© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  49/09 27. November 2009

Autos anzünden als politische Aktionsform
Linksextremismus: Unter dem wachsenden Druck der Öffentlichkeit diskutiert die Sympathisantenszene über die Berliner Brandserie
Ekkehard Schultz

Es ist scheinbar eine Serie ohne Ende: Seit Beginn des Jahres wurden in  Berlin bereits über 270 Fahrzeuge in Brand gesteckt (JF 48/09). Der wachsende Druck der Öffentlichkeit auf Politik und Polizei, die Brandserie wenn schon nicht zu beenden, so doch einzudämmen, geht mittlerweile auch an der linken Szene nicht spurlos vorüber.

Die zahlreichen Beschwichtigungsversuche, es handele sich nicht in erster Linie um politisch motivierte Täter, sondern um „Randalierer“, verfangen nicht mehr. So wird immer häufiger auf die vermeintlich „guten Absichten“ der Täter verwiesen. Liegen Bekennerschreiben vor, so werden die Straftaten zumeist als Reaktion auf die Verdrängung sozial schwächerer Bevölkerungsschichten durch steigende Mieten und Luxussanierungen in einzelnen Stadtteilen gerechtfertigt. Dafür hat sich seit einigen Jahren bei linken Sozialwissenschaftlern als auch bei Linksradikalen der Begriff „Gentrifizierung“ eingebürgert.

So stand auch eine Gesprächsrunde der linken Tageszeitung (taz), die in der vergangenen Woche im taz-Cafe in Berlin abgehalten wurde, unter dem Motto „Wo brennt‘s? Gentrifizierung und wie man sie bekämpfen kann“. Dabei ging es nicht zuletzt um die Frage, ob die Brandstiftungen als legitime politische Aktionsform betrachtet werden könnten. Eingeladen waren dazu Tim Laumeyer von der extremistischen Antifaschistischen Linken Berlin, der ehemalige Hausbesetzer und heutige taz-Autor Christoph Villinger sowie der Innenpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus, Benedikt Lux.

Laumeyer ließ keinen Zweifel daran, daß er das „Abfackeln“ von Autos als „politische Aktionsform unter anderen“ betrachtet. Die Hauptstadt befinde sich in einem gesellschaftlichen Umbruch, in dessen Verlauf der „ökonomische Verwertungsdruck“ massiv zunehme und immer größere Bevölkerungsteile betreffe, sagte Laumeyer. Sozial schwächere Personen würden in vielen Bezirken von Investoren und Käufern von Eigentumswohnungen verdrängt. Friedliche Möglichkeiten, sich gegen diese Entwicklung zur Wehr zu setzen, gibt es nach Ansicht Laumeyers kaum, zumal solche Aktionen „bislang nur zu geringen Erfolgen geführt“ hätten. Brandstiftungen seien in diesem Zusammenhang zumindest „ein Signal an die Öffentlichkeit“.

Der ehemalige Hausbesetzer Villinger schloß sich der Meinung Laumeyers weitestgehend an. Nach seiner Auffassung sei das Echo auf die angezündeten Wagen in der Bevölkerung „sehr ambivalent“. Als Beispiel führte Villinger eine Freundin an, die ihm persönlich ihre spontane Freude darüber zum Ausdruck gebracht habe, als sie erfuhr, daß in ihrem näheren Wohnumfeld wieder einmal „ein fetter Mercedes abgefackelt“ wurde. Andererseits distanziere sich die Betreffende jedoch von Gewalt, arbeite für eine öffentliche Behörde und „findet Frank-Walter Steinmeier gut“.

Villinger bekräftigte, „das Gute an den Anschlägen“ bestehe darin, daß auf diese Weise das Thema Gentrifizierung gesellschaftlich breiter als sonst wahrgenommen werde. Gerade die rot-grüne Bundesregierung habe für den Schutz sozial Schwacher „überhaupt nichts Wesentliches“ geleistet. Damals hätten etwa Gesetze gegen eine Mieterhöhung bei Neuvermietungen gemacht werden müssen. Zudem sollten Steuern auf den Besitz von Eigentumswohnungen erhoben werden. Solange solche Forderungen nicht erfüllt würden, müßten „die Aktionen weitergehen“.

Zudem erinnerte Villinger daran, daß „in den achtziger Jahren viele Leute gerade über militante Aktionen der Hausbesetzerszene ihre Nase gerümpft“ hätten. Im Abstand von über zwanzig Jahren habe sich gezeigt, daß die damalige Szene auf diese Weise zumindest teilweise Erfolg und damit eine Berechtigung gehabt hätte. Die Kritik an der damaligen Gewalt sei längst verstummt.

Dagegen sprach sich der Grünen-Politiker Benedikt Lux gegen gewalttätige Aktionen der Verdrängungs-Gegner aus, selbst wenn sie zur Erreichung „eines guten Ziels“ angewendet würden. Jedes brennende Auto sei „kontraproduktiv“, zumal dies „von der Springer-Presse“ und der CDU als Kampagnenthema genutzt werde. Tatsächlich nehme durch eine derartige Serie von Straftaten das Gefühl der Verunsicherung allgemein in der Gesellschaft zu, welches wiederum „Wasser auf die Mühlen der Konservativen“ sei, warnte Lux.

Zudem verwies der Grünen-Politiker darauf, daß es zur Zeit einen besonderen Druck auf die Ermittlungsbehörden gebe, nachdem bei den Krawallen am diesjährigen 1. Mai in Kreuzberg „die Polizei auf dem falschen Fuß erwischt“ worden sei. Seither stehe Polizeipräsident Glietsch unter hohem Erfolgsdruck. Aus Sicht der Linken sei eine Ablösung des „Reformers“ Glietsch jedoch keineswegs wünschenswert, da in diesem Fall der „rechtere Teil der Polizei gestärkt“ werden dürfte.

Foto: Zwei ausgebrannte Autos in Berlin-Wedding: Die Polizei auf dem falschen Fuß erwischt

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