© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  51/09 11. Dezember 2009

Antikommunismus im häßlichen Rock
Wendejahr auch am anderen Ende der Welt: Mit dem Abtritt von Augusto Pinochet endete im Dezember 1989 die autokratischste Militärdiktatur Südamerikas
Alexander O. Eret

Am 14. Dezember 1989 wurde der chilenische Präsident Augusto Pinochet Ugarte nach über sechzehn Jahren Militärdiktatur vom Volk abgewählt. Damit war nicht nur eine Ära zu Ende, sondern auch einer der prägenden Politiker Lateinamerikas entmachtet.

Der chilenische General war am 25. November 1915 in der Stadt Valparaíso an der pazifischen Küste geboren worden. So wie es in den besseren Familien des Landes üblich war, wurde auch Au-gusto von seinen Eltern für eine Offizierskarriere vorbestimmt. 1933 schloß der 18jährige Kadett die Militärakademie ab und stieg in den folgenden vierzig Jahren bis zum General auf. Von 1954 bis 1964 betätigte sich Pinochet außerdem auch pädagogisch – nämlich als Lehrer an der chilenischen Kriegshochschule. Dort gewann er allmählich Einfluß vor allem auf die jüngeren Offiziere, deren Treue sich Jahre später für Pinochet bezahlt machen sollte.

Seit 1969 war Augusto Pinochet Stabschef, und im August 1973 wurde er vom Präsidenten Salvador Allende zum Oberbefehlshaber des Heeres ernannt. Der seit 1970 amtierende Allende Gossens war der weltweit erste frei gewählte marxistische Staatspräsident. Seine entschädigungslose Enteignung von US-Kupferminen in Chile führte zur Sperrung der Westkredite und dadurch zur Verschärfung der Wirtschaftskrise, was Inflationsraten von bis zu 2.000 Prozent zur Folge hatte. Nicht zuletzt deswegen brodelte es nach 1970 immer stärker im Offizierskorps. Die Verschwörer wählten schließlich einen politisch zuverlässigen Vertrauensmann aus ihrer Mitte aus. Am 11. September 1973 putschte die Armee unter der Führung ihres Oberbefehlshabers General Augusto Pinochet und besetzte mit Panzern die Hauptstadt Santiago. Während der Erstürmung des Präsidentenpalasts wurde der kampfentschlossene 65jährige Allende durch Pinochets Truppen erschossen.

Viele politische Opfer der Militärregierung wurden unmittelbar nach dem Staatsstreich ermordet, meist nach standrechtlicher Aburteilung. Allein im Volksstadion von Santiago wurden an die 2.000 Regimegegner – offizielle Angaben dazu fehlen bis heute – zusammengetrieben und exekutiert. Drei Tage später wurde Pinochet zum Chef der Militärjunta, mit deren Hilfe er von nun an regierte. Viele geflüchtete Chilenen fanden in Europa, vor allem in der damaligen DDR unter Erich Honecker ein Exil. Dem Kommunistenhasser Pinochet erwuchs sogar eine organisierte chilenische Opposition in Ost-Berlin. Nicht zufällig fand Erich Honecker später in Santiago de Chile seinen letzten Zufluchtsort.

1974 wurde der Söldnerführer Pinochet zugleich Staatschef und regierte in den folgenden sechzehn Jahren mit eiserner Faust. Er errichtete eine Diktatur, die allein in den ersten drei Jahren über 100.000 Menschen hinter Gitter brachte. Es gab eine Pressezensur, mehrere Ausnahmezustände und seit März 1977 ein Parteienverbot. Die unterdrückte heimische Opposition hatte praktisch keine Chancen – die Repression reichten von Folter bis Verschleppung und Ermordung. In staatlich angeordneten Volksabstimmungen ließ Pinochet wiederholt seine Vormachtstellung bestätigen. Im Jahr 1978 siegte er mit 75 Prozent und 1981 mit immer noch 67 Prozent der Stimmen.

Im Wirtschaftssektor gelang es Pinochet durch wirtschaftsliberale Strukturreformen unter Regie der „Chicago Boys“ – Schüler des US-Ökonomen Milton Friedman – jedoch allmählich, die horrende Inflation auf lediglich 200 Prozent herunterzudrücken. Zu Beginn seiner Regierungszeit lebte noch ein Fünftel der Bevölkerung unter der Armutsgrenze. Kostenlose Armenausspeisungen für fast zwei Millionen Bedürftige, Beschaffung von speziellen Nahrungsmitteln für Kinder unter sechs Jahren und schwangere Frauen gehörten auch zu den ersten Maßnahmen des Diktators, die ihm in diesen Bevölkerungsteilen Popularität bescherten. Ebenso wurde ein regelmäßiges Schulessen für arme Kinder eingeführt. In den achtziger Jahren wuchs die Wirtshaft jährlich um über fünf Prozent. Zudem betrieb Pinochet eine nie zuvor gewagte Kolonisation des eiskalten Südens, bis hin in die chilenischen Gebiete in Feuerland. Im Laufe der achtziger Jahre lockerte sich allmählich das Militärregime. 1987 wurden die Oppositionsparteien wieder zugelassen. Dies führte letztlich dazu, daß der Diktator im letzten Plebiszit vom 5. Oktober 1988 mit 57 Prozent Gegenstimmen unterlag und 1990 den Weg für die christdemokratische Regierung von Patricio Aylwin Azócar freimachen mußte.

Erst Ende Januar 1998 gab Augusto Pinochet mit dem Oberbefehl der Armee auch seine letzte faktische Machtstütze auf. Die unmittelbar darauf auf Betreiben Großbritanniens unternommenen Versuche, Pinochet für die unter seiner Junta begangenen Verbrechen haftbar zu machen, führten zwar zu einer zweijährigen Untersuchungshaft unter Hausarrest in London, jedoch nicht zu einer Verurteilung. Dem Auslieferungsgesuch Spaniens wurde seitens des damaligen britischen Innenministers Jack Straw – auch auf Betreiben der USA, die peinliche  CIA-Enthüllungen aus den siebziger Jahren vermeiden wollten – nicht entsprochen, sondern Pinochet nach Chile entlassen, wo der 91jährige am 10. Dezember 2006 nach einem Herzinfarkt in Santiago de Chile verstarb.

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