© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  51/09 11. Dezember 2009

Unsere Mittellage bleibt unser Schicksal
Der Publizist Alexander Gauland legt einen beachtenswerten politisch-historischen Essay zur deutschen Geschichte vor
Andreas Graudin

Wer ein Buch mit dem universellen Titel „Die Deutschen und ihre Geschichte“ veröffentlicht und sich dabei auf etwa 160 Seiten beschränkt, riskiert viel. Mindestens ein Naserümpfen der Historikerzunft ist Alexander Gauland gewiß, denn er reduziert deutsche Geschichte auf Grundaxiome und epochale Brüche und verliert sich nicht in Nebenaspekten.

Die knappe Darstellung der deutschen Geschichte von der Hermannschlacht bis zur Wiedervereinigung geht zweifellos zu Lasten der Wissenschaftlichkeit des Werkes, das auf Fußnoten völlig verzichtet. Als promovierter Jurist des Jahrgangs 1941 hat der Autor es indessen nicht nötig, fachfremde wissenschaftliche Meriten zu sammeln. Es geht ihm erkennbar um etwas anderes: um gut lesbare Geschichtsvermittlung mit Breitenwirkung. Geschichtsvermittlung in deutschen Schulen ist heute allenfalls noch Vermittlung von „Inselwissen“, vorzugsweise zum Dritten Reich mit moralisierender Ex-post-Wertung und aus der Froschperspektive. Gauland stellt statt dessen die Wechselwirkung von Geschichte und Geographie heraus, was zwar nicht neu ist, bei anderen Publizisten aber immer wieder unter den Tisch fällt. Natürlich kommt auch er nicht ohne Wertungen aus.

Diese schließen nahtlos an die Urteile etablierter westdeutscher Historiker wie Lothar Gall, Joachim Fest, Golo Mann oder Wolfgang Stürmer an. Eine „Sonderwegdebatte“ vom irrlichternden Reich wird mit guten Gründen ebenso verworfen wie die einseitigen Schuldzuweisungen eines sachlich längst widerlegten Fritz Fischer zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Im „Schandfrieden“ (Gauland) von Versailles sieht er die Urkatastrophe Europas im 20. Jahrhundert und in der Machtübernahme Hitlers 1933 die „Entgleisung“, mit dessen Untaten den deutschen Zivilisationsbruch.

Bei der Beschreibung ebendieser Untaten und derer, die dagegen unter Einsatz und Verlust ihres Lebens aufbegehrten, entnimmt Gauland Zitate aus Ernst Jüngers „Marmorklippen“ – nicht sein einziger Rekurs auf die Konservative Revolution der Zwischenkriegszeit. Mit Edgar Julius Jung, Ernst Kantorowicz und Carl Schmitt nimmt sie Gauland immer wieder in Anspruch, ohne sich ihr inhaltlich anzuschließen. Sie scheint ihn umzutreiben, obwohl er erkennbar Alexis de Tocqueville und Edmund Burke nähersteht.

Ob Carl Schmitts Freund/Feind-Unterscheidung tatsächlich nicht mehr zur Krisenbewältigung taugt, wie Gauland behauptet, darf angesichts eines schärfer werdenden globalen Kampfs der Kulturen bezweifelt werden. Konsequent in der Tradition des Rechtspositivismus beurteilt Gauland das Nürnberger Kriegsverbrechertribunal wegen fehlender Rechtsgrundlagen und der Beschränkung der Anklagen auf die Sieger als „anfechtbare, zweifelhafte und symbolträchtige Maßnahme“. Er hätte noch fehlende prozessuale Rechte der Angeklagten hinzufügen können. Carl Schmitt hätte ihn daran erinnert, daß das Recht der Macht folgt. Auctoritas, non veritas, facit legem – mal mehr, mal weniger.

Die DDR ist für Gauland nur eine fremdbestimmte Episode deutscher Staatlichkeit – so weit, so richtig und erst recht im Angesicht von über eintausend Jahren deutscher Geschichte. Wohltuend wäre gewesen, das Souveränitätsdefizit der Alt-BRD nicht unerwähnt zu lassen.

Mit Erleichterung und zugleich Unverständnis für den Konkursverwalter Michail Gorbatschow wird die von der UdSSR konzedierte Nato-Mitgliedschaft Deutschlands gesehen. Ein vertraglich erzwungener Rückzug aus der militärischen Struktur des westlichen Bündnis sei Deutschland nach 1990 erspart geblieben. Richtig. Und doch: Gauland muß sich fragen lassen, warum er als bekennender Konservativer den Anschluß an Joschka Fischer sucht, wenn er äußert: „Auschwitz hat die Möglichkeit einer eigenen, vom Westen unterscheidbaren geistigen Identität Deutschlands auf lange Zeit, wenn nicht für immer ausgelöscht.“

Ist danach Auschwitz tatsächlich – wie für Fischer, Grass und andere, denen Gauland nicht nahesteht – der „Dreh- und Angelpunkt“ deutscher Geschichte? Sollte deshalb eine Sonderposition Deutschlands innerhalb oder auch außerhalb der Nato mit mehrseitigen Garan-tien 1990 nicht möglich gewesen sein?

Nun, sie war es, wurde aber verworfen, weil sie nicht im deutschen Interesse lag. Auschwitz spielte dabei keine Rolle. Interessanter ist die Frage, ob Gauland als bekennender Patriot sich für die Einheit der Nation entschieden hätte, wenn eine starke sowjetische Diplomatie diese 1990 von der Bündnisfreiheit Deutschlands abhängig gemacht hätte. Das bleibt bei Gauland offen und darf für Helmut Kohl getrost mit Nein beantwortet werden. Letztlich räumt Gauland ein, daß die Einheit ab November 1989 für alle alternativlos war: für die konsternierten Briten und Franzosen, die in anderen Dimensionen denkenden Amerikaner und die Russen, die nach einem Blutbad in der DDR offene Terrorherrschaft hätten ausüben müssen, um alles für einen zu hohen Preis nur aufzuschieben.     

Alexander Gauland: Die Deutschen und ihre Geschichte. wjs Verlag, Berlin 2009, 167 Seiten, 19,95 Euro

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