© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/09 09. Oktober 2009

Gut gejault, Löwe
Wer von Bürgerrechten spricht, darf vom Paragraphen 130 nicht schweigen: Hat die FDP das Zeug zur Trendwende?
Thorsten Hinz

Die FDP empfiehlt sich als kraftvolle Bürgerrechtspartei: Das Bankgeheimnis soll wiederhergestellt, die Steueridentifikationsnummer abgeschafft, die Telefon- und Videoüberwachung zurückgedrängt bzw. strengeren Regeln unterworfen werden. Gleiches gilt für die Internetüberwachung. Der Kernbereich der privaten Lebensgestaltung soll dem wachsamen Auge des Staates entzogen bleiben, weshalb die Liberalen den „großen Lauschangriff“ ablehnt. Es sei dahingestellt, ob letzteres nicht zu 99 Prozent den Schwer- und Bandenkriminellen zugute kommt.

Das Wichtigste aber fehlt. Wer die Bürgerrechte stärken bzw. wiederherstellen will, muß das Delikt der „Volksverhetzung“ abschaffen, das praktisch dazu dient, das Recht auf Information, auf freie Meinungsäußerung, auf Demonstrations- und Organisationsfreiheit zu unterdrücken. Politische Debatten werden bösartig, fanatisch, denunziatorisch und zum Tummelplatz der entsprechenden Charaktere. Dem Bürger werden seine Artikulationsmöglichkeiten und schließlich -fähigkeiten genommen, die Folgen sind die individuelle und kollektive Verblödung.

Als Galionsfigur im Kampf um die Bürgerrechte stellt die FDP Sabine Leutheusser-Schnarrenberger heraus, die auch als neue Justizministerin im Gespräch ist. Sie hatte dieses Amt schon von 1992 bis 1995 unter Helmut Kohl inne. Ausgerechnet in ihrer Amtszeit wurde der Volksverhetzungsparagraph 130 um den Straftatbestand der Holocaust-Leugnung erweitert, der damit keineswegs der Sicherung einer historischen Wahrheit dient – die Wahrheit hat, weil ihre Autorität selbsttätig ist, solchen Schutz überhaupt nicht nötig –, sondern ihren Ausnahmecharakter festlegen soll und neben der Meinungs- auch die Wissenschaftsfreiheit beschneidet.

Eine dritte Aufgabe bestünde darin, dem Verfassungsschutz (VS) die Teilnahme an innen- und parteipolitischen Debatten zu untersagen. Sonst droht einerseits der Mißbrauch des VS durch die aktuellen Inhaber staatlicher Ämter und andererseits ein unkontrollierbarer Macht- und Bedeutungszuwachs des Inlandsgeheimdienstes. Häufig spiegeln die Berichte nur die Affekte mediokerer Mitarbeiter wider, die um ihre Planstellen besorgt sind. Eine Kritik, wie sie kürzlich der niedersächsische Verfassungsschutzpräsident am Bundesverfassungsgericht wegen dessen NPD-Entscheidung übte, müßte die umgehende Absetzung dieses Mannes zur Folge haben.

Ob die FDP tatsächlich dazu berufen und fähig ist, eine Trendwende herbeizuführen? Auf das Ergebnis der Koalitionsverhandlungen, die bis Ende des Monats abgeschlossen sein sollen, sind wir gespannt.

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