© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/09 09. Oktober 2009

WIRTSCHAFT
Dollar-Votum
Wilhelm Hankel

In der Finanzwelt wird abgestimmt wie in der politischen – in der Regel nach dem Geldbeutel. Die erste Abstimmungsniederlage erlebte der US-Dollar vor 36 Jahren. Die europäischen Staaten entzogen ihm seine Lizenz als offizielle Recheneinheit des Währungsfonds (IWF), sie lösten das Bretton-Woods-System von 1944 auf. Die US-Währung war nicht mehr Grundlage der Wechselkursberechnung, sie mußte wie alle übrigen Währungen „floaten“. Doch das Mißtrauensvotum ist dem Dollar gut bekommen. Er blieb im Geschäft und globale Handels- und führende Währung an den Weltkapitalmärkten. Drei Jahrzehnte anschwellender US-Leistungsbilanzdefizite konnten ihm diese Rolle nicht nehmen. Alle übrigen Währungen der Welt waren entweder (noch) schlechter oder entbehrten der Grundlage einer weltweit vernetzten finanziellen Infrastruktur. Doch in der Finanzkrise der Gegenwart droht dieses Netz zu zerreißen.

Die weiter rollende Pleitewelle im US-Banken- und Versicherungssystem untergräbt das Vertrauen der Anleger. Den USA droht die Gefahr, sich von einem Kapitaleinwanderungsland in eins der Kapitalauswanderung zu verwandeln – was erhebliche Konsequenzen für das Wachstumspotential ihrer Volkswirtschaft (die auf Auslandsersparnisse angewiesen ist) und den Lebensstandard der US-Bürger hätte. Noch ist nicht klar, ob der deutliche Rückgang der US-Leistungsbilanzdefizite im Jahresverlauf 2009 auf das mangelnde Vertrauen in den US-Dollar zurückgeht oder bereits erste Frucht der Sanierungsanstrengungen der Obama-Regierung ist. Der Euro profitiert mal wieder von der Schwäche des US-Dollars, hat aber keine Chance, ihn zu beerben. Die ausufernden Verschuldungslasten der meisten Euro- und EU-Staaten nehmen ihm diese Chance.

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