© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  49/09 27. November 2009

Angriff auf den Finanzplatz Tessin
Finanzpolitik: Italien zieht im Streit mit der Schweiz alle Register der Steuerfahndung / Empörung wächst
Paola Bernardi

Seit Monaten herrscht zwischen Italien und der Schweiz eine Art „Finanzkrieg“. Am Grenzübergang vom lombardischen Chum (Como) nach Chiasso im Schweizer Kanton Tessin sind Überwachungskameras mit Infrarot von der Guardia di Finanza aufgebaut worden, um die Kennzeichen aller italienischen Autos aufzunehmen. Die Beamten der italienischen Finanzpolizei ermitteln so die Autobesitzer und überprüfen deren Steuerdaten. Bei Verdacht leiten sie weitere Untersuchungen ein. Gleichzeitig werden Personenkontrollen in den Zügen von Italien in die Schweiz durchgeführt. Man hofft, so Geldkuriere auf frischer Tat zu erwischen. Und das alles geschieht, obwohl innerhalb des Schengen-Raums, dem inzwischen auch die Schweiz angehört, systematische Personenkontrollen eigentlich die Ausnahme sein sollten.

Doch die Jagd nach angeblich flüchtigen italienischen Euro-Milliarden läßt alle außenpolitischen Abkommen über Nacht außer acht. Die Schweiz – gestern noch guter Nachbar – gilt inzwischen als Feind im Visier des italienischen Finanzministers. Der Grund für diese extremen Grenzschikanen zwischen Italien und der Schweiz ist die jüngste Amnestieaktion zur Rückführung von italienischem Schwarzgeld aus dem Ausland durch den italienischen Finanz- und Wirtschaftsminister Giulio Tremonti.

Der „italienische Steinbrück“ sucht nach Euro-Milliarden

Der Spitzenpolitiker der liberalkonservativen Regierungspartei Popolo della Libertà (PdL) äußerte sich öffentlich zwar weniger martialisch als sein früherer sozialdemokratischer Amtskollege Peer Steinbrück (JF 16/09). In der Praxis hat Tremonti den benachbarten „Steuerparadiesen“ Schweiz, Liechtenstein, Monaco und San Marino einen viel wirksameren Kampf angesagt. Ein besonderes Interesse gilt dabei dem italienischsprachigen Kanton Tessin und insbesondere der Gemeinde Lauis (Lugano/Lügan). Tremonti – früher selbst renommierter Steuerberater und Juraprofessor mit der größten Anwaltskanzlei von Mailand – kennt sich auf seinem Fachgebiet bis ins kleinste Detail aus.

Lugano ist heute nach Zürich und Genf der drittgrößte Bankenplatz der Schweiz – und genau da witterte der italienische Finanzminister in den Zeiten der leeren Staatskassen erheblichen Aufholbedarf. Die versteckten überführten Kapitalerträge sollen dann helfen, die exorbitanten Budgetdefizite auszugleichen. Dafür zieht Tremonti alle Register.

Als kürzlich sogar bekannt wurde, daß Italien verdeckt agierende Finanzbeamte in verschiedenen Orten des Tessin zur Fahndung nach Schwarzgeld eingesetzt hätte, brach Unruhe aus. Schweizer Zeitungen karikierten diesen Umstand mit Schlagzeilen wie „Achtung, Feind hört mit“. Im Tessin, wo seit Jahrhunderten Italiener und Schweizer friedlich zusammenarbeiten, herrscht seitdem Unfrieden.

Die unter dem Schlagwort „Scudo-Fiscale“ (Steuerschild) gestartete Amnestie – bereits die dritte in Italien – soll laut Tremonti die Steuerparadiese „trockenlegen“. Und da kennt der „italienische Steinbrück“, wie die Schweizer Zeitungen ihn nennen, kein Pardon. Er läßt kaum ein Instrument aus, mag es auch noch so zweischneidig sein, um an die (Schwarz-)Gelder der Italiener zu kommen.

So offeriert Tremonti – dem Ambitionen auf die Nachfolge von Regierungschef Silvio Berlusconi nachgesagt werden – den italienischen „Steuersündern“ noch bis zum 15. Dezember eine reduzierte Strafe von lediglich fünf Prozent für das deklarierte Schwarzgeld.

Zudem wurde denjenigen Straffreiheit garantiert, die offenlegen, daß sie aus Angst vor dem italienischen Fiskus ihr Geld in die Schweizer Banken deponierten. Das allerdings könnte sich als problematisch erweisen, wenn die Mafia diese Situation ausnützen würde, um ihre in der Schweiz gebunkerten Gelder auf diese Weise reinzuwaschen.

Daß dieser Verdacht durchaus nicht abwegig ist, machte jüngst eine Pressekonferenz mit dem Chef der Schweizer Bundeskriminalpolizei, Michael Perler, deutlich. Er erklärte, daß es sichere Anzeichen dafür gebe, daß die kalabresische Mafia ( ‘Ndrangheta) ihre Gelder in Immobilien und Restaurants über Strohmänner vor allem im Tessin anlege. Weil Mittelsleute eingesetzt würden, seien die Investitionen des organisierten Verbrechens nicht leicht zu erkennen.

Als dann noch über Nacht Razzien in die Filialen Schweizer Banken in verschiedenen italienischen Großstädten durchgeführt wurden, da schlugen die Wogen der Empörung zwischen Bern und Rom über diese Aktion hoch. Die Vizepräsidentin des Schweizer Bundesrats, Doris Leuthard (CVP), flog nach Rom und traf sich mit dem italienischen Minister für wirtschaftliche Entwicklung, Claudio Scajola (PdL), um gemeinsam zu schlichten. Immerhin sei Italien der zweitwichtigste Handelspartner der Schweiz, betonte Leuthard, die in der Schweiz auch das Wirtschaftsressort innehat.

Nach den letzten Aktionen von seiten der Italiener hat nun auch Bern reagiert: Die Schweiz schickte ihrerseits eine militärische Drohne vom Typ Ads 95 Ranger an die Grenze zwischen der Lombardei und dem Tessin. Dieses unbemannte „Spionage“-Flugzeug fotografiert mit einer Telekamera nun alle Vorgänge vor Ort.

Nach Schätzungen von Experten sollen 200 Milliarden Franken (132 Milliarden Euro) von italienischen Staatsbürgern im Tessin angelegt worden sein – das ist rund die Hälfte der in der Südschweiz verwalteten On- und Offshore-Gelder. Und dieses Schwarzgeld hat Tremonti im Visier. Laut Tessiner Bankiers wurden allerdings bisher nur relativ kleine Beträge abgezogen. Italienische Banken hingegen behaupten, daß reumütige Steuersünder bei ihnen Schlange stünden. Die Wahrheit liegt wohl irgendwo dazwischen.

Schon geht die Angst um in Tessin – vor allem um die vielen gutbezahlten Arbeitsplätze. Denn sollte es zu einem großen Abfluß der Gelder in den Banken kommen, wären nicht nur Stellen im Banken-, sondern auch im Gast- und Hotelleriegewerbe gefährdet.

Die autonomistische Rechtspartei Liga dei Ticinesi hat daher zu drastischen Aktionen gegen die Repatriierung von Fluchtgeld nach Italien aufgerufen. So fordert sie im Parteiblatt Il Mattino für jede Milliarde, die aus dem Tessin abfließt, Einreiseverbote für jeweils 500 italienische Grenzgänger. Das wären ein Prozent aller Pendler, die täglich zur Arbeit einreisen – viele davon in der Finanzbranche. Diese beschäftigt im Tessin rund 9.000 Personen.

Foto: Anwerbeveranstaltung der italienischen Finanzpolizei in Mailand: Die verdeckten Einsätze der Guardia di Finanza im befreundeten Ausland sorgen für Empörung und diplomatische Verstimmungen

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