© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  44/09 23. Oktober 2009

Was war das noch mal?
Ein Sammelband der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung spürt dem lange aufgegebenen Konservatismus nach
Ekkehard Schultz

Geht es nach den Einschätzungen der politischen Linken, müßte der Konservatismus in der Bundesrepublik schon seit Jahrzehnten dem baldigen Untergang geweiht sein. Gleichwohl wird ebenso regelmäßig von linker Seite darüber geklagt, daß das Denken und Handeln vieler Deutscher weiterhin deutlich konservativ geprägt sei. Als Belege dafür werden häufig der Asylkompromiß der frühen neunziger Jahre und die rasche Abwicklung von vermeintlich fortschrittlichen DDR-Traditionen herangezogen. Und so wird gerade vor Wahlen immer wieder gerne das Schreckensgespenst eines politischen Rückschritts bemüht, der sich aus konservativ-neoliberalen Mehrheiten ergeben könnte.

Gleichwohl ist die Haltung der bürgerlichen Seite zum politischen Konservatismus oft kaum weniger widersprüchlich. Dies liegt nicht zuletzt daran, daß es weiten Teilen der Konservativen in der Bundesrepublik bislang nicht gelungen ist, eine längerfristig erfolgreiche eigene politische Vertretung aufzubauen. Demzufolge fühlt sich ein großer Teil der Konservativen heimatlos und nur höchst unzureichend repräsentiert. Besonders bittere Klagen werden gegen die Unionsparteien erhoben, die ihre anfänglich konservative Ausrichtung allerspätestens unter Angela Merkel gegen Allgemeinplätze „für die Menschen“ ausgetauscht hätten. Deswegen haben bereits seit langem zahlreiche konservative Wähler CDU und CSU den Rücken gekehrt.

Als Konsequenz aus dem Verlust eines Teiles der einstigen Stammklientel entstand vor mittlerweile zwei Jahren in den Reihen der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung die Idee, in einer Vortragsreihe dem Phänomen des historischen und aktuellen politischen Konservativismus in Deutschland wieder etwas größere Beachtung zu schenken. Unter dem Motto „Zukunft braucht Konservative“ wurden daher seit 2008 in der bayerischen Landesvertretung in Berlin bereits fast zwanzig Referate mit anschließenden Diskussionen gehalten, mit deren Hilfe konkrete Bausteine für ein zeitgemäßes konservatives Leitbild erarbeitet werden sollen. Zum Kreis der Vortragenden zählten neben renommierten Wissenschaftlern wie Frank-Lothar Kroll, Rüdiger Voigt oder Andreas Rödder Publizisten wie Alexander Gauland sowie prominente CSU-Politiker wie Edmund Stoiber oder Peter Ramsauer. Nunmehr liegen die wesentlichen Inhalte der Referate, die ein außerordentlich breites Publikum anzogen, seit einigen Wochen auch in Buchform vor.

Grob lassen sich die Aufsätze in zwei Komplexe gliedern: Zum einen geht es um die Entstehung des deutschen, aber auch des europäischen und amerikanischen Konservatismus sowie dessen Geschichte bis in das ausgehende 20. Jahrhundert. Im Hinblick auf Deutschland wird dabei häufig auf das zwar nur kurzzeitige, jedoch um so verhängnisvollere Bündnis zwischen Konservativen und Nationalsozialisten (Harzburger Front etc.) verwiesen, dessen Nachwirkungen bis heute so stark sind, daß ein Anknüpfen an die Vorkriegstraditionen des deutschen Konservatismus auch in naher Zukunft nahezu unmöglich scheint. Allerdings verweisen mehrere Autoren mit Recht auf die Tatsache, daß gerade konservative Politiker von Anfang an zur Stabilisierung der demokratischen Verhältnisse in der Bundesrepublik in hohem Maße beigetragen haben. Damit habe eine allein aus der Vergangenheit hergeleitete grundsätzliche Infragestellung des Konservatismus in Deutschland längst jegliche Berechtigung verloren.

Der andere Teil der Referate beschäftigt sich mit der Frage, was heute konservativ ist und welche Perspektiven der Konservatismus im 21. Jahrhundert hat. Dabei fallen vor allem die deutlichen Veränderungen zwischen den traditionellen Formen und den heutigen Phänomenen ins Auge: So stellt etwa die Befürwortung der engen Westbindung vieler Konservativer seit 1945 einen klaren Bruch mit dem Konservatismus alter Schule dar. Deutliche Veränderungen sind aber auch in der Einstellung gegenüber dem Patriotismus sowie einer demokratischen Mitbestimmung größeren Umfangs zu erkennen, die beide über lange Zeit eher bei der politischen Linken beheimatet waren. Aber auch die zentrale Rolle des Glaubens im Konservatismus hat inzwischen deutlich an Bedeutung eingebüßt. Demgegenüber ist die starke Europa-Begeisterung wiederum im wesentlichen ein konservatives Phänomen jüngeren Datums. Geblieben ist hingegen der Respekt für soziale Formationen, die sich in einer kontinuierlichen Entwicklung bewährt haben; der generelle Wert des Gewordenen gegenüber dem Gemachten; die Befürwortung einer Vielfältigkeit gegenüber den Tendenzen zur Egalisierung und Uniformierung sowie die Wertschätzung der Ordnung und von grundlegenden gesellschaftlichen Normen und Werten.

Generell tut sich der heutige deutsche Konservatismus „mit einer zusammenhängenden politisch-philosophischen Begründung“ weiterhin sehr schwer, wie der Bonner Politikwissenschaftler Gerd Langguth im vorliegenden Band analysiert. Dies habe zur Folge, daß es zwangsläufig mindestens ebenso schwerfalle, „einen konservativen Politiker zu benennen, der sich als Flügelpersönlichkeit nicht nur zum Konservatismus bekennt, sondern auch in der Lage ist, die Gedankenwelt des Konservatismus intellektuell zu füllen“. Hier ist folglich noch sehr viel Arbeit zu leisten – vielleicht am meisten in den Reihen der Union.

Solche grundlegenden Überlegungen machen den preiswerten Sammelband durchaus auch für jene lesenswert, die von der Unionspolitik nur wenig halten, zumal die Beiträge nahezu durchgehend in einem unabhängigen Stil verfaßt wurden. Freilich sei gleichzeitig vor allzu hohen Erwartungen gewarnt: Schon allein der Tatsache, daß die Aufsätze eine Vielzahl von Themengebieten abdecken, ist es geschuldet, daß viele Schwerpunkte bestenfalls angerissen, doch keineswegs umfassend abgehandelt werden. Interessante Ausgangspunkte für weiterführende Diskussionen bieten sie hingegen allemal.

Hans Zehetmair (Hrsg.): Zukunft braucht Konservative. Herder-Verlag, Freiburg 2009, broschiert, 260 Seiten, 13,95 Euro

Standards, die immer modern bleiben: Kaum jemand in der Union kann die Gedankenwelt des Konservatismus intellektuell füllen

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