Innovationen das Gesicht des Krieges vor allem in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts rapide veränderte. Allerdings sind technische Innovationen nur die eine Seite der Medaille, die andere sind Wirtschaftskraft und die damit einhergehende Fähigkeit zur Massenproduktion – „Mobilisierung der Ressourcen“, wie es Creveld nennt. Letztere Fähigkeit hat in beiden Weltkriegen den Ausschlag gegeben. Mögen deutsche Ingenieure auch die kreativsten gewesen sein, der alliierten Materialwalze, insbesondere nach dem Kriegseintritt der USA, konnte letztlich nicht widerstanden werden. „In technischer Hinsicht waren die Deutschen sehr erfindungsreich“, betont Creveld. „Tatsächlich behaupten manche, fast jedes Waffensystem, das von 1945 bis 1991 in Einsatz kam (...) sei schon 1944/45 auf deutschen Reißbrettern entworfen worden.“

Die Kehrseite dieses Erfindungsreichtums: „Sie hatte eine sehr große Zahl verschiedener Typen, Modelle und Versionen von Waffen zur Folge“, was häufige Änderungen des Produktionszyklus und endlose Wartungsprobleme nach sich zog. So brauchte, um hier nur eine Zahl zu nennen, allein die Heeresgruppe Mitte Ende 1941 sage und schreibe eine Million Ersatzteile, um kampffähig zu bleiben.

Es war im übrigen der im Ersten Weltkrieg auf deutscher Seite so einflußreiche Erich Ludendorff, der die Gestalt dieses „totalen Krieges“ am realistischsten vorausgesehen hat und dessen „Vision vom Zweiten Weltkrieg“ sich „auf furchtbare Weise bewahrheiten sollte“. Es spricht für die Unbestechlichkeit der Urteile Crevelds, daß er einer heute so stigmatisierten Persönlichkeit wie Ludendorff nicht nur Platz einräumt, sondern dessen Thesen auch noch zustimmend kommentiert.

Diese totale Mobilisierung aller Ressourcen mündete dann in der Atombombe, deren Einsatz am 6. August 1945 für Creveld eine definitive Wende der Kriegsgeschichte darstellt. Danach gab es zwischen den militärischen Hauptmächten keine direkte kriegerische Auseinandersetzung mehr, bestenfalls noch Stellvertreterkriege an der „Peripherie“. Wenn eine militärische Groß- oder Supermacht noch in den Krieg zog, dann gegen einen Gegner, der bestenfalls zweitklassig war.

Ein Großteil der zweiten Hälfte des Buches dreht sich um das, was wir heute „asymmetrische Kriege“ nennen und um die Frage, warum Auseinandersetzungen mit Terroristen oder Aufständischen trotz erdrückender Überlegenheit der Seite, die sie bekämpften, so oft verlorengegangen sind. Ein Grund: Ziehen sich diese Konflikte zu lange hin, setzt die Phase der Zermürbung ein und selbst die motiviertesten Soldaten beginnen zu resignieren, dagegen hilft auch keine noch so intensive Mobilisierung von Waffen-High-Tech.

Eine derartige Situation gelte es unter allen Umständen zu vermeiden. Wie das gelingen kann, dafür nennt Creveld zwei Beispiele: einmal das Vorgehen der Briten in Nordirland gegen die IRA, zum anderen das Vorgehen des Assad-Regimes in Syrien gegen die dortige Muslimbruderschaft. Den Briten sei gelungen, unter bewußtem Verzicht auf schwere Waffen, nach und nach die Sympathien der Nordiren zu gewinnen und so der IRA das Wasser abzugraben. Das krasse Gegenbeispiel dafür ist Assads Vorgehen gegen die Stadt Hama, das Zentrum der Muslimbrüder. Er ließ diese Stadt dem Erdboden gleichmachen und viele Bewohner gleich mit. Nach herrschenden Maßstäben wurde hier ein Massaker angerichtet. Assad hatte nach diesem Schlag aber seine Ruhe – und genau dieses Ergebnis habe ihm recht gegeben, wie Creveld trocken konstatiert. Kein Wunder, daß der Berliner Politologe Herfried Münkler angesichts derartiger Thesen in einer Besprechung in der Hamburger Zeit zu dem Ergebnis kam, daß die Lektüre des neuen Creveld-Buches zwar „gewinnbringend“, aber „auch belastend und irritierend“ sei.

Martin van Creveld: Gesichter des Krieges. Der Wandel bewaffneter Konflikte von 1900 bis heute. wjs-Verlag, Berlin 2009, gebunden, 352 Seiten, 22,95 Euro

Foto: Aufnahme von Taliban im westafghanischen Herat 2001: Ziehen sich die Konflikte zu lange hin, setzt die Phase der Zermürbung ein

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