© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  43/09 16. Oktober 2009

Vorschußlorbeeren aus Oslo
Friedensnobelpreis: Ob die Auszeichnung den drohenden politischen Absturz von US-Präsident Barack Obama aufhalten kann, ist fraglich
Günther Deschner

Theodore Roosevelt hatte ihn in seiner zweiten Amtszeit erhalten, Woodrow Wilson ebenfalls. Beim dritten US-Präsidenten, der den Friedensnobelpreis erhält, reichten neun Monate, um das norwegische Komitee zu überzeugen. Er habe „die internationale Diplomatie und die Zusammenarbeit zwischen den Völkern gestärkt“, so heißt es in der Begründung. Meßbare Erfolge von Barack Obama, vollbrachte Taten waren zweitrangig für die Entscheidungsfindung der Jury, die politisch so bunt wie das Osloer Parlament ist.

„Yes, we can!“ – mit dieser schlichten Botschaft war der Senkrechtstarter aus Chicago ins Weiße Haus gelangt. Gefeiert wie ein neuer Messias, wurde er in den ersten Monaten seiner Amtszeit von der Freude über das Ende der Ära von George W. Bush getragen, die Amerika in die Isolation geführt hatte. Vom Tag seiner Amtseinführung an hat Obama viele bewegende Reden gehalten, mit denen er den großen Horizont einer „neuen Politik“ absteckte. Mit Charisma, Gespür für große Worte und deren Wirkung hat er Türen für eine Veränderung des Klimas in den internationalen Beziehungen aufgestoßen.

Seine Unbefangenheit und sein Elan haben die Welt hoffen lassen, bislang unlösbar verschlungene Knoten ließen sich ohne Schwerthieb entwirren. In seiner Grundsatzrede, die er in Kairo hielt, bot er den 1,2 Milliarden Muslimen dieser Welt einen Neuanfang an. Er hat Schluß gemacht mit Bushs Humbug von der „Achse des Bösen“ und den Abzug aus dem Irak eingeleitet. Auch gegenüber Moskau hat er konziliantere Töne angeschlagen. Er hat sich rhetorisch zum Anwalt atomarer Abrüstung gemacht. Er hat in Afrika an die Erbsünde des sklavenhaltenden Amerika erinnert, von den dortigen Gesellschaften aber auch verlangt, ihre Zukunft in eigener Verantwortung zu gestalten.

Er hat der Welt das Signal gegeben, daß Amerika damit aufhören will, sich als entfesselte, herrische Supermacht aufzuführen. Ein offener und kritischer Umgang miteinander und gegenseitiger Respekt sollten die Säulen der künftigen internationalen Zusammenarbeit bilden. Das zumindest ist die Botschaft, die Obama der Welt vermitteln wollte und von der man annehmen darf, daß sie mehr war und ist als bloßes diplomatisches Kalkül.

Doch in der harten Realität läuft er seinen Visionen, Verheißungen und Versprechen bislang hinterher. Von Monat zu Monat mehr ist der Heilsbringer von der „normativen Kraft des Faktischen“ eingeholt worden und auf dem harten Boden der Tatsachen gelandet. Der politische Absturz des Hoffnungsträgers Obama hat bereits begonnen – und er läuft beinahe synchron mit seiner sehr offenen Kritik am israelischen Siedlungsprogramm und seinen harten Forderungen an Premier Benjamin Netanjahu.

Enttäuschungen bei Obamas politischen Anhängern

In manchen Umfragen landete Obama im Beliebtheitsgrad sogar hinter Bush – also weit unten. Selbst politische Freunde zweifeln schon. Im Sommer entschied er sich gegen Strafverfahren gegen mögliche CIA-Folterer und ihre Befehlsgeber im Weißen Haus – aus Staatsräson, die ihm viele aber ebenso als kaltschnäuziges machtpolitisches Kalkül ankreiden wie sein Zögern bei der Umsetzung seines Wahlversprechens, das berüchtigte US-Gefangenenlager Guantánamo zu schließen. Weitere innenpolitische Probleme werden Obamas verbleibende Amtszeit belasten: Das Schuldenmachen zur Eindämmung der gefährlichsten Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten – Konjunkturprogramme, Bankenrettung, die Stützung der Autoindustrie – hat ein Billionen-Loch in den US-Haushalt gerissen. Auch seine große Gesundheitsreform droht immer mehr zum innnenpolitischen Debakel zu geraten (JF 39/09).

Gleichzeitig müssen die USA weiterhin Milliarden für einen Krieg in Afghanistan ausgeben, den Obama seinen Landsleuten als „notwendig“ verkauft hat. Der Präsident ließ die US-Truppenstärke in Afghanistan um 21.000 Mann erhöhen, und dennoch scheint auch „Obamas Krieg“ aus dem Ruder zu laufen. Die Nachrichten sind schlecht. Die Generäle fordern noch mehr Soldaten, sonst sei ein „Scheitern“ in Afghanistan nicht mehr auszuschließen. Schon geistert das unheilschwangere Wort von „Obamas Vietnam“ durch Washington.

Bei nüchterner Betrachtung zeigt Obamas bisherige Bilanz mehr rote als schwarze Zahlen. Den schönen Worten sind bislang nur wenig Taten und noch weniger meßbare Ergebnisse gefolgt. Der operative Erfolg seiner Bemühungen ist minimal. Daß Politiker gerade in einem solchen Moment mit dem Friedensnobelpreis geehrt werden, in dem sie noch mehr Soldaten, Drohnen und Kampfflugzeuge in einen Krieg mit unabsehbarem Ausgang schicken, an diese Logik wird sich die Welt erst gewöhnen müssen.

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