© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  44/09 23. Oktober 2009

Meinungsfreiheit
Sarrazin und die Folgen
Dieter Stein

Wenn es bei der Frankfurter Buchmesse ein Thema gab, das die Besucher bewegte, dann war es nicht China, die Wirtschaftskrise oder die Trägerin des Literaturnobelpreises: Es war Thilo Sarrazin und sein in der Zeitschrift Lettre International vor drei Wochen veröffentlichtes Interview. Sarrazins schnörkellose Sprache hat offenbar mustergültig freigelegt, was die spanischen Wände der politischen Korrektheit verstellt hatten.

„Was sagt Ihre Zeitung zu Sarrazin?“ lautete eine der meistgestellten Fragen am Messestand der JF. Pro oder contra Sarrazin: Das war die Nagelprobe, ob man zur Zeitung griff oder nicht. Ein leitender Beamter, Genosse und Ex-Kollege Sarrazins aus Bonner Tagen, tastete sich vor: Wo die Zeitung denn stehe? Aha, konservativ. Dann ein Blick auf die Schlagzeile der vergangenen Woche: „Die Macht der Tabus – Thilo Sarrazin gelang es, eine Bresche ins Dickicht politisch korrekter Denkverbote zu schlagen“. Entrüstet pocht der Mann mit dem Finger darauf: „Damit ist die Diskussion für mich beendet. Unmöglich! Dieser Mann hat alle jahrelangen Bemühungen um eine gelungene Integration von Ausländern in Deutschland zunichte gemacht!“ Und stürmt davon. Eine Frau wiederum stellt fest: „Ihre Zeitung stellt sich vor Sarrazin? Gut, die nehme ich. Endlich sagt es mal einer!“ Und abonniert.

Bei einer moderierten Messegesprächsrunde analysieren die JF-Autoren Klaus Peter Krause und Wolfgang Philipp die aktuelle wirtschaftliche Lage. Das Thema findet großes Interesse. Stürmischer Beifall kommt jedoch auf, als die Diskutanten dem Präsidenten der Bundesbank, Axel A. Weber, Versagen vorwerfen, weil er Sarrazin wegen seiner Äußerungen teilentmachtet hat. Der Wirtschaftsjurist Philipp stellt fest, daß Sarrazin durchaus seiner Pflicht als Bundesbanker nachgekommen sei, die Währung zu schützen. Schließlich gerate die Währung indirekt auch dadurch unter Druck, daß der Staat sich durch wachsende Transferzahlungen verschulde, die auch integrationsunwillige Ausländer verursachten.

Die Sarrazin-Debatte wird vielleicht einmal als Wendepunkt gedeutet werden, an dem sich die Bedingungen für öffentliche Meinung geändert haben. Noch nie zuvor haben sich abweichende Stimmen so stark über das Internet artikulieren können. Die Kommentarbereiche der Medien quellen über. Alle im Netz gestarteten Umfragen weisen auf eine erdrückende Mehrheit von Deutschen, die dem unbequemen Politiker beipflichtet. Ein FAZ-Herausgeber, der sich in einem Leitartikel vor Sarrazin stellte, offenbarte, daß die Redaktion überschwemmt wurde mit Briefen, aus denen „Empörung“ sprach über die existenzbedrohende Kampagne gegen einen Menschen, nur weil er „die Wahrheit gesagt hat“.

An unseren Stand kam auch eine gebürtige Ägypterin. Ihre Familie verließ die Heimat in den sechziger Jahren und emigrierte nach Deutschland. Sie gehörte der christlichen Minderheit hat. Leise sagt die Frau, Sarrazin habe recht. Sie habe erlebt, welche Bedrohung vom expandierenden Islam ausgehe. Sarrazin hat offenkundig eine Tür aufgestoßen.

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