© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/09 09. Oktober 2009

Hormone zum Lutschen
Umweltschutz: Hormonartig wirkende Chemikalie in Marken-Schnullern gefunden / Schadstoffimport durch Containertransport?
Michael Howanietz

Untersuchungen der österreichischen Umweltorganisation Global 2000 ergaben, daß von zehn getesteten Baby-Schnullern fünf mit der bei der Herstellung von Polykarbonat verwendeten, hormonell wirksamen Chemikalie Bisphenol A (BPA) belastet sind. Betroffen seien, so die Studienautoren, die Saugteile von sämtlichen vier untersuchten Latex-Schnullern und eines der sechs getesteten Silikon-Produkte.

Die Ergebnisse wurden vorige Woche auch vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) bekanntgegeben. Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) will nun eigene Analysen durchführen. Säuglinge und Kleinkinder reagieren besonders empfindlich auf Schadstoffe wie BPA, warnte Ibrahim Chahoud, Toxikologe an der Berliner Universitätsklinik Charité: „Hormone spielen eine wichtige Rolle bei der Entwicklung von Organen. Ist der Körper künstlichen hormonähnlichen Stoffen ausgesetzt, können diese das empfindliche Gleichgewicht der natürlichen Hormone stören.“

All das ist um so bedenklicher, da schon früher hormonell wirkende Schadstoffe in Trinkflaschen und Spielzeugen nachgewiesen wurden. Ob die BPA von vornherein in den Saugteilen enthalten waren oder aber aus den Schilden, den festen Bestandteilen, „eingewandert“ sind, ist für Chemiker Helmut Burtscher noch „rätselhaft“. Nicht der eigentliche BPA-Gehalt, sondern  genau dieser „Migrationswert“ aber sei entscheidend, so Dietmar Österreicher vom Wiener Verbraucherschutzministerium. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) legte den Grenzwert für die tägliche Aufnahmemenge mit 0,05 mg pro Kilogramm Körpergewicht fest. Diesen Wert erkennt Global 2000 nicht an, da er auf von der Industrie finanzierten Studien beruhe. In den USA gelte nicht zufällig ein um den Faktor 2000 geringerer Grenzwert.

Andere Flaschen, die allerdings millionenfach verkauft werden, gerieten bereits vor Monaten ins Visier von Konsumentenschützern, nachdem Experten der Frankfurter Goethe-Universität hormonähnliche Substanzen in PET-Plastikflaschen vorgefunden hatten. Die auf Erdöl-Basis hergestellten und nicht überall mit 25 Cent bepfandeten Einwegflaschen sind somit nicht nur von umwelt-, sondern auch gesundheitspolitischer Relevanz. Einerseits treten sie als Mitverursacher wachsender Kunststoffmüllberge an Land und ausufernder Plastikmüllkontinente auf den Ozeanen in Erscheinung. Andererseits können darin enthaltene Hormonstoffe möglicherweise Stoffwechselstörungen, Prostatavergrößerung und Brustwachstum hervorrufen und die Entstehung von Diabetes begünstigen. Der Toxikologie-Professor Gilbert Schönfelder von der Universität Würzburg fordert die zuständigen Behörden deshalb zu mehr Engagement und Verantwortungsbewußtsein auf.

Im Zuge des Forschungsprojekts „Hormone in PET-Flascheninhalten“ war erhoben worden, daß die im Kunststoff enthaltenen hormonähnlichen Substanzen ausgewaschen werden, in die abgefüllten Getränke und damit in den Organismus des Verbrauchers gelangen. Davon sind Limonaden ebenso betroffen wie 12 von 20 untersuchten Mineralwässern. Die Ursachenforschung indes wird durch die zum Betriebsgeheimnis verklärte Verschwiegenheit der Hersteller erschwert, die sich bislang weigern, die genaue Zusammensetzung ihrer Kunststoffe bekanntzugeben.

Bei den auf globalisierten Transportwegen und Weltmärkten millionenfach zum Einsatz gelangenden Frachtcontainern ist weniger die Hülle als deren Vorbehandlung das Problem. Von der Begasung, die Schädlings- und Schimmelbefall verhindern soll, ist, so schätzen Toxikologen, mindestens ein Drittel der Importcontainer betroffen. Hierbei gelangen Schädlingsbekämpfungsmittel wie Brommethan (das durch die Haut aufgenommen wird und in hohen Dosen tödlich ist), Phosphorwasserstoff und sogar das Kampfgas Trichlornitromethan (Grünkreuz-1) zum Einsatz.

Trotz aller Gesundheitsbedenken fördert die EU den Einsatz, da etwa hölzerne Verpackungsmaterialien in genannter Weise behandelt werden müssen, um bestimmte tropische Insektenarten (Bioinvasoren) aus Europa fernzuhalten. Brüssel verlangt zwar eine Kennzeichnungspflicht begaster Container – doch die Einhaltung wird kaum kontrolliert. Kopfschmerzen, Hautreizungen, Übelkeit, Augenentzündungen, Asthma und Krebs werden von Umweltmedizinern als Langzeitschäden für regelmäßig mit den Containern in Berührung kommende Hafenarbeiter prognostiziert. Für Konsumenten ergeben sich die Risiken aus der mitunter monatelangen Verdunstungsdauer der Gasrückstände.

Da in den Containern auch Textilien, Spielzeug und Lebensmittel anreisen, ist praktisch jeder betroffen, der Produkte aus Übersee kauft. Kranke müssen mit zusätzlichen Nebenwirkungen importierter Pharmaprodukte rechnen, da die zur Anwendung gelangenden Giftgase die Wirkeigenschaften von Medikamenten verändern können. Die Globalisierung hat viele Schattenseiten.

Die Schnuller-Testergebnisse finden sich unter www.bund.net und www.global2000.at

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