© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  45/09 30. Oktober 2009

„Wir sind das Volk“-Reihe auf Arte: François Mitterrand und die Wiedervereinigung
Allüren einer Großmacht
Christian Dorn

Ich liebe Deutschland so sehr, daß ich froh bin, daß es zwei davon gibt.“ Die legendäre Äußerung des französischen Schriftstellers François Mauriac über das geteilte Deutschland hat eine wirkungsmächtige Geschichte. Bis heute hält sich der Verdacht, daß auch der französische Staatspräsident François Mitterrand nicht frei davon war. Einen Blick auf dieses deutsch-französische Verhältnis wirft nun der Sender Arte mit der Dokumentation von Patrick Barbéri (Mi., 4. November, 21 Uhr). In ihr wird der Frage nachgegangen, welche Rolle Mitterrand auf dem Weg zur deutschen Wiedervereinigung gespielt hat.

Warum, so die Hauptkritik an Mitterand, hielt dieser keine historische Rede, die sich zu diesem Ziel bekannte? War eine solche Geste, die ihm auch seine Berater wiederholt nahelegten, dem ikonographischen Bild vom September 1984 geschuldet? Dieses hatte ihn und Kohl Hand in Hand im stillen Gedenken vor den Gräbern der deutschen und französischen Soldaten in Verdun gezeigt.

Betrieb Mitterand gar ein doppeltes Spiel, wie es der Film „Der Mann aus der Pfalz“ nahelegte? In der ZDF-Produktion – so äußerte ein Kritiker – habe Mitterand „zu sehr an Müntefering erinnert“. Mehr Erkenntnisgewinn versprechen da in der Tat die Gespräche, die der Dokumentarist Barbéri mit nahezu allen Protagonisten aus jener Zeit geführt hat. „Lediglich“ Einheitskanzler Helmut Kohl fehlt, was aber nicht zwingend ein Verlust ist. So erscheint die Rekonstruktion des Fahrplans, der zur Herstellung der deutschen Einheit führte, fast wie ein Krimi.

Spannend wird die Rückschau vor allem beim Blick auf Gorbatschow, der bereits während des Vereinigungsprozesses akut bedroht war und sich wegen der Gefahr eines Putsches nicht außer Landes begeben konnte. Wie fragil der Geschichtsverlauf ist, macht auch Joachim Bitterlich deutlich, seinerzeit Kohls Berater für europäische Angelegenheiten. Auf die Kritik an der – von außen betrachtet – verzögerten Verzichtserklärung, die Anerkennung der Oder/Neiße-Grenze, erwidert Bitterlich, daß andernfalls die Regierungskoalition vor einer Zerreißprobe gestanden hätte. Immerhin habe Deutschland damit auf 30 Prozent seines Gebietes verzichtet. Grandios erscheint dabei ein Ausschnitt aus der satirischen Puppen-Show „Spitting Image“, in der ein wehleidiger und eingebildeter Mitterrand erklärt: „Geben wir ihnen doch auch noch Polen, dann sparen wir Zeit.“ Tatsächlich erklärt Mitterrands zögerliche Haltung am ehesten sein Ausspruch: „Warum noch mehr zum Lärm dazutun?“

Erläuternd fügte Horst Teltschik, der in diesem Film ebenfalls zu Wort kommt, nach Barbéris Filmvorstellung in der französischen Botschaft in Berlin an, daß die Betonung der Oder/Neiße-Grenze durch Frankreich der verzweifelte Versuch gewesen sei, selber Großmacht zu spielen. Die einzigen Akteure in diesem Spiel seien jedoch Rußland und die USA gewesen.

Teltschik, einst diplomatischer Berater von Kanzler Kohl, fügt allerdings an, daß er sich nach all den Geschichtsdeutungen des Films bemüßigt fühle, „nun doch noch ein Buch zu schreiben“. So bescheinigte er etwa Jacques Attali, dem ehemaligen Sonderberater von Präsident Mitterand, „sehr große Phantasie“.

Allerdings zeigt der Film auch den anderen Mitterand, dessen letzter Auftritt in Deutschland ein Vermächtnis sein sollte. In der ans Herz greifenden Ansprache, gehalten am 8. Mai 1995 in Berlin, spricht Mitterand: „Das deutsche Volk hat seine Stärken, seine Tugenden (...) Und von welchem Geist auch immer die Soldaten, die so zahlreich sterben mußten, beseelt waren: Sie waren mutig und bereit, ihr Leben für eine schlechte Sache zu geben (...) aber für sie ging es um etwas anderes. Sie liebten ihre Heimat. Das müssen wir uns bewußt machen.“

Daß die Diskussion über Mitterrands Haltung zur deutschen Wiedervereinigung nicht nur ein Thema öffentlich-rechtlicher Programmplaner ist, zeigt indes auch die aktuelle Debatte in französischen Zeitschriften. Neben L’histoire, Allemagne d’aujourd’hui und François ist es insbesondere das von Alain de Benoist herausgegebene Vierteljahresheft Eléments. Die FAZ erinnert an die von  Benoist bereits 1979 prophezeite Wiedervereinigung: „Denn Völker bleiben Völker, und sie behalten recht. (...) Et ce sont des Français qui le disent: Muß es sein? Es muß sein.“

Foto: Berliner Mauer und Frankreichs Präsident Mitterrand: Eher Akteur am Rande des Geschehens

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen