© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  49/09 27. November 2009

Aalglatte Profillosigkeit
Der Journalist Martin Lohmann analysiert die christlich-konservative Flügelschwäche der Merkel-Union
Ansgar Lange

Machen die Wähler heute noch bewußt ihr Kreuz bei der CDU? Dieser Frage geht der auch aus dem Fernsehen bekannte katholische Publizist und frühere Redakteur des Rheinischen Merkur, Martin Lohmann, in seinem aktuellen Buch nach und kommt zu der Erkenntnis, die Union sei für viele das kleinste aller Übel. Ihm ist klar: Die Bergpredigt ist kein politisches Handbuch. Doch etwas christlicher könnte sich die Partei Konrad Adenauers und Angela Merkels schon gerieren. Die Kanzlerin, so wird kolportiert, hatte keine Hand frei, als Lohmann ihr ein Exemplar seiner Streitschrift überreichen wollte. Richtig gut kommt die angelernte Christdemokratin in dem schmalen Werk auch nicht weg. Relativ unverblümt macht der Autor deutlich, daß die Protestantin aus dem Osten für die „aalglatte Profillosigkeit“ der CDU verantwortlich sei.

Die Kanzlerin vernachlässige das C als Markenkern der Union. Als „beste Ich-AG aller Zeiten“ habe sie sich selbst zu einer Marke gemausert. „Niemand steht so sehr für sich und seine anpassungsfähigen Grundüberzeugungen wie Merkel“, schreibt Lohmann ihr ins Stammbuch. Mit dem Christlichen verkümmere auch zusehends alles Konservative in der Partei, denn wenn von den Konservativen in der Union gesprochen werde, dann sei dies fast schon ein Schimpfwort.

Zuweilen wiederholt sich Lohmann. Auch ist nicht alles wirklich originell, was er auf etwa 200 Seiten festhält. Doch hin und wieder blitzt eine sehr gelungene Formulierung auf. Wie zum Beispiel: „Die CDU ist in wesentlichen Fragen dem süßen Gift der Diktatur des Relativismus verfallen.“ Besonders deutlich werde die Vernachlässigung des C bei der Familienpolitik, die man besser als „Frauenerwerbsförderungspolitik“ bezeichnen könne. Kinder und Familie haben bei den von der Leyens keine Lobby, so sein Befund. Die Idee eines Erziehungseinkommens kann Lohmann allerdings auch nicht überzeugend vermitteln. Wie auch andere Vertreter eines christlichen Konservatismus, die sich stark der Familienpolitik widmen, übersieht Lohmann, daß unser Sozialstaat auch von einer Vielzahl von Kinderlosen oder Alleinstehenden mitfinanziert wird, die mit hohen Steuern und Sozialabgaben belastet sind. Als liberaler Konservativer zuckt man innerlich zusammen, wenn Lohmann von einer kräftigen zusätzlichen Mehrwertsteuer zugunsten der Familie schreibt. Zudem steht zu befürchten, daß nicht alle Eltern diese Zusatzknete in die musische Ausbildung ihrer Zöglinge investieren.

Insbesondere bei Themen wie Abtreibung und Familie versagt die Union als C-Partei auf ganzer Linie, meint der Autor. Brauchen wir also eine neue christliche Partei? Momentan hält er solche Pläne nicht für realistisch. Stattdessen plädiert er für das Modell der systematischen Unterwanderung. Viele überzeugte Christen sollten sich in der Merkel-Partei engagieren und ihr dadurch letztlich den Stempel aufdrücken. Ob sich dies unter den aktuellen Rahmenbedingungen und der Personaldecke der Union durchsetzen läßt, scheint fraglich – obwohl sich mit der Gründung eines „Arbeitskreises engagierter Katholiken“ (siehe auch Beitrag auf Seite 4 dieser Ausgabe) eine entsprechende politische Tendenz andeuten könnte. Die Alternative zur Unterwanderung sei „einzig die Neugründung einer weltoffenen, toleranten und lebensfrohen Partei“. Aber dafür brauche es einiger Geldgeber und großer Spender.

Inwieweit sich das Christliche, Liberale und Konservative in der Union in den nächsten Jahren wieder durchzusetzen vermag, bleibt abzuwarten. Die Dauerentschuldigung, man müsse schließlich auf den Koalitionspartner SPD Rücksicht nehmen, gilt nicht mehr, seit man mit dem „Traumpartner“ koaliert. Vielleicht bringt der schiere Opportunismus die einstige Volkspartei zur Einsicht, sich wieder stärker ihrer Ursprünge zu besinnen. Die konservativen Milieus in Bayern und Baden-Württemberg waren immer der Garant für gute Ergebnisse auf Bundesebene. Doch auch dort laufen der Union mittlerweile die Wähler in Scharen davon. Will sich die CDU vor dem Schicksal der völlig orientierungslosen SPD hüten, muß sie wieder das betonen, was sie einst zur Gründungspartei der alten Bundesrepublik gemacht hat.

Martin Lohmann: Das Kreuz mit dem C. Wie christlich ist die Union? Verlag Butzon & Bercker, Kevelaer 2009, gebunden, 202 Seiten, 14,90 Euro

Foto: Eine Partei und konturenloses Profil: Die CDU ist dem süßen Gift der Diktatur des Relativismus verfallen

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