© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  51/09 11. Dezember 2009

Der strategische Sargnagel für die Sowjetunion
Mit dem Nato-Doppelbeschluß vor dreißig Jahren wurde die Entscheidung im Rüstungswettlauf festgeschrieben
Hans Christians

Vor dreißig Jahren, am 12. Dezember 1979, wurde der sogenannte Nato-Doppelbeschluß verabschiedet. Es war ein Thema, welches die Menschen in Sorge versetzte und der Friedensbewegung in der Bundesrepublik Deutschland ungeahnten Zulauf bescherte. Bis heute ist allerdings nicht restlos geklärt, welche Rolle die Auslandsgeheimdienste von Sowjetunion und DDR beim Erstarken der pazifistischen Gruppen spielten. Als gesichert gilt dagegen, daß die Folgen des Wettrüstens zwischen Ost und West den Grundstein für die spätere Destabilisierung der Sowjetunion bildeten. Die Proteste gegen den Beschluß fielen wohl auch deswegen so heftig aus, weil die Jahre zuvor eigentlich auf ein Ende des Kalten Krieges hindeuteten und von Entspannung geprägt waren.

Rüstungsverhandlung mit Zuckerbrot und Peitsche

Auslöser der neuerlichen Rüstungsdebatte war die Tatsache, daß die UdSSR seit 1976 damit begann, ihre auf Westeuropa gerichteten Raketen durch eine neuere Generation zu ersetzen, die eine höhere Reichweite und Zielgenauigkeit besaß und mit atomaren Gefechtsköpfen bestückt werden konnte. Als Argument galt, daß vor allem die französischen und britischen Streitkräfte die Zahl ihrer Mittelstreckenraketen mehr und mehr erhöht hätten. Die europäischen Länder, vor allem die Bundesrepublik, sahen in diesem Szenario eine neue Qualität der Bedrohung. Bundeskanzler Helmut Schmidt setzte sich an die Spitze derer, die offensiv mit dem Thema umgingen. Am 28. Oktober 1977 wies er in einer Rede in London auf die Gefahr einer unkontrollierten Aufrüstung im Bereich der Mittelstreckenraketen hin: Gelänge es nicht, diese in die Rüstungskontrollverhandlungen der Supermächte einzubeziehen, dann könne die Sowjetunion das bisherige strategische Gleichgewicht unterminieren.

Die Bundesregierung befürchtete, daß die westeuropäischen Verbündeten im Falle eines sowjetischen Erstschlags von einer amerikanischen Reaktion abhängig waren. Daß diese erfolgen würde, galt allerdings als nicht gesichert. US-Präsident Jimmy Carter lehnte es zunächst ab, dieses Waffensystem zu einem Thema bei den Verhandlungen über strategische Rüstungskontrollen zu machen. Er plante, das Problem durch eine eurostrategische Gegenrüstung lösen.

Am 12. Dezember 1979 beschloß die Nato schließlich in Brüssel die Stationierung von 108 US-amerikanischen Pershing II und 464 bodengestützten Mittelstreckenraketen. Zugleich bot sie der Regierung der Sowjetunion umgehende Verhandlungen mit dem Ziel an, nuklear bestückte Mittelstreckenwaffen völlig aus Europa zu verbannen. Sollten diese Verhandlungen scheitern, würden die Mittelstreckenraketen vier Jahre später stationiert werden.

Dieser doppelte Beschluß wurde nicht nur von der Sowjetunion, sondern auch von Kritikern in Europa als Aufrüstungsandrohung verstanden. Zu den angebotenen Verhandlungen kam es zunächst nicht, weil durch den sowjetischen Einmarsch nach Afghanistan eine neue Qualität des Kalten Kriegs erreicht wurde. Später setzte der neue US-Präsident Ronald Reagan die eher zögerliche Politik seines Vorgängers Carter nicht fort, sondern schlug eine härtere Gangart an.

Ziel der US-Verteidigungspolitik war es spätestens seit dem Jahr 1981 nicht mehr, ein Gleichgewicht herzustellen, sondern die Möglichkeit eines militärischen Siegs über die Sowjetunion zu schaffen. Diese neue Form der Politik, gepaart mit der Unnachgiebigkeit der Sowjetführung, führte dazu, daß die Verhandlungen über den Doppelbeschluß im Jahr 1983 scheiterten und die neue Phase der Aufrüstung tatsächlich in Gang kam. Das innenpolitische Klima in der Bundesrepublik verschärfte sich in dieser Zeit. Davon profitierten auf parlamentarischen Ebene vor allem die 1979 gegründeten Grünen. Innerhalb der SPD kam es zu tiefgreifenden Zerwürfnissen. Fraktionschef Herbert Wehner ging ebenso deutlich auf Distanz zu Kanzler Schmidt wie der damalige Vorsitzende der Jungsozialisten, Gerhard Schröder.

Gorbatschow nahm wieder Abrüstungsgespräche auf

Dennoch folgte die Parteimehrheit zunächst dem Kurs des Kanzlers, auch aus Gründen des Machterhalts. Denn die FDP drohte offen mit dem Bruch der sozial-liberalen Koalition, der schließlich 1982 auch vollzogen wurde. Während Anfang der achtziger Jahre in der Bundesrepublik Hunderttausende auf die Straße gingen, herrschte an den Verhandlungstischen Eiszeit. Dies sollte sich erst 1985 ändern, als Michail Gorbatschow die Macht in der Sowjetunion übernahm. Die radikalen Reformen, die der Sowjetführer einleitete, waren einem nüchternen Kalkül geschuldet.

Die wirtschaftliche Lage in der Sowjetunion war dramatisch schlecht – um eine Hungersnot zu vermeiden, mußten kurzfristig großen Weizenmengen aus den USA importiert werden. In Anbetracht dieser Tatsache bot Gorbatschow weitreichende Zugeständnisse in Abrüstungsfragen an. Im Dezember 1987 wurde schließlich der Abzug aller Mittelstreckenraketen aus Europa vereinbart, der Nato-Doppelbeschluß kam auf die Müllhalde der Geschichte. Der Nimbus der sowjetischen Unverletzlichkeit war allerdings gebrochen, der Zerfall der Sowjetunion nahm seinen Lauf.

Foto: Oskar Lafontaine als Saarbrücker Oberbürgermeister bei der Blockade des US-Raketendepots am 1. März 1983 im schwäbischen Mutlangen: Gemeinsame Empörung mit den Sowjets

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