© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  44/09 23. Oktober 2009

Wenn der Brandschutz das Erinnern behindert
Geschichtspolitik: Am Beispiel des KGB-Gefängnisses in Potsdam zeigen sich exemplarisch die Schwierigkeiten beim Gedenken an die Opfer des Kommunismus
Ekkehard Schultz

Fehlt es der derzeitigen Leitung der Gedenkstätte am ehemaligen KGB-Untersuchungsgefängnis in der Potsdamer Leistikowstraße am nötigen Willen, die Besucher in ausreichendem Maße über die Verbrechen zu informieren, die seit 1945 in diesem Gebäude geschahen? Dieser Vorwurf wurde in der vergangenen Zeit mehrfach von Opfern der kommunistischen Gewaltherrschaft erhoben, zuletzt bei einem Zeitzeugengespräch in der Leistikowstraße, in der sich heute eine Gedenkstätte befindet.

Tatsächlich spielte der Gebäudekomplex für die Repressionspolitik der sowjetischen Besatzungsmacht in Deutschland nach 1945 eine zentrale Rolle. Bereits wenige Wochen nach der Potsdamer Konferenz der Siegerstaaten des Zweiten Weltkrieges richtete der sowjetische Geheimdienst dort ein Untersuchungsgefängnis ein. Es sollte nicht nur für viele Deutsche, sondern auch für zahlreiche Bürger der damaligen Sowjetunion zur gefürchteten Stätte des Schreckens werden: Nach langen Verhören und unter der Folter erzwungenen Geständnissen wurden die Insassen meist zum Tode oder zu langjährigen Lagerhaftstrafen verurteilt und überwiegend zur Zwangsarbeit ins berüchtigte Workuta in Sibirien deportiert. Betroffen waren von dieser Praxis auch zahlreiche Jugendliche zwischen 14 und 19 Jahren, denen Werwolf-Tätigkeit, antisowjetische Agitation oder Spionage unterstellt wurde. Zu Beginn der neunziger Jahre wurden die meisten Betroffenen von sowjetischen Staatsanwaltschaften rehabilitiert.

Nach einem jahrelangen Provisorium konnte nun im März dieses Jahres unmittelbar neben dem ehemaligen KGB-Gefängnis ein Informationszentrum eröffnet werden. Doch seither ist der Erinnerungsort, für den die Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten die Verantwortung trägt, nach Ansicht ehemaliger Insassen der Haftanstalt sowie Mitgliedern des Fördervereins Gedenk- und Begegnungsstätte Ehemaliges KGB-Gefängnis Potsdam e.V. in einen Dornröschenschlaf gefallen. „Seit der Einweihung des Zentrums im März ist hier nicht viel passiert“, beklagt etwa der ehemalige Häftling Bodo Platt.

Die wenigsten Besucher kommen wieder

Besonders ärgert Platt, daß sich Besucher der Gedenkstätte nur sehr schwer ein Bild von dem tatsächlichen Geschehen in der Leistikowstraße zwischen 1945 und 1953 machen können. „Es existiert hier derzeit keine Ausstellung, welche in die Thematik einführt, und es ist derzeit auch keine in Sicht, obwohl bereits Mitte der neunziger Jahre eine qualitativ hochwertige Präsentation erstellt wurde“, sagt Platt.

Ebenso kritisch wie Platt beurteilt auch Hans Günter Aurich, der Anfang der fünfziger Jahre wegen angeblicher Spionage von einem sowjetischen Militärtribunal zu 25 Jahren Haft verurteilt wurde, den derzeitigen Zustand der Erinnerung in der Leistikowstraße. Die bisherige Zusammenarbeit zwischen der Gedenkstättenleitung und den noch lebenden Zeitzeugen sei absolut unzureichend. Dies bedauert Aurich schon daher sehr, weil ihm die Vermittlung seiner Erfahrungen besonders am Herzen liegt. „Wir als letzte Überlebende wollen alles tun, um auf diese Weise dazu beizutragen, daß auf deutschem Boden nie wieder eine Diktatur entsteht“, verdeutlicht er.

Doch die zuständige Leiterin Ines Reich tritt der Kritik entgegen. Beim Zeitzeugengespräch wies sie darauf hin, daß die scheidende brandenburgische Kulturministerin Johanna Wanka (CDU) das Projekt in der Leistikowstraße zu einem ganz persönlichen Anliegen erhoben habe. Auf diesem Weg seien inzwischen zwei volle und eine halbe hauptamtliche Stelle bewilligt worden, seit einigen Wochen bestehe „Planungssicherheit“. Dennoch könne sie verstehen, „daß bei einigen direkt Betroffenen der Eindruck entstanden ist, daß die Dinge nicht schnell genug vorangehen“, sagte Reich. Bis zum kommenden Jahr werde jedoch eine Ausstellung erarbeitet und im zweiten Halbjahr 2010 auch eröffnet werden, verspricht sie.

Mangelhafte Beschilderung in Sachsenhausen

Dies sehen jedoch viele Opfer anders. „Warum wird hier nicht zumindest bis zu diesem Zeitpunkt die vorhandene Ausstellung ‘Von Potsdam nach Workuta’ der Menschenrechtsorganisation Memorial Deutschland e.V. als Interimslösung präsentiert?“ fragt Platt. Doch Reich verweist darauf, daß dieser Vorschlag aufgrund der strengeren Brandschutzregeln nicht umgesetzt werden könne. Für die neue Ausstellung müsse daher auf andere, feuersichere Materialien zurückgegriffen werden.

Ebenso kritisch wie zum jetzigen Zustand in der Leistikowstraße äußert sich ein Teil der Häftlinge auch im Hinblick auf ihre Position in der Gedenkstätte Sachsenhausen. An diesen Ort, an dem sich das damalige sowjetische Speziallager befand, wurden viele nach ihrer Verurteilung in Potsdam für die Zeit bis zur Deportation nach Rußland gebracht. Zwar wird auf dem Gelände der heutigen Gedenkstätte grundsätzlich sowohl an das Konzentrationslager der Nationalsozialisten als auch an das Speziallager (1945 bis 1950) erinnert, jedoch mit deutlich unterschiedlicher Gewichtung. „Die eigenen Vorschläge sind dort bislang nur wenig berücksichtigt worden“, sagte Platt. Immer noch sei der Weg zum Speziallager-Museum mangelhaft ausgeschildert, die ehemaligen Häftlingsbaracken nicht in ausreichendem Maße für Besucher gekennzeichnet.

Immerhin konnte vor wenigen Wochen nach längeren Kontroversen auf dem sogenannten Kommandantenhof in Sachsenhausen ein Holzkreuz eingeweiht werden, welches an alle im Speziallager umgekommenen Häftlinge erinnert. Unter den rund 12.000 Opfern befanden sich auch viele Prominente, darunter der Schauspieler Heinrich George.

Die Gedenkstätte ( www.gedenkstaette-leistikowstrasse.de ) kann samstags und sonntags von 11 bis 17 Uhr besichtigt werden.

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