© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/09 09. Oktober 2009

Die Lager formieren sich
Parteienlandschaft: Der schwarz-gelben Koalition steht ein Block aus SPD, Linkspartei und Grünen gegenüber / Machtperspektive Rot-Rot-Grün
Paul Rosen

Es gibt zwar keine Koalition in der Opposition, aber die Bundestagswahl hat ein Nebenergebnis: Die politischen Lager, bislang von der Großen Koalition verdeckt, sind wieder da. Wer bei den Sozialdemokraten langfristig denkt, kann in dem Desaster des 27. September auch eine Chance für den nächsten Wahlgang 2013 sehen. Dann wird ein linker Block der drei Parteien SPD, Grüne und Linkspartei gegen den bürgerlichen Block von Union und FDP stehen. Die Propagandisten der Sozialdemokratie in den Medien jubeln bereits: „Die Welt ist wieder in Ordnung. 2013, das ist absehbar, steht Schwarz-Gelb gegen Rot-Rot-Grün“, freute sich Hans-Ulrich Jörges im Stern.

Immer größere Teile der SPD sehen das inzwischen genauso und versuchen, die Plätze für 2013 zu sichern. Auffällig war, daß gerade der Berliner Landesverband der SPD wenige Stunden nach der Wahl eine Erklärung zimmerte, in der es hieß, Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier (53) und SPD-Chef Franz Müntefering (69) müßten weg, denn ihre Namen seien „untrennbar mit der Agenda-Politik“ von Ex-Kanzler Gerhard Schröder und mit der Großen Koalition verbunden. Steinmeier hatte zu diesem Zeitpunkt noch überlegt, nicht nur nach dem Fraktionsvorsitz im Bundestag zu greifen, sondern auch als Nachfolger von Müntefering nach der Führung der geschwächten Partei.

Nach der Intervention des Berliner Landesverbandes, hinter der mit einigem Recht der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit vermutet wird, und anderer SPD-Landesverbände machte Steinmeier einen Rückzieher und verzichtete auf den Parteivorsitz. Müntefering wollte danach zwar im Amt bleiben. Er wolle „mithelfen, daß wir uns in den nächsten Wochen in geordneter Weise aufstellen“. Er gab jedoch schnell seinen Verzicht bekannt, als ihm klargemacht wurde, daß die Mehrheit andere personelle Vorstellungen hat.

Die Wahl fiel auf den bisherigen Umweltminister Sigmar Gabriel. Der im September 50 Jahre alt gewordene Niedersachse, wegen seiner Leibesfülle auch als „Biotonne“ verspottet, hatte mit einem klaren Anti-Atom-Wahlkampf Aufmerksamkeit errungen und sich parteiintern beliebt gemacht, auch wenn er zuvor im Ruf eines Luftikus stand und in der Partei umstritten ist. Sein niedersächsischer Landesverband verweigerte ihm sogar einen guten Listenplatz für die Bundestagswahl. Gabriel verzichtete daraufhin ganz, kam aber trotzdem in den Bundestag, weil er im Wahlkreis mit 44,9 Prozent direkt gewählt wurde.

Doch erst wenn man sieht, wer Gabriel auf dem Parteitag vom 13. bis 15. November in Dresden an die Seite gestellt werden soll, dann weiß man, wie die SPD in Zukunft wirklich ticken wird. Ausgerechnet Andrea Nahles (39), von der schon Müntefering nichts wissen wollte und mit der der Schröder-Mann Gabriel kein Wort sprach, soll neue Generalsekretärin der Partei werden. Die linke Flügelfrau Nahles, die Volksfront-Bündnisse mit der Linkspartei anstrebt, übernimmt damit die Herrschaft über den Parteiapparat – eine Schlüsselfunktion. Gabriel, der seinen neuen Job selbst als „Himmelfahrtskommando“ bezeichnet haben soll, kann sich derweil an Kanzlerin Angela Merkel und der schwarz-gelben Regierung abarbeiten. Eine nette Anekdote vom SPD-Parteitag 2007 besagt übrigens, daß Gabriel Nahles dafür verantwortlich gemacht haben soll, daß er bei der Wahl zum SPD-Präsidium durchfiel.

Nicht nur wegen dieser Vorgeschichten gibt es innerhalb der Partei kaum Zweifel, daß die neue Troika Gabriel, Nahles und Steinmeier eine Fehlbesetzung ist. Gabriel wäre für die Fraktionsführung besser geeignet gewesen, weil er über die für das Parlament notwendige Kampfkraft und Rhetorik verfügt. Steinmeier steht dagegen eher für den Typ des Geheimrats oder Staatssekretärs. Er wird seine frühere Chefin Merkel bestenfalls ergänzen, aber nie bekämpfen können. Und Nahles paßt weder zu Steinmeier noch zu Gabriel.

An der Zusammenarbeit mit der Linkspartei scheiden sich die SPD-Geister immer noch. Die nordrhein-westfälische Landesvorsitzende Hannelore Kraft (48), die in der Tradition der alten Ruhrpott-SPD steht, lehnt Bündnisse ab. „Wir suchen die Auseinandersetzung, nicht die Zusammenarbeit.“ Die Linkspartei sei bisher weder inhaltlich noch personell koalitions- oder regierungsfähig. Der SPD-Finanzpolitiker Joachim Poß meinte, die SPD habe „keine Veranlassung“, sich der Linkspartei anzunähern. „Wir sind eine Partei der linken Mitte und wären nicht mehr mehrheitsfähig, wenn wir das aufgeben würden“, so Poß in der Frankfurter Rundschau.

Diese Positionen der SPD-Rechten blieben nicht ohne Widerspruch. Die Juso-Vorsitzende Franziska Drohsel (29), die ihre Stichworte bei Nahles abzuholen pflegt, erklärte bereits, eine rot-rot-grüne Koalition dürfe nach der Bundestagswahl 2009 nicht ausgeschlossen werden: „Es muß Schluß sein mit dem kategorischen Nein einer Zusammenarbeit mit der Linkspartei im Bund.“ Für den früheren Juso-Vorsitzenden Björn Böhning (31) ist ein Bündnis mit der Linkspartei kein Problem, sofern sie außenpolitischen Ballast abwerfe. Eine wichtige Stimme unter den Sozialdemokraten hat der scheidende Arbeitsminister Olaf Scholz, der sich sicher ist, daß die SPD-Festlegung gegen ein Bündnis mit den Linken 2009 „das letzte Mal“ erfolgt sei.

Vermutlich wird es schon in der neuen Legislaturperiode zu neuen Formen der oppositionellen Zusammenarbeit kommen. In der zu Ende gehenden 16. Legislaturperiode hatten Grüne, Linksfraktion und FDP zu einem guten Arbeitsverhältnis in den beiden Untersuchungsausschüssen gefunden, auch wenn Linke und FDP Lichtjahre voneinander entfernt sind.

Diese ideologischen Unterschiede sind in der neuen Opposition nicht mehr so groß. Hinzu kommt, daß die SPD die kleineren Konkurrenten nicht erdrücken und sich nicht in der Öffentlichkeit als alleinige Opposition aufspielen kann. Denn so klein sind die „Kleinen“ nicht mehr. Die Linksfraktion ist halb so groß wie die SPD-Fraktion. Aufgrund der an Wahlergebnisse und Fraktionsgrößen gekoppelten Zuschüsse des Staates kann die SPD viele Aufgaben nicht mehr wahrnehmen, die eine Volkspartei früher selbstverständlich erledigt hätte. Sie verlor 76 Abgeordnete, die wiederum 300 Mitarbeiter hatten, die jetzt auf der Straße stehen. Die SPD-Fraktion wird vermutlich weitere Mitarbeiter entlassen müssen und verliert damit auch deren Sachverstand. Auch der SPD-Parteizentrale fehlen vier Millionen Euro jährlich aus der Wahlkampfkostenerstattung.

Das ruft nach Arbeitsteilung in der Ausschußarbeit, da Linke und Grüne erheblich mehr Abgeordnete und Mittel als in der letzten Legislaturperiode haben. Die Zusammenarbeit hat sogar in der zu Ende gehenden Legislaturperiode funktioniert, wenn die Öffentlichkeit nicht so genau hinschaute, etwa im Ältestenrat oder Präsidium des Bundestages, wo SPD, Linksfraktion und Grüne eine Mehrheit hatten und nutzten. Im Plenum jedoch zierte sich die SPD aus Koalitionsräson, indem sie sich etwa dem Grünen-Vorstoß einer Änderung des Wahlgesetzes zur Abschaffung der Überhangmandate nicht anschließen wollte.

Allerdings gibt es auch in der neuen Linksfraktion genug Kräfte, die schon den direkten Blickkontakt mit SPD-Abgeordneten für Verrat an der Arbeiterklasse halten dürften. Besonders viele Dogmatiker vermutet man in den Reihen der nordrhein-westfälischen Abgeordneten, etwa die einschlägig ausgewiesenen Kommunistinnen Ulla Jelpke oder Sahra Wagenknecht. Dennoch wird eine Mehrheit der neuen Linksfraktion zur Zusammenarbeit mit der SPD bereit sein.

Die Zusammenarbeit wird den Linken um so leichter fallen, wenn 2013 ein alter Freund rot-roter Koalitionen das Ruder in der SPD übernehmen wird. Es ist ein offenes Geheimnis unter den Sozialdemokraten, daß Wowereit an die Spitze strebt und 2013 Bundeskanzler werden will. Er regiert bereits in Berlin problemlos mit den Post-Kommunisten. „Rot-Rot-Grün wäre nur mit einer völlig erneuerten SPD möglich“, so Wagenknecht.

Voraussetzungen wären die Abschaffung von Hartz IV und der Rückzug der Bundeswehr aus Afghanistan. Andere Kräfte in der Partei weisen darauf hin, daß die Regierungsbeteiligung in Berlin nicht geschadet habe und Sorgen der Fundi-Fraktion vor zurückgehenden Wahlergebnissen bei Eingehen von Koalitionen unbegründet seien. Verklammert werden SPD und Linke auch durch die DGB-Gewerkschaften. Früher waren fast alle Funktionäre in der SPD. Inzwischen arbeiten SPD- und Linkspartei-Gewerkschafter Seite an Seite.

Die Grünen haben fast keine andere Wahl, als bei diesem Projekt mitzumachen. Die wenigen Träume von Schwarz-Grün erfüllten sich auf Länderebene bisher nur in Hamburg – eine absolute Ausnahmesituation. Jetzt wollen die Grünen ihre Bandbreite vergrößern und sind offenbar bereit, das Erbe von Gerhard Schröders Agenda 2010 zu verwalten. Fraktionschefin Renate Künast verspricht aber, daß es „keine Harmoniesauce“ in der Opposition geben werde.

Mit einem rot-rot-grünen Bündnis haben die Grünen, deren Funktionäre ihre politischen Karrieren nur zu oft in kommunistischen Grüppchen begannen, keine Probleme. Sie müssen vielmehr als kleinste Oppositionsfraktion aufpassen, daß sie neben den beiden größeren noch wahrgenommen werden.

Foto: SPD-Politiker Sigmar Gabriel, Klaus Wowereit, Andrea Nahles, Linkspartei-Chefs Oskar Lafontaine und Gregor Gysi: Nach dem Desaster der SPD werden die Karten neu gemischt

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen