© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  44/09 23. Oktober 2009

Prachtstücke
Trendsetter: Wiener Schau zeigt burgundische Hofkunst
Ekkehard Schultz

Wie wurde das Haus Habsburg zu einer europäischen Großmacht? Zwar war es keineswegs nicht nur die immer wieder beschriebene geschickte Heiratspolitik, dennoch stellte sie ohne Zweifel einen der wichtigsten Faktoren dar. Als der mächtige burgundische Herzog Karl der Kühne 1477 im Alter von 44 Jahren ohne männlichen Nachfolger auf dem Schlachtfeld bei Nancy fiel, begann sofort ein reger Streit um sein Erbe. Schließlich entschied sich die von allen Seiten bedrängte Tochter Karls, Maria von Burgund (1457–1482), den Kaisersohn Erzherzog Maximilian von Österreich (1459–1519) zu ehelichen, der wenige Jahre später selbst zum Kaiser gekrönt wurde. Damit fiel das reiche burgundische Erbe, welches das Gebiet der heutigen Beneluxstaaten über das Herzogtum Luxemburg, das Oberelsaß und das Stammherzogtum Burgund umfaßte, in habsburgische Hände. Das Mittelreich zwischen Frankreich und Deutschland hörte auf zu existieren. Nur deshalb war der Umfang der Herrschaft des späteren Kaisers Karl V., in dessen Reich in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts sprichwörtlich die Sonne nie unterging, überhaupt möglich.

Nun geht das Kunsthistorische Museum in Wien in seiner größten Ausstellung dieses Jahres nicht nur der Frage nach, wer Karl der Kühne als Persönlichkeit war, sondern präsentiert zugleich ausgewählte Schätze der burgundischen Hofkunst. Dazu zählen Kostbarkeiten wie der Burgundische Hofbecher, ein aus Bergkristall geschliffener hoher Pokal mit reich dekorierter Goldfassung (um 1453/67), der von Herzog Philipp dem Guten, dem Vater Karls des Kühnen, in Auftrag gegeben wurde. Direkt auf Karl verweisen unter anderem ein Reliquiar aus Gold, Silber und Email (um 1467/71) und eine Miniatur einer Kapitelsitzung des Ordens vom Goldenen Vlies (um 1473/77). Sie zeigt den Herzog als Souverän des Ordens, er thront in der Mitte unter einem Baldachin, links und rechts sitzen rot gekleidete Ritter. Im Vordergrund sind rund um einen Tisch die vier Offiziere des Ordens zu sehen: der Schreiber, der Schatzmeister, der Wappenkönig und der Kanzler in Bischofstracht.

Besonders bemerkenswert ist auch ein Männerrock aus dem dritten Viertel des 15. Jahrhunderts aus rotem Satin, da heute kaum noch originale weltliche Kleidungsstücke der späten Mittelalters erhalten sind. Gerade zu dieser Zeit war der burgundische Hof der europäische Trendsetter für Mode und Eleganz. Der für Kleidung betriebene Aufwand war enorm. So übertrumpften Karl der Kühne und sein Gefolge beim Fürstentreffen 1473 in Trier sogar den römisch-deutschen König an Luxus und Prunk bei weitem. Erhaltene Rechnungen belegen, daß Karl etwa 40.000 flandrische Pfund für die Einkleidung seiner Höflinge bei dem Treffen aufwandte. Diese Summe entsprach zu dieser Zeit etwa dem Jahreslohn von 555 Maurermeistern.

Der Besuch dieser äußerst sehenswerten Ausstellung kann einem historisch oder kulturell am Mittelalter und seinen prächtigen Schätzen interessierten Publikum nur wärmstens empfohlen werden.

Die Ausstellung „Karl der Kühne. Glanz und Untergang des letzten Herzogs von Burgund“ ist bis zum 10. Januar 2010 im Kunsthistorischen Museum Wien, Maria-Theresien-Platz 1, täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr, Do. bis 21 Uhr, zu sehen. Telefon: 00 43 / 1 / 5 25 24 40 25, Internet: www.khm.at

Zur Ausstellung sind ein Katalog mit 382 Seiten und eine Begleitbroschüre mit 160 Seiten erschienen.

Peter Paul Rubens, Herzog Karl der Kühne von Burgund (Öl auf Holz, um 1618): Prunk und Eleganz

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