© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  40/09 25. September 2009

Themenabend in der ARD: Zwangsadoption in der DDR
Den Eltern brutal entrissen
Christian Dorn

Zu den aktuellen Moden medialer Betriebsamkeit gehören die hell ausgeleuchteten Kleinkind-Adoptionen der Weltstars. Neben Angelina Jolie trifft dies insbesondere auf Madonna zu, und erst dieser Tage scheiterte Elton John, der den Aids-kranken Lev aus einem ukrainischen Waisenhaus adoptieren wollte. Namenlos geblieben sind dagegen die bis heute kaum gezählten Opfer der von den DDR-Organen verfügten Zwangsadoptionen.

Diese dienten als Mittel der Repression, um renitente Eltern und besonders alleinstehende junge Mütter zu bestrafen, die kein SED-Mitglied waren. Verantwortlich hierfür waren das Volksbildungsministerium unter Margot Honecker und die unter dieser Ägide handelnden Jugendämter. Latent war die Entziehung des Sorgerechts bereits im Familiengesetzbuch der DDR angelegt, demzufolge Eltern verpflichtet waren, ihre Kinder „zur sozialistischen Einstellung zum Leben und zur Arbeit“ zu erziehen.

Häufiger Vorwand für das behördliche Unrecht war dann – neben Republikflucht – die Anwendung des Paragraphen 249 des DDR-Strafgesetzbuches über „Asozialität“, der eine Haftstrafe von bis zu zwei Jahren bedeutete und in der Regel den Verlust des Sorgerechts. Die Kinder verschwanden dann auf Nimmerwiedersehen. Praktischerweise führten die Behörden nicht selten selber den Zustand herbei, für dessen Anklage und Verurteilung sie im zweiten Akt sorgten.

Beispielhaft werden diese Schicksale nun auch im Fernsehen gezeigt, wenngleich es nicht die ersten Dokumentationen hierzu sind. Freilich dürfte die aktuelle Aufmerksamkeit vornehmlich dem 20jährigen Jubiläum des Mauerfalls geschuldet sein. Kaum hat das ZDF in der Reihe „37°“ sich unter dem Titel „Wo bist du, mein Kind“ dem Thema genähert, folgt eine Woche später die ARD mit dem Beitrag „Trennung von Staats wegen“ (30. September 2009, 21.45 Uhr).

In dem Film von Ulrike Brincker werden exemplarische Fälle dokumentiert wie etwa jener von Katrin Behr, deren Mutter vor den Augen der beiden Kinder verhaftet wurde. Zuvor war der Alleinerziehenden der Kindergartenplatz entzogen worden, so daß sie zu Hause blieb. Damit aber ging sie aus Sicht der Behörden keiner geregelten Arbeit nach und galt als straffällig. Die damals vierjährige Katrin – die sich verzweifelt an ihre Mutter klammerte, während die Beamten sie wegzureißen versuchten – erinnert sich, wie ihre Mutter beim Abschied sagte: „Du bist schon ein großes Mädchen, heute abend bin ich wieder da.“ Aus dem Abend wurden Jahrzehnte, und auf das Kinderheim folgte die Adoption durch linientreue Genossen.

Heute betreibt sie eine Internet-Plattform (www.zwangsadoptierte-kinder.de), auf der betroffene Eltern und Kinder nach ihrer Ursprungsfamilie suchen. Die Zahl der dort aufgegebenen, erschütternden Anzeigen beläuft sich auf einige hundert.

Tatsächlich dürften einige tausend von diesem Unrecht betroffen sein. Daß es keine strafrechtliche Verfolgung dieser Verbrechen gibt, ist dem Einigungsvertrag geschuldet. Für Uwe Hillmer vom Forschungsverbund SED-Staat ist es ein „Versäumnis“, daß dort Adoptionen gegen den Willen der Eltern „nicht als schwere Menschenrechtsverletzungen“ niedergelegt worden sind.

Allerdings ist die ARD-Dokumentation „nur“ Begleitsendung zu dem zuvor um 20.15 Uhr ausgestrahlten TV-Film „Jenseits der Mauer“. In dem Streifen von Friedemann Fromm (Drehbuch: Holger Karsten Schmidt) versucht das Ehepaar Molitor, gespielt von Katja Flint und Edgar Selge, die DDR mit gefälschten Pässen über den Grenzübergang Marienborn zu verlassen. Im Auto versteckt haben sie ihre beiden Kinder, von denen der Staat die zweijährige Tochter Miriam einbehält, um sie als „Rebecca“ via Zwangsadoption einem Stasi-Mann (Herbert Knaup) und seiner Frau (Ulrike Krumbiegel) zu übergeben.

Die hyperfiktionale Handlung des Streifens, an deren Ende sich – unmittelbar nach Mauerfall – beide Elternpaare zur Versöhnung an der Gedächtniskirche die Hände reichen, ist derart klischiert und zugleich abstrus, daß hier der Mißbrauch eines teils erstklassigen Schauspieler-Ensembles vorliegt. Laut WDR ging es darum, daß der fiktionale Part „eine emotionale – und nicht die politische Entwicklung nacherzählende – Filmgeschichte wird“. Das ist in der Tat gelungen, denn „Jenseits der Mauer“ ist vor allem eines – jenseits einer glaubwürdigen Story.

Foto: Festnahme nach Fluchtversuch und Wiedersehen mit der zwangsadoptierten Tochter 15 Jahre später: Familie Molitor

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