© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  52/09-53/09 18./25. Dezember 2009

LOCKERUNGSÜBUNGEN
Neuanfang
Karl Heinzen

Das Haushaltsdefizit unseres EU-Partners Griechenland wird in diesem Jahr 12,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts entsprechen. Wären die für die Teilnahme an der Europäischen Währungsunion proklamierten „Maastricht-Kriterien“ tatsächlich relevant, dürfte dieser Wert drei Prozent nicht übersteigen. Im Falle Griechenlands erschiene es aber absurd, hier kleinlich sein zu wollen. Das Land hat schließlich diese Kriterien noch nie erfüllt und bereits seinen Beitritt zur Euro-Zone mit manipulierten Statistiken erschlichen. Für die Stabilität der Gemeinschaftswährung ist dies bislang ohne Folgen geblieben.

Etwas pingeliger müssen allerdings jene sein, die mit dem griechischen Staat in Geschäftsbeziehungen stehen, sei es, daß sie seine Schuldtitel halten, sei es, daß sie für ihn als Auftragnehmer tätig waren und nun auf die Begleichung der Rechnung hoffen. Bei ihnen dürfte die spektakuläre Herabstufung der Bonität, die die Rating-Agentur Fitch soeben vollzogen hat, Panikstimmung auslösen. Dies gilt um so mehr, als sich die griechische Misere dadurch weiter beschleunigt. Alle, die diesem Staat Geld leihen, dürften ab sofort einen Risikozuschlag verlangen, was sich wiederum in einer noch höheren Schuldenaufnahme niederschlagen wird.

Wer nun Verluste im Geschäft mit Griechenland befürchtet, hat gleichwohl kein Mitleid verdient. Es kommt vielmehr einer beinahe strafwürdigen Blauäugigkeit gleich, diesem Partner überhaupt jemals Vertrauen geschenkt zu haben. Die griechische Staatstätigkeit erschöpft sich traditionell darin, die Klientel der jeweiligen Regierung mit Beamtenstellen zu versorgen. Für etwas anderes waren schon in der Vergangenheit so gut wie keine Mittel vorhanden. Nun wird es nicht einmal mehr dafür reichen.

Und doch hat Griechenland die Chance, auf einen Schlag das Blatt zu wenden: Würde die Regierung die Staatsinsolvenz erklären, wäre damit nicht nur die eigene Misere ausgeräumt, sondern zugleich der Weg für andere Länder gewiesen, die vor ähnlichen Problemen stehen und diese nur besser zu kaschieren wissen. Unternehmen wie Staaten bietet die Insolvenz die Möglichkeit, einen konstruktiven Neuanfang in Angriff zu nehmen. Müssen Gläubiger auch Forderungen ausbuchen, so werden sie es doch zu schätzen wissen, daß sie es mittelfristig wieder mit einem soliden Geschäftspartner zu tun haben. Allerdings darf sich der insolvente Staat nicht damit begnügen, die finanzielle Schieflage zu bereinigen. Über die Schulden hinaus muß er auch die alte Verfassung abschütteln.

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