© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  46/09 06. November 2009

Erbhöfe und Vasallen
Bundesregierung Die Besetzung des neuen Kabinetts sagt viel über die Kunst Merkels aus, potentielle Rivalen klein zu halten
Paul Rosen

Das neue Kabinett ist ganz nach dem Geschmack von „Mutti“, wie Kanzlerin Angela Merkel von ihren Anhängern liebevoll und von ihren Kritikern spöttisch bezeichnet wird. Ihre Vertrauensleute sitzen an allen wichtigen Schaltstellen der Regierung.

Merkel hat ihre Regierung nicht verkleinert. Es gibt wie zu Zeiten der Großen Koalition 16 Minister in 15 Ministerien (der ehemalige CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla hat kein eigenes Ressort, sondern sitzt im Kanzleramt). Die FDP hat davon fünf bekommen, so viele wie noch nie. Drei Posten gingen an die CSU. Der Grund, warum Merkel die Regierung nicht verkleinert und die per se überflüssigen Parlamentarischen Staatssekretäre nicht abgeschafft oder wenigstens ihre Zahl reduziert hat, liegt auf der Hand: Nur wer möglichst viele Lehen und Erbhöfe verteilen kann, sichert sich die Gunst der Vasallen. Diesem Leitsatz, der älter ist als die Lehren Niccolò Machiavellis, folgt Merkel.

An den Schlüssel- und Schaltpositionen sitzen enge Vertraute der Kanzlerin: Kanzleramtschef Pofalla hat die Identität und das programmatische Erscheinungsbild der CDU bis zur Unkenntlichkeit verwässert. Das Programm der CDU besteht nur noch aus der Person Merkel. Pofalla wird jetzt als Kanzleramtsminister das machen, was er schon in der CDU so gut konnte: Kritiker klein halten und notfalls ausschalten.

Mit dem bisherigen Kanzleramtschef Thomas de Maizière wechselt ein Merkel-Vertrauter in das wichtige Innenministerium, das vorher Wolfgang Schäuble leitete. De Maizière schätzt Öffentlichkeit nicht, Profilisierungssüchte sind ihm fremd, nie würde er sich über „Mutti“ negativ äußern. Solche Figuren liebt die Chefin für ihr Schachspiel der Macht. Schäuble, den sie einst vom Vorsitz der CDU stürzte, hat jetzt das Finanzministerium inne. Seit Jahren wird sein Beißreflex stärker. Als Innenminister ging er für Merkel, die Friedhofsruhe zum Regieren liebt, mit seinen Überwachungsplänen („Stasi 2.0“) zu sehr auf die Bürger los. Schäuble richtet jetzt seine Beißreflexe beinahe täglich gegen die FDP, indem er Steuersenkungen ablehnt. Die tobende FDP begreift nicht, daß es Schäuble nicht um Sachpolitik, sondern Polemik geht. Zur Integrität und Glaubwürdigkeit der Person Schäuble sagt die Frage eines Journalisten an Merkel alles: Wie sie Schäuble zum Finanzminister machen könne, wenn der sich nicht einmal an eine Spende über 100.000 Mark erinnern könne. Merkel entgleisten die Gesichtszüge.

Daß der frühere Verteidigungsminister Franz Josef Jung wieder im Kabinett ist, hat weniger mit Qualifikation, sondern mehr mit der Nibelungentreue in der hessischen CDU zu tun. Er ist der Vertraute von Ministerpräsident Roland Koch, der zu seinem Repräsentanten in Berlin steht. Jung, als Wehrminister als „Minister Hasenfuß“ verspottet, schied aus dem Amt, ohne etwas bewegt zu haben, war dafür aber in eine Menge Fettnäpfe getreten. Innovationen werden von ihm als neuem Sozialminister nicht erwartet. Jung soll die Begehrlichkeiten der FDP nach weniger Kündigungsschutz und Sozialstaat abwehren und sonst nichts ändern.

Mit Umweltminister Norbert Röttgen hat Merkel so etwas wie einen Joker gezogen. Röttgen hatte sich in den vergangenen Jahren als Wirtschaftsfachmann der Unionsfraktion etabliert, wollte sich aber auch von den Rockschößen der Kanzlerin lösen und in die Wirtschaft abwandern. Dazu kam es nicht. Röttgens Ministerium ist so stark von Atomkraftgegnern und Öko-Ideologen durchsetzt, daß er es schwer haben dürfte, die Verlängerung der Laufzeiten von Atomkraftwerken umzusetzen, ohne dabei in böse Fallen zu laufen.

Über die Gender-Ministerin Ursula von der Leyen und Bildungsministerin Annette Schavan sind nicht viele Worte zu verlieren. Bei von der Leyen überrascht, daß sie nicht mehr geworden ist. Möglicherweise hat die Kanzlerin entschieden, der FDP das wichtige Gesundheitsressort zu überlassen, damit von der Leyen nicht zu mächtig und ihr somit gefährlich wird. Schavan ist Merkels treueste Vasallin.

Der bisherige CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer ist Verkehrsminister. Ramsauer gilt neben Erwin Huber und Günther Beckstein als mitverantwortlich für das Desaster bei der bayerischen Landtagswahl und mußte entsorgt werden. Eine Überraschung war die Versetzung des jungen Karl-Theodor zu Guttenberg aus dem Wirtschaftsressort, das an Rainer Brüderle geht. Brüderle gehört eigentlich auf die Rentnerbank, hatte aber in der FDP noch viele Unterstützer. Guttenberg bekommt den gefährlichsten Job im Kabinett. Wenn in Afghanistan oder bei anderen Einsätzen der Bundeswehr was schiefgeht, kann er zurücktreten. Man kann annehmen, daß Merkel und CSU-Chef Horst Seehofer diesen Kollateralschaden an Guttenberg in Kauf nehmen würden. Der Baron aus Bayern ist zu beliebt und damit beiden zu gefährlich. Das gilt für die brave Ilse Aigner (CSU) im Landwirtschaftsministerium nicht. Schon wegen der Frauenquote darf sie bleiben und auch in Zukunft im Dirndl Messen eröffnen.

Daß die FDP für ihren Chef Guido Westerwelle das Außenministerium reklamieren würde, war so sicher wie das Amen in der Kirche. Westerwelle ist dem Job gewachsen. Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger deckt den Bürgerrechtsflügel der FDP gut ab. Die Berufung des niedersächsischen Arztes Philipp Rösler (FDP) zum Gesundheitsminister überrascht. Ob er Erfolg hat, bleibt abzuwarten. Ein fast tragischer Fall ist Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel (FDP), dessen Partei das Ministerium abschaffen wollte, das er jetzt leiten muß. Das hat Niebel, der die FDP erfolgreich als Generalsekretär managte, nicht verdient.

Foto: Kanzlerin Merkel und ihre neuen Minister, Kabinettstisch: Ganz nach dem Geschmack von „Mutti“

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