© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  49/09 27. November 2009

Das Chamäleon in drei Reichen
Ein Gedenkblatt zum 125. Geburtstag von Johannes Popitz, einem der ambivalentesten Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944
Oliver Busch

Über den 1945 als „Verschwörer“ und Teilnehmer am „20. Juli 1944“ hingerichteten preußischen Finanzminister Johannes Popitz gehen die Meinungen weit auseinander. Einig sind sich Freund und Feind lediglich in der Charakterisierung als „Chamäleon“. Das meint weniger die opportunistische Anpassungsfähigkeit eines Juristen, dessen Karriere im Kaiserreich begann, sich in der Weimarer Republik und schließlich im NS-Führerstaat bruchlos fortsetzte. Vielmehr drückt es die Erfahrung aus, einer facettenreichen, schwer zu fassenden und zu beurteilenden Persönlichkeit begegnet zu sein.

In der Tat stöhnt auch sein letzter Biograph, der Hamburger Finanzrichter Reimer Voß (JF 21/07), auf, wenn er sich mit der Widersprüchlichkeit des am 2. Dezember 1884 geborenen Leipziger Apothekersohnes konfrontriert sieht. Eigentlich ein Gelehrtentypus, strebte Popitz nach politischer Macht. Alles andere als ein Demokrat und wenig angetan von den neuen Herren, blieb der Finanz- und Steuerexperte 1918 auf seinem Posten, um unter republikanischen Chefs sich dauerhaft als „Graue Eminenz“ im Reichsfinanzministerium zu etablieren. Der Beamteneid auf die Weimarer Verfassung hinderte ihn allerdings nicht, seit 1930 an deren Unterhöhlung kräftig mitzuwirken. Bis 1933 schien sein Verhältnis zu jüdischen Unternehmern, Kollegen und Untergebenen eher von Sympathien bestimmt. Trotzdem liegen Anhaltspunkte für die Glaubwürdigkeit seiner 1944 vor Kaltenbrunners Vernehmern gemachten Aussage vor, der zufolge er stets der Auffassung gewesen sei, „daß die Juden aus dem Staats- und Wirtschaftsleben verschwinden“ müßten. Entsprechend wirkte er seit April 1933 am Kabinettstisch des Reichskanzlers Adolf Hitler an ihrer legislatorischen Eliminierung mit, bis sich nach der „Reichskristallnacht“ 1938 ein Sinneswandel einstellte, der ihn in den Kreis der nationalkonservativen Widerstandszirkel um Ulrich von Hassell, Ludwig Beck und Carl Goerdeler führte.

Von hypertrophem Ehrgeiz wie von großer Eitelkeit getrieben, eine machtfixierte Fouché-Natur, zerstreute Popitz – als einziger amtierender Minister in diesem Kreis der „Ausgebooteten“ – nie den Verdacht, loyaler Diener des NS-Regimes zu sein. Dies prädestinierte ihn andererseits, 1943 die Fühler in Richtung Himmler auszustrecken, um eventuell die SS in den geplanten Staatsstreich gegen Hitler einzuspannen. Daß seine maßgebliche Beteiligung am Widerstand gegen ein totalitäres Regime Popitz keinen demokratischen Persilschein einbringen könne, hat die Zeitgeschichtsforschung, allen voran Hans Mommsen, oft genug betont. Die Planungen der nationalkonservativen Verschwörer für die Zeit „nach Hitler“ stützen solche Klassifizierung ebenso wie ein – bei aller quellenkritisch gebotenen Vorsicht – doch wohl authentisches und häufig zitiertes Popitz-Bekenntnis aus den Kaltenbrunner-Papieren: „Ich bejahe in jeder Weise den nationalsozialistischen Staat und sehe in ihm die geschichtliche Notwendigkeit gegenüber dem Internationalismus und der Verjudung der Systemzeit und gegenüber den unerträglichen Kreisen der parlamentarischen Parteien ...“

Aufgrund dieser weltanschaulichen Disposition fand Popitz mit seiner früh manifesten obsessiven Fixierung auf den „einheitlichen Staatswillen“ mühelos den Weg zu Hitler und Göring. Den von ihm unverstandenen weltanschaulichen Pluralismus des modernen Parteienstaates samt Gewaltenteilung und parlamentarischem Interessenhandel lehnte er nicht zuletzt darum ab, weil er einem derart inhomogenen Gebilde nicht zutraute, dem 1919 in Versailles gegen das Deutsche Reich erzeugten außenpolitischen Druck standzuhalten. Erst der im Vergleich mit seiner Abscheu gegen die spätestens im Jahr 1938 offenkundige Judenverfolgung ungleich stärkere Anstoß – seine Einsicht, daß das demokratische „Durcheinander“ 1933 nur durch den Dschungelkampf von Partei, Staat, Wehrmacht in der „NS-Polykratie“ abgelöst wurde – weckte den Geist des Widerstands.

Foto: Johannes Popitz

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