© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  50/09 04. Dezember 2009

Die Alliierten lasen alles mit
Post- und Fernmeldegeheimnis galten in der jungen Bundesrepublik kaum / Täglich wurden vierzig Tonnen Post zensiert und vernichtet
Hans-Joachim von Leesen

Die Bundesrepublik Deutschland verfügt über die „freiheitlichste Verfassung, die Deutschland je besaß“ – das betont auch der außerordentliche Professor für Zeitgeschichte an der Universität Freiburg, Josef Foschepoth, in der Einleitung seines in der Zeitschrift für Geschichtswissenschaften (Ausgabe 5/2009) veröffentlichten Beitrags über „Postzensur und Telefonüberwachung in der Bundesrepublik Deutschland 1949–1968“. Man weiß aber nicht, ob sich hinter seiner Formulierung eine gewisse Süffisanz in Hinblick auf Verfassung und Verfassungswirklichkeit verbirgt. Es geht schließlich um den Artikel 10 des Grundgesetzes: „Das Briefgeheimnis sowie das Post- und Fernmeldegeheimnis sind unverletzlich. Beschränkungen dürfen nur aufgrund eines Gesetzes angeordnet werden.“

Besatzungsstatut stand über dem Grundgesetzartikel

Nach vierjähriger Besatzungsherrschaft gab sich die Bundesrepublik eben dieses „freiheitlichste“ Grundgesetz. Doch wer weiß heute noch, daß zwei Jahrzehnte lang in diesem Staat weder das Briefgeheimnis noch das Post- und Fernmeldegeheimnis eingehalten wurde? Foschepoth ist zu dem Schluß gelangt, daß von 1949 bis 1968 die westlichen Besatzungsmächte sich den Teufel um das in Artikel 10 GG postulierte Grundrecht scherten. Sie beriefen sich vielmehr auf das Besatzungsstatut, genauer auf das Gesetz Nr. 5 der Alliierten Hohen Kommission, in dem auch „Maßnahmen zur Sicherheit der alliierten Besatzungstruppen“ festgelegt waren. Dazu gehörte, daß nahezu die gesamte Post in den drei früheren westlichen Besatzungszonen durch US-amerikanische, britische und französische Besatzungsbehörden kontrolliert wurde. Natürlich hörten sie auch Telefonate ab und ließen sich Telegramme aushändigen.

Nach Foschepoths Forschungen kontrollierten besonders intensiv die Amerikaner, aber auch die Franzosen schnüffelten in großem Umfang. Er fand heraus, daß etwa im Jahre 1951 in der französischen Besatzungszone „die gesamte Post grundsätzlich den französischen Behörden zur Zensur zugeleitet wurde“, wie Außenminister Heinrich von Brentano Bundeskanzler Adenauer schrieb. Die Postkontrolle erfaßte auch alle Sendungen aus Bonn, also auch die Post der Bundesregierung und der Mitglieder des Bundestages, aber auch die Mainzer Landesregierung, den Landtag, die Gerichtsbehörden, die politischen Parteien, Verbände, das Regierungspräsidium, Zeitungen und Verlage oder die Bischöfliche Kanzlei. Dazu war ein gewaltiger Überwachungsapparat notwendig. Die Briten etwa unterhielten in Düsseldorf eine Dienststelle mit neunzig Personen. Selbst deutsche Behörden wurden genötigt, gegen das Grundgesetz zu verstoßen. Begründet wurde die Überwachungsaktion mit der vorgeblichen Bedrohung der alliierten Besatzungstruppen durch kommunistische Propaganda, die aus dem Osten über die Elbe schwappte.

Tatsächlich tobte in den Jahren des „kalten Krieges“ eine heftige propagandistische Fehde zwischen den ehemaligen Verbündeten. Sie wurde nicht nur auf dem Postweg ausgetragen, sondern ebenso im Hörfunk. Die DDR beispielsweise betrieb den „Freiheitssender 904“, während die USA etwa über „Radio Liberty“ in vielen osteuropäischen Sprachen Propagandasendungen verbreiteten, in deutscher Sprache kam dem RIAS (Rundfunk im amerikanischen Sektor) diese Funktion für die DDR zu. In der DDR ließ man die Betriebsangehörigen vieler VEB Briefe an Westdeutsche schicken, deren Anschriften von kommunistischen Sympathisanten besorgt worden waren. Ebendiese Briefe galt es abzufangen und unschädlich zu machen, so die Begründung der alliierten Zensur. Dafür wurden von der Bundespost allein an die Amerikaner in der Zeit zwischen 1960 bis 1967 insgesamt 42,1 Millionen Postsendungen als verdächtig ausgeliefert.

Aber, und das erwähnt Foschepoth eher am Rande, auch die innerhalb der Bundesrepublik aufgegebene Post unterlag der alliierten Kontrolle. Begründet wurde das mit der sehr bald von der DDR aufgenommenen Schleusung von Postsendungen über die Grenze, vor allem via Berlin, das noch nicht durch eine Mauer geteilt war, die dann im Westen, versehen mit Briefmarken der Bundespost, aufgegeben wurden. Solche Sendungen waren auf den ersten Blick nicht als Post aus der DDR zu erkennen. Die Siegermächte mußten dann auf Verdacht Postsendungen abfischen, so daß auch viele nicht-politische Briefe bei ihnen landeten. Inwieweit die Geheimdienste der Besatzungsmächte gezielt auch Postsendungen bestimmter bundesrepublikanischer Institutionen und Persönlichkeiten für eigene Zwecke auswerteten, darüber berichtet Foschepoth leider nichts.

Bundesregierung deckte  und beförderte die Zensur

Eigentlich mußten nach der Postordnung nicht zustellbare Sendungen an den Absender zurückgeschickt werden. Ab 1952 wurden die von den Besatzungsmächten kassierten Propagandasendungen, soweit sie nicht für die Geheimdienste von Interesse waren, in das Gefängnis nach Hannover transportiert, wo die Poststücke im Reißwolf vernichtet wurden. Die Bundesregierung wußte von den Maßnahmen, sorgte aber dafür, daß nichts in der Öffentlichkeit bekannt wurde. Deutsche Postbeamte wurden sogar mit Hinweis auf ihren Beamtenstatus dazu verpflichtet, dieser gesetzwidrigen Praxis zu folgen.

So sind, wie heute geschätzt wird, täglich etwa vierzig Tonnen Postsendungen zensiert bzw. vernichtet worden. In den letzten Jahren arbeiteten die Alliierten eng mit dem deutschen Verfassungsschutz zusammen. Der durfte, da er sich formal ans Grundgesetz zu halten hatte, selbst keine Post kontrollieren. So gab es eine Abmachung, daß für den Verfassungsschutz interessante Entdeckungen von den alliierten Zensoren an ihn weitergeleitet wurden. Erst 1968 verabschiedete der Deutsche Bundestag im Rahmen der „Notstandsgesetze“ auch das deutsche „Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses“, womit die alliierten Befugnisse endeten. Foschepoth: „Das heißt nicht, daß danach keine Briefe mehr geöffnet oder Telefongespräche abgehört wurden. Jetzt geschah dies alles allerdings auf einer gesetzlichen Grundlage, die mit dem Grundgesetz vereinbar war.“

Foto: Telegrammboten der Deutschen Post 1951 vor der Oberpostdirektion in Berlin: Inhalte der Sendungen im Fokus der Alliierten

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