© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  41/09 02. Oktober 2009

Bismarck in Pittsburgh
IWF-Sonderziehungsrechte verhindern den Zerfall der Weltwirtschaft
Wilhelm Hankel

Die Buchstaben B.I.S.M.A.R.C.K. standen voriges Wochenende nicht für den überragenden Staatsmann, wohl aber dessen Botschaft. Ein indischer Ökonom hatte empfohlen, sie an die Wände des Pittsburgher G20-Gipfels zu schreiben. Doch anders als einst die Schriftzeichen an Belsazars Palastmauer in Babylon sollten sie nicht den Untergang eines Weltreichs ankündigen (diesmal des westlichen Finanzimperiums), sondern den Weg zu seiner Rettung aufzeigen.

Die Buchstaben stehen für die Wirtschaftsnationen Brasilien, Indien, Südafrika, Mexiko, (Saudi)-Arabien, Rußland, China, und (Süd-)Korea. Bismarcks Weisheit besteht darin, zu wissen, wann früher eingesetzte Machtmittel ausgereizt sind und versagen. Dann müssen auch die stolzesten Sieger von gestern in die Rolle des „ehrlichen Maklers“ schlüpfen. Dies ist der Auftrag an die alten G8: USA, Kanada, Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Italien, Japan plus Neuling Rußland. Sie müssen ihre Macht mit den restlichen zwölf teilen, wobei dem Doppel-Mitglied Rußland eine Schlüsselrolle zufallen könnte.

Ein Welt-Finanzgipfel (es ist der zweite seit Ausbruch der Finanzkrise), der sich damit begnügt, die Moral von Bankmanagern zu rügen, deren Bezüge zu beschneiden und das Eigenkapital der Bankrotteure aufzustocken, verfehlt diesen Auftrag; er ist seine Spesen nicht wert. Für diese in Pittsburgh behandelten Fragen sind besser die nationalen Aufsichtsorgane, Gerichte und Staatsanwälte zuständig. Sie müssen nur handeln.

In dieser größten Finanzkrise seit 80 Jahren geht es um weit mehr. Das Fehlverhalten der Finanzmogule, welche die Risiken ihrer eigenen, fragwürdigen Innovationen (Finanzprodukte und Geldbeschaffungstechniken) gröblich unterschätzt haben, gefährdet die Zukunft des Weltwährungs- und Weltwirtschaftssystems. Kann es so „global“ bleiben wie bisher? Oder wird es sich auflösen und zerfallen wie nach dem „Schwarzen Freitag“ von 1929, dem zwei Jahre später der Zusammenbruch des Goldstandards (September 1931) folgte? Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs gab es nur noch eine Schrumpf-Weltwirtschaft unter staatlicher Kontrolle – ohne freien Finanz- und Kapitalverkehr.

Für den Export-Weltmeister Deutschland wäre dies die Katastrophe, für andere Industrieländer nicht minder. Deswegen muß die alte Finanzwelt der aufstrebenden neuen weit entgegenkommen. Das „unerhörte Privileg“ (Charles de Gaulle) der westlichen Finanzsupermacht, der USA, steht zur Disposition. Die USA können nicht weiterhin heuchlerisch vorgeben, der Welt als Weltbankier zu „dienen“, um sie danach über ihr Weltgeld Dollar gnadenlos auszunehmen. Auch wenn die USA keinen Staat der Welt gezwungen haben, Währungsreserven in US-Dollar anzulegen: Die Verweigerung jeder Alternative dazu hat diesem Land ermöglicht, 40 Jahre lang erfolgreich über seine Verhältnisse zu leben.

Selbst ärmste Staaten in der Welt haben mit ihren in Dollar angelegten Ersparnissen den Lebensstandard der US-Bürger sowie den Militärluxus und die Kriegsabenteuer der US-Politik mitfinanziert. Um die Bezahlung von alledem – privaten Überkonsum und staatliche Schulden(miß)wirtschaft – brauchte sich in der Vergangenheit keine US-Regierung zu sorgen. Solange die Ausländer ihre green backs (diese verpflichten US-Volkswirtschaft und -staat immerhin zu gleichwertiger Gegenleistung) nicht einlösten, war und blieb der Dollar für die USA eine in aller Welt gültige Kreditkarte ohne jegliches Limit! Damit ist es jetzt vorbei.

Und Europa? Es muß in dieser Krise schmerzlich, aber wohl definitiv zur Kenntnis nehmen, daß sein Euro nicht das Zeug zu einer Weltwährung hat. Er kann den US-Dollar weder ablösen noch ersetzen. Von den 16 Euro-Staaten sind zwölf bis an die Halskrause überschuldet, einige sogar stärker als die USA.

Doch woher soll das neue Weltgeld kommen, das eine freie, globale und nicht auseinanderfallende Weltwirtschaft braucht? Es ist seit 40 Jahren (nicht zufällig zeitgleich mit dem Abrutschen der US-Leistungsbilanz in rote Zahlen) vorhanden, jedoch nur als monetärer Zwerg. Es sind die bereits von John Maynard Keynes 1944 für das Bretton-Woods-System der Nachkriegszeit unter dem Namen „bancor“ vorgesehenen „Sonderziehungsrechte“ (SZR) des Internationalen Währungsfonds (IWF). Sie sind dessen Recheneinheit, zugleich jedoch mehr als das: ein Bezugsrecht auf alle bei ihm registrierten nationalen Währungen, eine Währung der Währungen im Wartestand.

China hat das Verdienst, den alten Keynes-Plan neu entdeckt zu haben. Die B.I.S.M.A.R.C.K.-Staaten haben sich ihm jetzt angeschlossen. Er würde den USA das Dollar-Privileg nehmen. Aber er würde die Obama-Regierung vom schwärzesten ihrer Alpträume befreien, daß ihr die Billionen von Auslands-Dollar doch noch zur Einlösung vorgelegt werden könnten. Der Kollaps der US-Wirtschaft wäre dann besiegelt. Die Welt aber brauchte nicht mehr die Eskalation der Bankenkrise zur Weltwährungskrise befürchten. Das Schicksal der dreißiger Jahre bliebe ihr erspart.

 

Prof. Dr. Wilhelm Hankel leitete unter Karl Schiller die Währungsabteilung des Wirtschaftsministeriums und war Chef der Bank- und Versicherungsaufsicht. Er veröffentlichte 2008 das Buch „Die Euro-Lüge und andere volkswirtschaftliche Märchen“.

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