© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  44/09 23. Oktober 2009

Nur Zartbitter in der Auswahl
Über NS-Kulturwissenschaft
Kai Zirner

Jürgen Elvert, Professor für Neuere Geschichte in Köln, ist ein Protektionskind des seit 2003 emeritierten Kieler Zeithistorikers Michael Salewski. Solche akademischen Beziehungen zu kennen, ist mitunter ganz nützlich, um den eigenen Erwartungshorizont nicht allzu weit zu spannen. Da Salewski stets zu den medial omnipräsenten „politischen Pädagogen“ seiner Zunft zählte, ist bei ihm – und eben auch bei engsten Schülern wie Elvert – nicht auf mehr zu hoffen als auf strikte Beachtung der primär für 1933 bis 1945 geltenden ideologischen Vorgaben.

In der von Salewski und Elvert edierten Schriftenreihe der Ranke-Gesellschaft hat der wissenschaftshistorisch bisher unausgewiesene Kölner Professor mit seinem Assistenten Jürgen Nielsen-Sikora nun einen umfangreichen Band über „Kulturwissenschaften und Nationalsozialismus“ zusammengestellt. Dabei bestimmte augenscheinlich der Ehrgeiz, „alles richtig zu machen“ (Johannes B. Kerner), bereits Elverts Auswahl der Beiträger.

Nicht der mit weitem Abstand quellenkundigste, aber zum „Apologeten“ abgestempelte Fachmann für die Geschichte der deutschen Osteuropa-Forschung, Martin Burkert, durfte den einschlägigen Beitrag schreiben, sondern Hans-Christian Petersen, Schüler des radikal polonophilen Kieler Historikers Rudolf Jaworski (JF 31-32/08). Nicht Frank-Rutger Hausmann, mit Standardwerken zur Anglistik und zur Romanistik in der NS-Zeit hervorgetreten, steuerte Studien zur Geschichte dieser neuphilologischen Fächer bei, sondern zwei weniger versierte Kollegen. Zwar schwingt auch Hausmann gern zeitgeistkonform die Moralkeule. Aber bei einem NS-Gegner wie dem Anglisten Herbert Schöffler „deutliche antisemitische Tendenzen“ zu konturieren, wie im Sammelband geschehen, hätte für ihn die Grenze zur wissenschaftlichen Unseriosität wohl überschritten.

Jenseits derselben befindet sich von jeher Joachim Lerchenmüller, dem Elvert das Kapitel über die „Neuere und Neueste Geschichte“ im Dritten Reich anvertraute. Mit Petersen und Lerchenmüller sind allerdings die Tiefpunkte dieses Bandes markiert. Glänzen kann die Arbeit dagegen in der kulturwissenschaftlichen Peripherie – die Überblicke zur Soziologie, zur Geographie, Sinologie oder Arabistik/ Islamwissenschaft bieten durchaus Brauchbares, das sich aber insgesamt in Forschungsreferaten erschöpft und ohne innovatives, daher aber auch, zu Elverts Erleichterung sei’s gesagt, ohne „gefährliches“ Potential ist.

Jürgen Elvert, Jürgen, Nielsen-Sikora (Hrsg.): Kulturwissenschaften und Nationalsozialismus. Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2008, gebunden, 922 Seiten, 89 Euro

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen