© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  46/09 06. November 2009

Entmündigte Eltern
Betreuungsgeld-Diskussion: Gutscheine wie bei Pinochet?
Jürgen Liminski

Das Wort Betreuungsgeld ist seltsam wirkmächtig. Politiker, insbesondere bei der SPD, verlieren die Fassung, wenn sie es nur hören. Leute wie der Bürgermeister von Berlin-Neukölln poltern dann los, als müßten sie dafür ihr geheimgehaltenes Sparschwein schlachten. Und sie vergessen im Eifer des populistischen Redens, daß es sich bei den potentiellen Unterschicht-Empfängern des noch virtuellen Betreuungsgeldes um real existierende Menschen handelt.

Auch wenn ihre Argumente zum Teil richtig sind: Der Generalverdacht, der hier gegen alle Eltern mitschwingt, ist unerträglich. Wegen des Fehlverhaltens einzelner Gruppen alle Eltern zu bestrafen, ist faschistoid. Gegen den Bürgermeister wird deshalb zu Recht ein Strafverfahren angestrengt. Es geht nämlich auch um Menschenwürde. Daß es in Berlin und insbesondere im Viertel Neukölln oder in türkischen und arabischen Familien so aussieht und zugeht, wie Bürgermeister Heinz Buschkowsky und andere jetzt nach der Wahl aufgewachte SPD-Politiker es beschreiben, kann auch mit dem Versagen von Kommunalpolitikern zusammenhängen.

Worum geht es in der Sache? Die für Familienpolitik zuständige Arbeitsgruppe bei den Koalitionsverhandlungen hatte einstimmig beschlossen, den steuerlichen Freibetrag auf 8.001 Euro und das Kindergeld auf 200 Euro zu erhöhen. So stand es auch im Wahlprogramm der FDP. Die Parteivorsitzenden haben sich an den einstimmigen Beschluß nicht gehalten und wollen den Freibetrag nur auf 7.008 Euro und das Kindergeld nur um 20 Euro erhöhen.

Die neuen Pläne sind halbherzig und erfüllen das Wahlversprechen nicht. Auch beim Betreuungsgeld ist man im Berliner Triumvirat einer klaren Entscheidung für Familien aus dem Weg gegangen. Es soll ab 2013 als Bundesleistung eingeführt werden, aber „gegebenenfalls als Gutschein“. Damit hat sich die CSU nur teilweise durchgesetzt. Angela Merkel, die ähnlich wie ihre Freundin Alice Schwarzer und ihre Familienministerin Ursula von der Leyen mehr dem Staat als den Eltern traut, zeigt eine Präferenz für die Gutschein-Lösung. Das hat sie auch schon in einem Interview mit der radikalfeministischen Zeitschrift Emma zu erkennen gegeben. Hier hat sich die CSU tapfer gegen die sozialliberale Phalanx aus CDU und FDP gewehrt und wenigstens die Geld-Option offengehalten.

Übrigens: Betreuung ist nicht Erziehung, es sollte besser Erziehungsgeld heißen. Aber diese Leistung der Eltern, meistens der Mütter, wird kaum wahrgenommen, weil man sie in diesen Kreisen nicht kennt oder nicht sehen will. Anders ist es im Ausland. In Frankreich, Schweden, Norwegen und anderen Ländern honoriert man diese Leistung und bietet ein Erziehungsgeld in mehrfacher Höhe des deutschen Betrages an.

Es gibt auch ein Land, das bereits Erfahrungen mit Gutscheinen gemacht hat: Chile. Unter dem auch in Europa als Diktator bekannten Augusto Pinochet wurden im Zuge der Bildungsreform Anfang der achtziger Jahre Bildungs-Gutscheine eingeführt. Entwickelt wurde das Gutscheinkonzept von Ökonomen der „Chicago School“ (Milton Friedman) bereits in den 1950er Jahren – in größerem Stil kam dieses Instrument aber erstmals in Chile zum Einsatz. Wissenschaftliche Untersuchungen zu dieser Reform zeigen, wie Stefan Fuchs vom Institut für Demographie, Allgemeinwohl und Familie ( www.i-daf.org ) im Newsletter 40/09 ausführt, daß für die Qualität von Bildung weniger die Organisationsformen und modernen Steuerungsinstrumente entscheidend sind. Vielmehr sind für nachhaltige Erfolge in Bildung und Erziehung die pädagogischen Konzepte und vor allem die personalen Einstellungen der Bezugspersonen (Eltern oder Lehrer) von größerem Gewicht. Für die (bisher weniger erforschte) frühkindliche Bildung und Erziehung gelte das nicht weniger als für das Schulwesen.

In Deutschland ist man noch nicht so weit wie in Chile. Hier will man offenbar erst die Pinochet-Erfahrungen selber machen. Abgesehen von der Zweifelhaftigkeit des Vorbilds, das allerdings zu den Entmündigungsplänen im Familienministerium paßt, fällt auf, daß in der Debatte hierzulande nicht nur mit Pauschalurteilen, sondern auch mit falschen Zahlen operiert wird. Das hatte Ministerin von der Leyen, die zu Zahlen bekanntermaßen ein diffiziles Verhältnis hat, schon bei den Verhandlungen probiert. Aber die Bayern waren gut vorbereitet und hatten ihre Verwaltung selbst rechnen lassen. Und eine Zahl sollte man nicht vergessen. Das Betreuungsgeld steht nicht wie Hannibal mit seinen Elefanten ante portas, sondern es soll erst im Jahr 2013 eingeführt werden. Bis dahin wird es noch weniger Babies geben und vielleicht auch einen verfassungskonformen Weg, um die Risiko-Familien anders als mit Geld zu unterstützen.

Die große Mehrheit der Eltern, die sich redlich bemühen und natürlicherweise mit mehr Liebe und oft auch mehr Kompetenz erziehen als die im Vergleich zum Ausland ungenügend ausgebildeten Betreuungspersonen in den Krippen, sollte man jedenfalls nicht mit dem Generalverdacht alkoholisierter Dauerfernseher überziehen. Die Alternative heißt nicht Bier oder Bildung, sondern Wahlfreiheit oder Entmündigung.

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