© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  45/09 30. Oktober 2009

Geschäft mit der Angst
Gesundheitspolitik: Die große Impfkampagne gegen die Schweinegrippe wirft zahlreiche Fragen auf
Rolf Dressler

Naturgemäß beuteln Konjunktureinbrüche und außergewöhnlich kräftige Wirtschaftsabschwünge in aller Regel praktisch jedes Unternehmen – das eine mehr, das andere (etwas) weniger, je nachdem. Als vergleichsweise robust indes erweist sich auch jetzt wieder die erste Garde der nationalen und internationalen Pharma-Industrie. Traditionell verfügen vor allem die Marktführer über beste Nehmerqualitäten, selbst wenn das historisch bislang beispiellose globale Finanzdesaster 2008/2009 nicht einmal die stabilsten unter ihnen gänzlich ungeschoren davonkommen läßt.

Das jährlich Hunderte Milliarden schwere Geschäft mit Pillen und anderen Arzneien jedweder Art floriert sogar in solchen Krisenzeiten. Denn Gesundheit, „Wellness“ & Co. sind und bleiben angesagt. Der moderne Mensch schluckt und schluckt Medizin und Medizinähnliches, ob sie ihm nun Schmerzlinderung, tatsächliche Wiedergenesung oder einfach nur ein irgendwie noch besseres Rundum-Wohlbefinden verheißt. Dafür schluckt er ziemlich klaglos auch die saftigen Preise – sehr zur Freude der umsatzfrohen Produzenten und deren Aktionäre.

Womöglich aber haben sich die gewieften Marketing- und Vermarktungsstrategen ausgerechnet der Pharma-Branche diesmal verrechnet: dann nämlich, wenn am Ende nur ein Bruchteil der einheimischen Bevölkerung ausgerechnet auf dem höchst einträglichen deutschen Markt dem staatlichen Aufruf zur Massenimpfung gegen die sogenannte Schweinegrippe (richtiger: Mexikogrippe oder Neue Grippe) bzw. deren Erreger-Virus H1N1 folgen sollte.

Verwunderlich wäre das nicht. Denn in das öffentliche Tohuwabohu um Impf­empfehlungen und ausdrücklich warnende Gegenempfehlungen mischen sich obendrein noch horrende Schockprophezeiungen wie etwa die des Hannoveraner Seuchenexperten und Beraters der Weltgesundheitsorganisation, Adolf Windorfer. Der Medizinprofessor sagt allein für Deutschland mindestens 35.000 Grippetote sowie 30 Millionen Infizierte und überwiegend extreme Krankheitsverläufe voraus. Daß für bestimmte Risikogruppen eine Impfung sinnvoll ist, läßt sich sicherlich nicht bestreiten – das sollte individuell der behandelnde Facharzt entscheiden. Aber eine bundesweite Massenimpfung ohne Wenn und Aber zu empfehlen, ist etwas ganz anderes.

Doch nicht nur dieser heftige Widerstreit verunsichert die Menschen total. US-Präsident Barack Obama und seine Familie ließen sich zwar gegen die jahreszeitlich wiederkehrende „normale“ Grippe impfen, wollen mit der Impfung gegen die „Schweinegrippe“ aber zuwarten, bis – wie es aus dem Weißen Haus amtlich-gestelzt hieß – „dringende Fälle wie Schwangere, Kinder und Krankenhauspersonal abgearbeitet“ seien.

Eine ähnlich große Beachtung wie der US-Weltstar der Politik müßte zum Beispiel Wolfgang Wodarg erfahren, von Haus aus Internist und Spezialist für Lungenheilkunde, Hygiene und Umweltmedizin. Denn der SPD-Politiker aus dem Wahlkreis Flensburg-Schleswig war in der vergangenen Legislaturperiode Mitglied des Gesundheitsfachausschusses des Bundestages und dort ein anerkannter Fachmann.

Der Amtsarzt aus Flensburg übt sehr aufschlußreiche, fundierte Kritik: Ebenso wie seinerzeit schon die Bezeichnung „Vogelgrippe“ stehe nun auch wieder der Begriff „Schweinegrippe“ für eine bewußt irreführende, offenbar aber durchschlagend erfolgreiche Aktion verschiedener einflußreicher Pharmakonzerne, ihre Absatzchancen für neue Impfstoffe und fragwürdige Grippemedikamente nachhaltig zu erhöhen, äußerte Wodarg bereits am 3. August 2009 und fügte hinzu: Auch Politiker, Fachinstitute und Medien spielten „das teure Spiel mit der Angst zu ihrem eigenen Vorteil mit“ – sogar die Krankenkassen.

Enge Verflechtung zwischen Politik und Pharmabranche?

Und noch etwas ist sicherlich nicht nur dem Arzt Wolfgang Wodarg als noch besonders penetrant aufgefallen: Mit genetischen und molekularbiologischen Fachdetails angefüttert, präsentierten seit Wochen „von der Pharma-Industrie – wie auch immer – motivierte Institutsleiter und Ärzte dem ängstlich staunenden Volk und den Regierungen von Bund und Bundesländern ihr ‘Man-kann-nie-Wissen’“.

So werde gezielt politischer Handlungsdruck erzeugt, erhielten Institute flugs mehr Personal und Sachmittel, Politiker und Mitglieder von Krisenstäben unternähmen munter teure Dienstreisen, und das wiederum liefere der Presse wie gewünscht reichlich Stoff für anheizende Berichterstattung, Interviews und Kommentare.

Donald Rumsfeld, langjähriges Vorstandsmitglied und Großaktionär des Pharma-Unternehmens Gilead Sciences, war bis zu seinem Amtsantritt als US-Verteidigungsminister im Jahre 2001 Vorstandschef des Konzerns und inszenierte in der Bush-Regierung eine dollarschwere Verkaufskampagne für das von Gilead Sciences und der Schweizer Firma Roche produzierte Vogelgrippe-Mittel Tamiflu. Die deutschen Bundesländer bunkerten daraufhin eilfertig Vorräte im Wert von 200 Millionen Euro ein. Klaus Stöhr, ehedem Leiter des UN/WHO-Influenza-Impfstoffprogramms wie auch der milliardenteuren Panik-Kampagne in Sachen Vogelgrippe, arbeitet bereits seit längerem für den Novartis-Konzern, der das „Schweinegrippe“-Mittel Optaflu herstellt.

Die Informationsseite des Bundesministeriums für Gesundheit zur Neuen Grippe (Schweinegrippe) im Internet: www.neuegrippe.bund.de

Foto: Grippe-Impfung: Die Entscheidung sollte nur nach Rücksprache mit dem behandelnden Hausarzt fallen

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