© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  43/09 16. Oktober 2009

Waldgänger
Joachim Fernau in Wort und Bild
von Harald Harzheim

Wenn ein Mensch die eigene Existenz ohnehin als Unglück betrachtet, fehlt ihm meist die Kraft, Dummheit und Brutalität seiner Umwelt adäquat zu verarbeiten. Wenn dieser Mensch während der NS-Zeit zu seiner jüdischen Verlobten steht, dafür seinen Job als Journalist verliert, ihr aber nicht ins britische Exil folgen kann, weil er eingezogen wird, wenn er gegen seine Überzeugung als Kriegsberichterstatter wirkt und dafür zwanzig Jahre später von einem Germanistikprofessor mit verkappter NS-Vergangenheit öffentlich gekeult wird – kann man diesem Menschen verübeln, daß er zum Eremiten wird, unabhängig um jeden Preis sein will, finanziell und gedanklich? Kaum einer dürfte erraten, daß es sich bei diesem Anarchen, diesem „Waldgänger“ (Ernst Jünger) um den Bestsellerautor Joachim Fernau handelt.

Dokumentiert von Götz Kubitschek und Erik Lehnert finden in einer Bildmonographie, die auf der fragmentarischen Biographie der Witwe Gabriele Fernau basiert, sowohl die Vielseitigkeit von Fernaus Werk, der zeitgeschichtliche Hintergrund als auch die öffentlichen Reaktionen gleichermaßen Beachtung. Besonders aufschlußreich sind die – prägenden – Jahre des jungen Fernau im Berlin der frühen 1930er Jahre. Eine damalige Liste des Autors über seine Kinobesuche wirft Licht auf die vielfältigen Neigungen, denn unter den Filmen finden sich Vertreter aller Genres: das Melodram „Ariane“ (1930) mit der  von Fernau angebeteten Schauspielerin Elisabeth Bergner, Horrorfilme wie „Der Andere“ (1930), Operetten à la „Dreigroschenoper“ (1931), Politdramen wie „Dreyfus“ (1930) – und sogar ein Doku-Spielfilm über Abtreibung und Kinderkriegen „Frauennot, Frauenglück“ (1929).

Außerdem werden solche Werke, ernsthafte Themen in populärer Sprache vermittelnd, ihre Wirkung auf Fer­naus Genese nicht verfehlt haben. Speziell „Das Flötenkonzert von Sanssouci“ (1930) hat – in seiner Mischung aus Geschichte und Kolportage – dem Friedrich-II.-Verehrer Fernau womöglich bei der Suche nach dem eigenen Stil geholfen. Sogar die Reaktion auf besagte Zelluloidstreifen wird sich bei dessen Büchern wiederholen: von Kritikern oft verrissen, aber vom Publikum geliebt.

Seine Zeit in Berlin und die Unauffälligkeit, mit der sich der NS-Horror langsam in den Alltag schlich, beschrieb Fernau in dem farbigen Berlin-Roman „Die jungen Männer“ (1960). Natürlich ist das Gesamtwerk qualitativ höchst unterschiedlich. Da gibt es Szenarien wie „Komm nach Wien, ich zeig dir was“ oder „Komm nur, mein liebstes Vögelein“ (beide 1955), die selbst hartgesottene Trash-Fans erbleichen lassen und von Rolf Thiele adäquat schlecht verfilmt wurden.

Deutlich höheren Anspruch vertraten seine autobiographischen Romane wie „Ein wunderbares Leben“ (1975), die Lyrik „Totentanz“ (1946/47) und Essays wie „Der Gottesbeweis“ (1967). Aber natürlich waren es die Geschichtsbücher, in denen der Individualist Fer­nau seinen höchsteigenen Stil fand: „Rosen für Apoll“ (1961), „Cäsar läßt grüßen“ (1971), „Halleluja“ (1977) usw. Inzwischen ist Fernaus Rang als Bestsellerautor tiefe Vergangenheit. Zu zeitgebunden sind Stil und Perspektive: Wenn er in „Disteln für Hagen“ (1966) das deutsche Wesen an unbedingter Ideentreue festmacht, spricht er als Vertreter der „Generation Stalingrad“ – womit er heute nur noch begrenzte Identifikationsbereitschaft vorfände. Anderseits macht diese Zeitgebundenheit sein literarisches Schaffen zu einem wichtigen Stück bundesdeutscher Mentalitätsgeschichte. Und als solche läßt sich auch die vorliegende Biographie lesen.

Götz Kubitschek, Erik Lehnert (Hrsg.): Joachim Fernau. Leben und Werk in Texten und Bildern. Edition Antaios, Schnellroda 2009, gebunden, 141 Seiten, Abbildungen, 24 Euro

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