© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/09 20. November 2009

Mielkes Staatsfeind Nummer eins
Axel Springer und sein Verlag waren der DDR ein Dorn im Auge / Anti-Springer-Proteste in der Bundesrepublik wurden instrumentalisiert
Karlheinz Weissmann

Spätestens seit Bekanntwerden der Stasi-Tätigkeit von Karl-Heinz Kurras, jenem Polizisten, der Benno Ohnesorg erschoß, ist dem Zusammenhang „Staatssicherheit – Springer – ’68“ größere Aufmerksamkeit sicher. Durch die Enthüllung, daß der Beamte im Dienst der DDR stand und nicht etwa Opfer von „Bild-Hetze“ war, wurde der Blick darauf gelenkt, daß es neben der Schauseite der Ereignisse in den Jahren der Studentenrevolte auch eine verdeckte gab, die für den Ablauf mindestens ebenso große Bedeutung besaß. Das erklärt auch, warum es der Gruppe von Historikern um Jochen Staadt, Tobias Voigt und Stefan Wolle gelungen ist, einen Publikumsverlag – Vandenhoeck und Ruprecht – dafür zu gewinnen, ein Buch herauszubringen, das sich mit den Maßnahmen des MfS gegen Axel Cäsar Springer und sein Unternehmen befaßt.

Seit den sechziger Jahren galt Springer der DDR-Führung als ideologischer Hauptfeind. Das hatte seine Ursache nicht nur in Springers Antikommunismus und seiner scharfen Haltung gegenüber dem mitteldeutschen Regime, sondern auch in seinem unverbrüchlichen Festhalten am Ziel der Wiedervereinigung. Angesichts der Medienmacht, über die er mit seinen Zeitungen und Zeitschriften verfügte, sah Ost-Berlin in ihm einen Kontrahenten, der nicht nur der Einflußnahme auf das Meinungsklima in der Bundesrepublik Grenzen setzte, sondern vielleicht auch eine destabilisierende Wirkung auf das eigene System ausüben konnte.

Dem Band ist zu entnehmen, daß Springer sogar mit seinen symbolpolitischen Maßnahmen, den „Tüttelchen“ bei Verwendung des Staatskürzels DDR oder dem – im Westen viel bespöttelten – Bau des Springer-Hochhauses direkt an der Mauer, genau jene provozierende Wirkung erreichte, die er angestrebt hatte. Die SED-Gewaltigen fühlten sich verunsichert und gereizt und ergriffen jede Gelegenheit, um den Verhaßten zu attackieren. Der Aufwand, den man zu diesem Zweck trieb, war erheblich, so im Fall einer fünfteiligen Fernsehserie, die angeblich die Biographie Springers behandeln sollte, aber die Fakten entstellte und mit kalkulierten Unwahrheiten vermischte, was Springers Engagement in der NS-Zeit oder eine angebliche Homosexualität betraf.

Die Wirkung auf die eigene Bevölkerung, die das Machwerk zu sehen bekam, dürfte relativ gering gewesen sein, aber den Auftraggebern scheint die Produktion als solche eine gewisse Befriedigung verschafft zu haben. Von größerer Bedeutung waren allerdings die Aktivitäten im Westen, die Ausforschung und Desinformation galten. Was den ersten Punkt betrifft, so spielte vor allem eine Rolle, daß es der Staatssicherheit gelang, Springers Sekretärin, die Zugang zu allen internen Informationen seines Büros besaß, nach dem „Romeo“-Prinzip zu rekrutieren. Faktisch hatte man damit Kenntnis von allen wichtigen geschäftlichen, politischen und persönlichen Entscheidungen Springers. Mit einer gewissen Verblüffung registriert man in dem Zusammenhang die Naivität des Unternehmers, aber auch seiner engsten Umgebung, in der man doch davon ausgehen mußte, daß ein Feind – dem man zu Recht alles Böse zutraute – versuchen würde, sich Einblick und Einfluß zu verschaffen.

Welche Auswirkungen die Spionage der „Sekretärin“ (MfS-Deckname) tatsächlich hatte, ist heute kaum noch zu klären. Deutlicher sind die Konsequenzen der subversiven Tätigkeit gegen Springer, die auf Umwegen seine Position zu schwächen suchte. Man muß dabei zwei Strategien deutlich voneinander trennen: einerseits die Installation von Meinungsmachern, die aus Überzeugung oder für Entlohnung gegen Springer agitierten. Was es da an Hilfswilligen im Umfeld von „Sozialistischer Einheitspartei Westberlins“ (SEW) oder der Neuen Linken gab, war aber kaum in der Lage, ein breiteres Publikum zu erreichen.

Anders lag der Fall, wenn es der Staatssicherheit gelang, sich Kampagnen anzuschließen, die von etablierten Kräften ausgingen, die aus Konkurrenzgründen oder weltanschaulichen Motiven gegen Springer standen. In dem besprochenen Band werden mehrere Vorgänge dieser Art beschrieben: im Zusammenhang der Überlegungen des Spiegel-Herausgebers Rudolf Augstein und des Zeit-Herausgebers Gerd Bucerius, in Berlin eine eigene Tageszeitung gegen die Springer-Blätter zu etablieren, verbunden mit einer „kritischen“ Haltung zur „Pressekonzentration“, die unschwer an die vom Osten instrumentalisierte, von der APO exekutierte „Enteignet Springer“-Kampagne anknüpfen konnte, weiter die Angriffe des Stern, der sich damals als Leitorgan der linken Intelligenz zu etablieren suchte, auf Springer und die von ihm favorisierten Ziele. Der Band von Staadt, Voigt und Wolle zeigt am Beispiel des Falls „Nico Hübner“ – eines Kriegsdienstverweigerers in der DDR, der sich um Hilfe an Springer gewandt hatte – ein ausgesprochen perfides Zusammenspiel. An Naivität auf westlicher Seite ist dabei sowenig zu glauben wie im Kontext der Stern-Agitation gegen den Bundespräsidenten Heinrich Lübke als „KZ-Baumeister“, die sich auf Stasi-Material stützte.

Zur Bedeutung derartiger gesamtdeutscher „Propaganda-Allianzen“ heißt es mit immer noch seltener Deutlichkeit, da hätten „Verfolgte des NS-Regimes, SED- und Stasi-Bürokraten, demokratisch bekehrte ehemalige NS-Propagandisten wie Henri Nannen und Mitläufer, kommunistisch geläuterte SA- und NSDAP-Genossen, Sozial- und Idealdemokraten sowie linke Radikale aller Schattierungen“ ein Bündnis gebildet, in dem Bedenkenlosigkeit jedenfalls eine größere Rolle spielte als Blauäugigkeit.

Man kann dieser Einschätzung nur beipflichten und muß dem Buch schon wegen der Aufdeckung solcher Zusammenhänge eine aufklärende Potenz zusprechen. Die wäre nur noch größer, wenn sich die Autoren stärker dem allgemeinen ideologischen und kulturellen Hintergrund der Entwicklung gewidmet hätten. Dann wäre zweifellos Licht auf weitere Vorgänge gefallen, die in der Nachkriegszeit eine Rolle spielten und bis heute nachwirken.

Jochen Staadt, Tobias Voigt, Stefan Wolle: Feind-Bild Springer. Der Verlag und seine Gegner. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen2009, gebunden, 328 Seiten, Abbildungen, 19,90 Euro

Foto: Axel Springer 1970 als Zeuge im Prozeß gegen Horst Mahler (mit Brille und Anwalt Otto Schily): Das SED-Regime instrumentalisierte die „Enteignet Springer“-Kampagne nur zu gern

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