© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  52/09-53/09 18./25. Dezember 2009

Die Einschläge kommen näher
Bundeswehr: Die Diskussion um den Angriff von Kundus hat sich längst verselbständigt und die Form einer Regierungskrise angenommen
Paul Rosen

Aus dem Luftschlag im afghanischen Kundus wird ein Desaster für deutsche Politik und Bundeswehr. Neue Informationen lassen den Einsatz amerikanischer Bomber zur Zerstörung von zwei Tankwagen in einem völlig anderen Licht erscheinen. Bedrohlich wird die Lage dadurch für den neuen Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU), den früheren Kanzleramtschef und heutigen Innenminister Thomas de Maiziere (CDU). Und zuletzt kommt auch Kanzlerin Angela Merkel ins Visier.

Zur Erinnerung: Die Begründung für den Luftangriff klang zunächst recht simpel: Der deutsche Oberst Klein habe die Bomber angefordert, um zwei mit Benzin beladene Tankwagen zerstören zu lassen. Die seien von Taliban entführt worden mit dem Ziel, sie als rollende Bomben ins deutsche Lager zu steuern. Da sie gerade in einer Furt festsaßen, waren sie dort ein ideales Ziel. Der frühere  Verteidigungsminister Franz Josef Jung mußte zurücktreten, nachdem bekannt wurde, daß sich wohl über hundert Zivilisten bei den Tankwagen befanden, die in dem Inferno starben. Jung hatte zunächst behauptet, es habe keine zivilen Opfer gegeben.

Schon damals waren Zweifel an dieser Version laut geworden. Sich dem deutschen Lager nähernde Tankwagen hätten sehr gut mit einem Maschinengewehr oder einer Panzerfaust bekämpft werden können. Einen weiteren Zweifel gab es damals: Warum sollten Afghanen zum deutschen Lager gehen und von den Tankwagen erzählen? Vielmehr ließen das gute Lagebild und erste Angaben von Klein den Schluß zu, daß eigene Kräfte die Lage aufgeklärt und an den Gefechtsstand gefunkt hatten.

Inzwischen ergibt sich ein völlig anderes Bild: Danach wurde der Bomben-Befehl von einem „geheimen“ Gefechtsstand einer „geheimen“ Bundeswehr-Einheit in Kundus unter Beteiligung von Spezialkräften der Eliteeinheit KSK erteilt. Ziel sei nicht die Zerstörung der Tanker gewesen, sondern die „Vernichtung“ beziehungsweise „gezielte Tötung“ von Taliban-Kräften.

Anwälte von Hinterbliebenen der zufällig an der Furt anwesenden afghanischen Zivilisten reiben sich die Hände, deutsche Staatsanwälte bereiten sich auf viel Arbeit vor. Denn die „gezielte Tötung“ von Menschen ist vom Mandat des Bundestages für den Afghanistan-Einsatz auf keinen Fall gedeckt. Klein muß damit rechnen, daß gegen ihn wegen Kriegsverbrechen ermittelt wird. Die SPD stellt bereits die Existenz des KSK in Frage.

Zwei Dinge fallen auf. Erstens: In der Bundeswehr gibt es Tendenzen zur Verselbständigung. Die Bildung von geheimen Einheiten und Gefechtsständen, die am Mandat vorbei gezielt Menschenleben vernichten, darf es in einer Parlamentsarmee nicht geben. Zweitens: Die Politik hat mit der Mandatserteilung völlig versagt. Die Entsendung von Soldaten wird in Berlin immer noch mit Entwicklungshilfe verwechselt. Zu gerne ließen sich Kanzler und Minister mit Soldaten fotografieren, die Brunnen gebohrt, Schulen gebaut und Taliban-Kinder medizinisch behandelt hatten.

Daß die Wahrheit in Afghanistan eine andere ist, als in Berlin verbreitet wird, ist seit einiger Zeit zu sehen. Die Bundeswehr befindet sich im Krieg. Im Krieg müssen feindliche Kräfte vernichtet werden. Vom Mandat her ist der Einsatz aber ein Stabilisierungsauftrag, bei dem zurückgeschossen werden darf, wenn man angegriffen wird. Daß sich die Politik selbst belügt, wäre nicht weiter tragisch, wenn die Soldaten das nicht auszubaden hätten. Deutsche Staatsanwälte müssen gegen die Soldaten ermitteln und werden Anklage erheben, weil sie dazu verpflichtet sind. Zufriedenstellend ist die Situation nicht.

Außerdem versuchen Anwälte, Zahlungen für die Angehörigen von Opfern des Luftangriffs herauszuschlagen. Die Chancen stehen so lange gut, wie die Regierung sich weigert, eine Beteiligung an einem Krieg einzugestehen. In anderen Ländern würden diese Dinge als Posse angesehen. Dort entscheiden Regierungen alleinverantwortlich über Truppenentsendungen. In Deutschland mit seiner auch im Parlament verwurzelten pazifistischen Grundstimmung ist kein Kriegseinsatz möglich. Deshalb ist der Afghanistan-Einsatz schon an sich selbst gescheitert. Politisch geht Kundus in eine größere Dimension über. Und die heißt Regierungskrise. Wenn es stimmt, daß das Kanzleramt über den Wechsel der Bundeswehr-Strategie von Stabilisierung auf „Vernichtung“ informiert war und die Mandatsveränderung am Parlament vorbei stillschweigend geduldet hat, dann ist der nächste Rücktritt fällig. Kanzleramtsminister war damals Thomas de Maiziere (CDU). Guttenberg, der mit seiner Einschätzung des Angriffs von „militärisch angemessen“ auf „nicht angemessen“ umschaltete, wird von seinem gefeuerten Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan im Fernsehen bezichtigt, von Anfang an alle Berichte über Kundus erhalten zu haben.

Wird der smarte Minister die enger werdende Schlinge wieder vom Hals bekommen? Sein „Blitzbesuch“ in Kundus verschaffte ihm keine Luft. Selbst Merkel gerät in Bedrängnis und wird sich Fragen stellen müssen, was sie von der Änderung der deutsche Strategie gewußt hat. Kurz nach dem Wahlsieg der Bürgerlichen hat sich der Wind völlig gedreht.

Foto: Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) am vergangenen Freitag in Kundus: Der Wind hat sich gedreht

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