© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  43/09 16. Oktober 2009

Er glaubte an die Neugestaltung Europas
Medienkampagne: Die Kritik der Schweizer „Weltwoche“ an Le Corbusier blendet historische Zeitumstände aus
Karlheinz Weissmann

 Die Erinnerung an den Architekten Le Corbusier, dem gerade eine große Ausstellung im Berliner Martin-Gropius-Bau gewidmet war (JF 36/09), bekommt einen unangenehmen Beigeschmack. Das hängt damit zusammen, daß zuerst in Deutschland, jetzt auch in der Schweiz eine Diskussion darüber entbrannt ist, ob der große Architekt Faschist war.

Die Weltwoche brachte Anfang des Monats eine Nummer mit seinem Konterfei auf der Umschlagseite und dem Titel „Le Corbusier bewunderte Hitler und die Nazis“, in der jüngsten Ausgabe geht es darum, die Tatsache zu skandalisieren, daß Le Corbusiers Kopfbild auf der neuen Zehn-Franken-Note erscheinen wird. Das Ziel der Aufsätze von Philipp Gut ist offensichtlich: Leben und Werk eines Mannes „einzubräunen“, der sonst unbestritten zu den Meistern moderner Baukunst zählt. Dessen Verehrer sind, wie Gut betont, vor allem im linksliberalen Milieu zu suchen und nehmen von den politischen Auffassungen Le Corbusiers an, daß sie den eigenen entsprechen.

Im Zentrum der Kritik stehen deshalb nicht die Unbewohnbarkeit vieler von ihm entworfener Häuser oder die Inhumanität seiner Stadtplanungen, sondern gelegentliche Antisemitismen sowie die devoten Briefe, die er nach dem deutschen Sieg im Juni 1940 an den Chef des Etat Français, Marschall Pétain, geschrieben, und der Umgang, den er mit verschiedenen Kollaborateuren gepflegt hat.

Le Corbusier rückt damit in die Nähe von Künstlern wie Leni Riefenstahl, Veit Harlan, Josef Thorak oder Arno Breker – auf den Vergleich mit dem Architekten Albert Speer ist noch keiner verfallen –, die sich dem NS-Regime zur Verfügung stellten und deshalb in der Nachkriegszeit verfemt wurden, ohne daß ihre Begabung und ihre Fähigkeiten zu bestreiten waren. Gut weist darauf hin, daß Le Corbusier, der die französische Staatsbürgerschaft erworben hatte, die Niederlage des eigenen Landes und den deutschen Sieg als Auftakt zur „Verbesserung der Welt“ betrachtet habe, was Grund genug zur Entlarvung ist: „nun gerät das Monument ins Wanken und die schöne Fassade zeigt Risse“. Wäre Le Corbusier mit seinen Vorschlägen erfolgreich gewesen, hätte er, so Gut, „zu einem Großbaumeister des totalitären Zeitalters“ werden können.

Was an der Beurteilung irritiert, ist der moralisierende Ton, in dem über „politische Verstrickungen“ gehandelt wird, die im Fall eines Künstlers, der mit dem Kommunismus sympathisiert hätte, kaum Erwähnung fänden. Man stelle sich die Figur des bedeutenden Schweizer Architekten „S“ vor, einflußreich in der linken Kulturszene, Mitglied der KP, der zuerst in die Sowjetunion ging, bis er sein Können dann der DDR zur Verfügung stellte, die ihm zahllose Trabantenviertel verdankte. Jeder weiß, daß „S“ nur an seinem Werk gemessen würde und niemand fragte, wer denn auf den Baustellen gearbeitet hat und mit wem er sich gemein machte, um sein „Bedürfnis nach Monumentalität“ – ein Diktum des schweizerischen Architekten und Architekturtheoretikers Sigfrid Giedion – abzusättigen, das in der engen Heimat nicht abzusättigen war.

Anders der „Fall“ Le Corbusier. Es wird dabei nicht wirklich Neues bekanntgemacht, eher wirkt es so, als ob in regelmäßigen Abständen die Erkenntnisse der historischen Forschung in Vergessenheit geraten und dann der einmal erreichte Stand mühselig zu rekonstruieren bleibt. Konkret geht es um zwei Aspekte: einen biographischen und einen allgemein-geschichtlichen.

Was die Biographie betrifft, so sind nicht nur extreme Ichbezogenheit und Eitelkeit Le Corbusiers hinreichend bekannt, sondern auch sein Opportunismus: Opportunismus weniger gespeist aus Charakterschwäche als vielmehr aus der ganz zweckhaften Suche nach „Gelegenheiten“, um seine gigantischen Projekte in die Tat umzusetzen. Solche Gelegenheiten konnten ihm nur die verschaffen, die über ungewöhnliche Machtmittel verfügten und entschlossen waren, sich durch Bauwerke ein Denkmal zu setzen.

Entsprechend hatte Le Corbusier Ende der zwanziger Jahre Kontakt zu sowjetischen Stellen aufgenommen und Stalins Fünfjahresplan als „heroisches und wahrhaft majestätisches“ Programm bezeichnet, das nur dem Zweck diene, den Sowjetmenschen modern und glücklich zu machen. Der Rechten galt er damals als Salonbolschewist und „Brandfackel Moskaus“ im Westen. Das war allerdings ein Mißverständnis, Le Corbusier interessierte sich gar nicht für Ideologie, und bezeichnenderweise kam es zum Bruch, nachdem er beim Wettbewerb um die Ausführung des Palasts der Sowjets scheiterte.

In der Folge diente er sich nach Stalin auch Mussolini erfolglos an und dann eben Pétain. Der war allerdings die denkbar schlechteste Wahl, was vor allem mit der konservativen Grundstruktur seines Denkens zusammenhing, das ihm Le Corbusiers Idee einer vollständigen Planierung der Pariser Innenstadt, die dann mit gigantischen Gebäuden und überbreiten Straßen neu gestaltet werden sollte, absurd erscheinen lassen mußte, gar nicht zu reden von Geschmacksfragen, die beide trennten.

Daß Le Corbusier überhaupt eine Realisierung für denkbar hielt, hängt mit der allgemeinen historischen Entwicklung in den Jahren 1940 bis 1942 zusammen. Der Sommer 1940 bedeutete den Triumph der Wehrmacht. In den unterworfenen wie den neutralen Ländern war die Annahme verbreitet, daß die Hegemonie des Reiches auf dem Kontinent eine ebenso unbestreitbare Tatsache sei wie die überlegene Effizienz des deutschen Systems und die Notwendigkeit, sich dem „Neuen Europa“ einzufügen.

Diese Auffassung teilte ein Großteil der Bevölkerung mit den politisch Verantwortlichen, auch denen, die keiner Sympathie für Hitler verdächtig waren, darunter Papst Pius XII. die Könige von Belgien und Schweden oder der Schweizer Bundespräsident, Marcel Pilet-Golaz. Die Niederlage der Westmächte erschien faschistischen Intellektuellen ebenso wie dem NS-System fernstehenden Denkern als Ergebnis einer Zwangsläufigkeit.

Der Schriftsteller André Gide attestierte Hitler Einsicht in die „Realitäten“, und der katholische Philosoph Pierre Teilhard de Chardin schrieb in einem Brief aus dem fernen Peking: „Ich persönlich halte an meiner Überzeugung fest, daß wir heute nicht den Untergang, sondern die Geburt einer Welt erleben (…) Frieden kann nichts anderes bedeuten als einen höheren Prozeß der Eroberung. Die Welt muß denen gehören, die die aktivsten Elemente darin sind (…) Im Augenblick verdienen die Deutschen den Sieg, denn – wie verworren oder böse ihre geistige Triebkraft auch sein mag – sie haben mehr davon als der Rest der Welt.“

Das war nicht sehr weit entfernt von Le Corbusiers Äußerung in einem Brief: „Wenn es ihm mit seinen Ankündigungen ernst ist, kann Hitler sein Leben mit einem großartigen Werk krönen: der Neugestaltung Europas.“

Für etwa eineinhalb Jahre war die prodeutsche Stimmung vorherrschend, irritiert allein durch den Widerstand Großbritanniens, aber nicht durch den Angriff auf die Sowjetunion, den sogar das – demokratisch gewählte – dänische Parlament begrüßte, verändert nach dem Kriegseintritt der USA und dann den Rückschlägen an der Ostfront und erledigt mit der Niederlage von Stalingrad.

In diesem Zeitraum aber erscheint das Verhalten Le Corbusiers erwartbar, die in dem Text von Gut zitierten Sympathiebekundungen für einzelne Kollaborateure oder deren Programmatik genügen jedenfalls nicht, ihn als „Faschisten“ im genaueren Sinn zu kennzeichnen. Manches war einfach geschmacklos, anderes unbedacht und weicht weder in der einen noch in der anderen Richtung von dem ab, was man von Intellektuellen gewohnt ist, zumal von so exaltierten wie Le Corbusier. Er glaubte einfach wie viele im „Neuen Europa“, daß die Zukunft den totalitären Regimen gehöre, und deren Interesse an einer Ästhetisierung des Politischen kam ihm als Künstler entgegen. Wenn von hier aus ein Schatten auf ihn fällt, dann verdunkelt der auch vieles andere.

Zum Beispiel Person und Werk des oben erwähnten „S“, der nicht einfach als Gegenbeispiel konstruiert wurde, sondern einen Namen und ein Leben hatte. Gemeint war der Baseler Hans Schmidt, Bruder des bekannten Kunsthistorikers Georg Schmidt. Beide gehörten zur avantgardistischen Szene des „roten Basel“ der Zwischenkriegszeit, Hans Schmidt arbeitete außerdem aktiv in der Führung der Kommunistischen Partei der Schweiz (KPS), die für ihre Moskau-Hörigkeit bekannt war.

Von den geringen Entfaltungsmöglichkeiten in seiner Heimat ebenso bedrückt wie Le Corbusier, ging Schmidt 1930 in die Sowjetunion und stellte Stalin seine Fähigkeiten zur Verfügung, unter anderem zwecks Errichtung neuer Städte jenseits des Ural. 1937 kehrte er zurück. Vom Großen Terror unbeeindruckt, half er die 1940 verbotene KPS im Untergrund zu reorganisieren, übersiedelte aber nach Kriegsende in die SBZ und verbrachte dort die nächsten Jahrzehnte, weil die „Rekonstruktionen“ der DDR-Regierung ihm immer neue Möglichkeiten boten, im Großen zu planen. In der Schweiz gilt er bis heute als Pionier des „Neuen Bauens“ und des „Internationalen Stils“ – über seine ideologische Verblendung und seine aktive Unterstützung des Sowjetsystems kein Wort.

 Foto: Le Corbusier (1887–1965): Die Ästhetisierung des Politischen kam ihm entgegen

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