© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  51/09 11. Dezember 2009

Kernbestand
Politische Zeichenlehre LXXXVIII: Ursymbole
Karlheinz Weissmann

Die Debatte um Dan Browns Bestseller „Das verlorene Symbol“ hat nicht nur gesteigerte Neugier in bezug auf Geheimbünde, Illuminaten und Verschwörungstheorien zur Folge und auch nicht nur eine besondere Aufmerksamkeit im Hinblick auf maurerische Zeichen (JF 41/09) und deren wirkliche oder mutmaßliche Bedeutung, sondern auch ein gewachsenes Interesse an Symbolik überhaupt. Derlei kehrt in unregelmäßigen Abständen wieder, meistens im Zusammenhang mit Esoterikwellen, berührt nur die Oberfläche, ist aber als Indiz für die Richtung der Welt-Anschauung des großen Ganzen aufschlußreich.

Wenn also das populärwissenschaftliche Magazin PM eine Ausgabe zum Thema „Ursymbole“ bringt, wird man darin nicht nur den Versuch sehen dürfen, einen Trend zu nutzen, sondern auch einen Hinweis auf das, was sich als allgemeine Vorstellung niedergeschlagen hat. Und die steht im deutlichen Gegensatz zu dem, was an Zeichentheorien oder Ergebnissen der Kommunikationsforschung üblich ist.

Denn trotz des schlichten Niveaus der Argumentation und des Sammelsuriums von Beispielen (Kreis, Kreuz, Schlange, Adler, Hakenkreuz, Pentagramm etc.) und Theoriesplittern (bevorzugt C. G. Jung) spielt hier die Annahme eine entscheidende Rolle, daß die „Ursymbole“ nicht „gemacht“ sind, sondern Teil einer archaischen Ausdrucksweise, die die Menschheit von Anfang an besaß, die im kollektiven Unbewußten verankert ist und deshalb im Prinzip von jedem, zu jeder Zeit, in jeder Kultur verstanden werden kann.

Ohne Zweifel ist diese Annahme hochgradig spekulativ, aber in jüngster Zeit mehren sich doch Hinweise darauf, daß einige Wissenschaftszweige sich der Annahme „natürlicher Symbole“ (Christina Sütterlin) nähern. Das hängt etwa mit Erkenntnissen der Verhaltensforschung zusammen, die früh auf so etwas wie Proto-Symbolik im Tierreich hinwies, jetzt aber stärker auf das Spezifische des menschlichen Symbolgebrauchs abhebt und gleichzeitig klarmacht, daß einige symbolische Ausdrucksformen trotz manifester kultureller Differenzen als Universalien zu betrachten sind.

Michael Tomasello, Kodirektor am Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie in Leipzig, hat in seinem aufsehenerregenden Buch über „Die Ursprünge der menschlichen Kommunikation“ (Suhrkamp 2009) wichtige Ergebnisse dieser Richtung zusammengefaßt. Im Zentrum steht bei ihm die Sprache, aber grundsätzlich gelten die Einsichten Tomasellos für alle Formen symbolischer Verständigung: Die hängt immer von „geteilter Intentionalität“ ab, das heißt einem Zusammenwirken der Menschen im Blick auf einen gemeinsamen Gegenstand unter der Voraussetzung, daß jeder Beteiligte mit einiger Sicherheit vermuten kann, was die anderen Beteiligten beabsichtigen, und sein eigenes Handeln entsprechend ausrichtet. „Geteilte Intentionalität“ – anders als „individuelle Intentionalität“, die auch Tieren möglich ist – macht erst symbolische Kommunikation im Vollsinn möglich.

Die entsprechende Fähigkeit ist dem Menschen nicht einfach angeboren, sondern wird im Laufe der Kindheit durch Interaktion erworben. Darauf folgt eine „Konventionalisierung“, die die Anschlußfähigkeit für den Kreis erhöht, der zu einem gemeinsamen Kommunikationsraum gehört, während die übrigen im Laufe des Prozesses ausgeschlossen werden – und das um so stärker, je nachhaltiger sich die Konventionalisierung ausbildet. Allerdings bleibt ein Kernbestand, etwa die Zeigegesten oder Gebärden, die nicht nur als spezifisch menschlich zu gelten haben, sondern auch ein erstaunliches Repertoire an Bedeutungen umfassen und trotzdem von jedermann verstanden werden.

Tomasello befaßt sich in seinem Buch nicht mit Symbolik im Sinne optischer Zeichen, aber seine Grundannahmen sind teilweise auf diesen Zusammenhang übertragbar. Das könnte auch die Verknüpfung mit den Ergebnissen anderer Disziplinen wie Völkerkunde (Karl A. Nowotny) oder Religionswissenschaft (Werner Müller, Manfred Lurker) erlauben, in denen Außenseiter immer an der Vorstellung festgehalten haben, daß zwar die Symbolsysteme, soweit sie historisch faßbar sind, vor allem Verschiedenheit kennzeichnet, es dahinter aber einen gewissen Kernbestand (Farbgebung, Richtungssymbolik) gibt, der allen gemeinsam ist und dem man auch gewisse „Ursymbole“ zurechnen darf.

Die JF-Serie „Politische Zeichenlehre“ des Historikers Karlheinz Weißmann wird in zwei Wochen fortgesetzt.

Foto: Daumen hoch: Von jedermann verstanden

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