© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/09 09. Oktober 2009

Parteiensystem
Skepsis gegenüber Alternativen
Dieter Stein

Gipfeltreffen in Berlin-Kladow: Zwei „alte Hasen“ des Politikgeschäfts, zwei intime Kenner der Bonner und jetzt der Berliner Republik treffen zu einem JF-Streitgespräch aufeinander: Karl Feldmeyer (70) und Detlef Kühn (72). Feldmeyer als Redakteur der FAZ und Kühn als Präsident des Gesamtdeutschen Instituts der Bundesregierung fochten an ihrer Stelle für das Ziel der deutschen Einheit. Dieser Einsatz machte sie zu Freunden. Der eine bekennt, Schwarz-Gelb, der andere, „ungültig“ gewählt zu haben.

Wie geht es weiter mit Deutschland nach dieser Bundestagswahl: Wie schwer ist das Parteiensystem in seinen Grundfesten erschüttert? Und: Ist es Zeit für eine politische Alternative? Fragen, die wir den beiden Experten stellten. Der Journalist Feldmeyer ist einer der intimsten Kenner der CDU, über die er bis 2004 für die FAZ schwerpunktmäßig berichtete, der nationalliberale Beamte Kühn als langjähriges Mitglied Kenner der FDP aus ihrem Innenleben.

Beide nehmen in einem Streitgespräch (siehe Seite 4–5) eine skeptische Analyse der Lage  des deutschen Parteiensystems und Parlamentarismus vor. Beide sehen schwarz für eine nationalliberale oder konservative Erneuerung oder Profilschärfung der bürgerlichen Parteien. Obwohl eine Ergänzung des Parteiensystems durch eine freiheitlich-konservative Kraft wünschenswert sei, wie sie auch in dieser Zeitung vergangene Woche wieder gefordert worden ist, sprechen eine Reihe objektiver Gründe gegen eine baldige Änderung der Lage.

Es fehlt schlicht an Köpfen, Organisation und Geld, so die knappe Feststellung. Hinzu komme die besondere deutsche Belastung durch das Dritte Reich: Jeder politische Ansatz von konservativer, gar „rechter“ Seite stehe unter Verdacht – ein kaum bezwingbares Handicap. Offenbar geht es uns auch noch immer zu gut – trotz der von Sarrazin gerade schonungslos beschriebenen Lage. „Vermutlich ist das Problem eine Dekadenzerscheinung“ (Kühn), in anderen Ländern bestehe „eine viel größere innere Freiheit, sich als Konservativer zu positionieren“ (Feldmeyer).

So wird sich offenbar die Lage erst noch weiter verschärfen müssen, bis ein politisches Korrektiv zutage tritt – oder aber es kommt Erneuerung von einer Seite, die niemand erwartet. Vielleicht indem sich die Sozialdemokraten auf Tugenden besinnen, wie sie Thilo Sarrazin prägen?

Die Apathie, mit der die Union auf das Kesseltreiben gegen den aufrechten Sozialdemokraten reagiert, sagt alles: Sarrazin spricht Probleme der maroden Hauptstadt in einer der Krise angemessenen, schonungslosen Offenheit an, die bürgerlichen Politikern gut zu Gesicht stünde. Doch diese schweigen oder stellen sich sogar an die Spitze derjenigen, die seinen Rücktritt fordern.

Noch ist es verfrüht, über die Politik einer erst zu bildenden schwarz-gelben Bundesregierung zu richten. Weder liegt ein Koalitionsvertrag noch die fertige Kabinettsliste vor. Daß die ersten Treffen aber in der NRW-Landesregierung stattfanden, ist ein Omen: Jürgen Rüttgers ist der engagierteste Verfechter der Sozialdemokratisierung der CDU.

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