© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  46/09 06. November 2009

Editorial
Dieter Stein

Ich hatte den Abend des 9. November mit der berühmten Pressekonferenz verpaßt. Günter Schabowskis historische Worte kenne ich nur aus später gesehenen Aufzeichnungen. Vielleicht habe ich lesend im Bett gelegen: im Zimmer zu Hause bei meinen Eltern in Kirchzarten bei Freiburg im Breisgau. Ich hatte mich zwei Monate zuvor an der dortigen Universität immatrikuliert. Geweckt wurde ich per Telefon von einem Freund: „Die Mauer ist gefallen!“ Niemals wieder würde man in seinem Leben innerhalb von wenigen Minuten den Entschluß fassen, sofort zu einer 850 Kilometer entfernten Stadt aufzubrechen.

Die nebenstehend noch einmal dokumentierte Reportage aus der JUNGEN FREIHEIT Nr. 6/89 ruft die atemlose Begeisterung wach, die uns damals befiel. Wir: Das waren fünf befreundete Studenten aus Freiburg und davon vier Mitglieder der konservativ-jugendbewegten Studentenverbindung „Deutsche Gildenschaft“.

Wir trafen per Auto kurz vor Mitternacht noch am 10. November in Berlin am Brandenburger Tor ein. Es war in dieser Nacht ungewöhnlich, eine deutsche Fahne zu tragen. Wir hatten eine dabei und wurden so zu einem gesuchten Objekt für Fotografen. Noch bis Mitte der neunziger Jahre konnte man so in Berliner Andenkenläden das nebenstehend abgedruckte Postkartenmotiv kaufen, auf dem sich unsere Gruppe komplett wiederfindet.

Eine ganze Nacht standen wir bei klirrender Kälte auf der Mauer. Nie wieder erlebte Glücksgefühle überwältigten uns. Martin Schmidt, der auf dem Bild die Fahne schwenkt, fing kurz darauf an, (bis heute) bei der JF zu schreiben. Mit ihm zog ich im Sommer 1993 von Freiburg nach Berlin, um dort aus der Monatszeitung JF im Januar 1994 eine Wochenzeitung zu machen. Annette Hailer, die in Freiburg beim Korrekturlesen half, heiratete er später und zog mit ihr dann in ihre Heimat, die Pfalz.

Der 9. November 1989 veränderte wie kaum ein anderer Tag Biographien, Lebenswege – ein ganzes Land. Die JUNGE FREIHEIT – sie säße ohne diese historische Wende heute wohl nicht am Hohenzollerndamm in Berlin und erschiene nicht als überregionale Wochenzeitung für ganz Deutschland mit einer gesamtdeutschen Redaktion.  

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