© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  01/10 01. Januar 2010

Keine planetarische Wende im neuen Jahr
Umweltpolitik: Entscheidende Punkte wurden auf der Klimakonferenz in Kopenhagen nicht behandelt / Ohne Verzicht geht es nicht
Volker Kempf

Anläßlich der Weltklimakonferenz in Kopenhagen sind Reduktionsziele für sogenannte Treibhausgase wieder einmal zu einem großen Medienthema geworden. Es gab Sondersendungen und bunte Beilagen in den Zeitungen. Die grüne Spitzenpolitikerin Bärbel Höhn verlangte im Deutschlandradio sogar eine „planetarische Wende“. Diese Forderung war erklärtermaßen dem von ihr als „echten Öko-Bestseller“ bezeichneten Buch „Ein Planet wird geplündert – Die Schreckensbilanz unserer Politik“ von Herbert Gruhl aus dem Jahre 1975 entnommen.

Von den Grenzen des Planeten Erde her denken

Die „planetarische Wende“, so ist schon auf dem Klappentext dieses Buches des damaligen CDU-Umweltpolitikers zu erfahren, sollte heißen: von den Grenzen des Planeten Erde her zu denken und zu handeln, statt sie ständig zu mißachten und sich so die Probleme von morgen einzuhandeln. Diese Forderung konnte die Uno-Konferenz trotz der zahlreich angereisten Politprominenz aber nicht erfüllen. Wer grenzenlos plündert, bereichert sich auf Kosten anderer. Von daher ist eine auf Verzicht hinauslaufende politische Ökologie vielen Staats- und Regierungschefs ein Dorn im Auge. Ausbeutungspolitik zugunsten der gegenwärtigen Generation, aber zu Lasten der jungen und künftigen Generationen kann dem Anspruch einer Hochkultur aber nicht genügen. Das hat sich durchaus herumgesprochen, weshalb allenthalben vom Klima und der Umwelt und deren Schutz die Rede ist. Aber viel geschützt ist durch bloßes Gerede und diplomatische Kompromißformeln noch nichts, kurzfristige Interessen – nicht nur der Wirtschaftsunternehmen, sondern auch der Wähler – wirken weiter.

Der große Ruck ist in Kopenhagen nicht durch die Reihen der Vertreter der versammelten Nationen gegangen. Zu sehr wurde nur auf technischen Umweltschutz, die Reduktion des Kohlendioxids (CO2) und Scheckbuchdiplomatie gesetzt. Währenddessen lassen nicht nur die Schwellenländer ihre Wirtschaft wachsen und gedeihen, sondern die Weltbevölkerung soll laut Uno-Prognosen in vierzig Jahren auch noch die Neun-Milliarden-Grenze übersteigen. Das wäre ein Zuwachs von 50 Prozent seit Beginn dieses Jahrhunderts.

Kommt es, wie der Chef des Max-Planck-Instituts für demographische Forschung, Joshua Goldstein, in seinem Aufsatz „The End of Lowest-Low Fertility?“ (Population and Development Review, Ausgabe 12/09) meint, zu einer wieder steigenden Geburtenrate in den zivilisatorisch anspruchsvollen Ländern? Und gibt es womöglich noch eine überkompensierende Zuwanderung in ebendiese Staaten? Sollte Goldstein recht haben, dann könnte zwar die Krise der Gesetzlichen Rentenversicherung vielleicht weniger dramatisch verlaufen als von den Anbietern privater Altersvorsorge prognostiziert.

Dennoch ist ein Wiederanstieg der Geburtenrate samt der Bevölkerungsexplosion in den Entwicklungsländern ein ökologisch höchst problematischer Vorgang – gemäß den vorherrschenden Theorien auch für das Weltklima. Leute wie Gruhl oder der ebenfalls früh verstorbene Psychiater und Wissenschaftspublizist Hoimar von Ditfurth haben diese Sachverhalte schon vor Jahrzehnten klar ausgesprochen. Aber selbst die Grünen und sogar ihre einstige konservative Abspaltung Ökologisch-Demokratische Partei (ÖDP) zieren sich, die Bevölkerungsentwicklung unter ökologischen Vorzeichen zu thematisieren. Was soll man dann erst von anderen Parteien erwarten?

Aktionismus und viel Symbolpolitik

Die „planetarische Wende“ kann man sich fürs neue Jahr wünschen, aber aktiv herbeigeführt wird sie nicht, auch nicht auf der nächsten UN-Umweltkonferenz. Das heißt allerdings nicht, daß es sinnlos wäre, den Kurs der Umweltpolitik durch viele Einzelmaßnahmen wenigstens ein paar Grad zu verändern. Da von solchen internationalen Mammutveranstaltungen wie in Kopenhagen außer geduldigem Papier wenig zu erwarten ist, ist eine freiwillige Konsumzurückhaltung der wichtigste Beitrag der Verbraucher zu einer kleinen Kurskorrektur. „Weniger ist mehr“, lautet das Motto hierfür. Aber noch nie waren etwa die Kinderzimmer so voll mit (zum Teil sogar gesundheitsschädlichen) Spielzeugen wie heute. Billigstpreise aus China & Co. machen es für alle erschwinglich.

An seinem Lebensende 1993 sah Gruhl keine „planetarische Wende“, sondern nur „Die Karawane der Blinden“ weiterziehen – jener, die meinen, wer plündert und den Reichtum verteilt, beglücke die Welt, ohne zu merken, daß vor allem die Zukunft verspielt wird. Auch von Ditfurth fragte sich vor nunmehr 25 Jahren, wie man die Lage ohne Resignation erträgt, und bemühte Martin Luthers Bild vom Pflanzen von „Apfelbäumen“ – es sei soweit.

Durch Höhns neuerliche Lektüre des Umweltklassikers „Ein Planet wird geplündert“ kann die deutsche Umweltdiskussion immerhin an Klarheit und Schärfe gewinnen, da sie sonst von leeren Versprechungen und Aktionismus gekennzeichnet ist, aber die wichtigen Parameter aus dem Blick verliert. Das sind gleichwohl hohe Ansprüche, welche zu erfüllen den „verkabelten Konsumtrotteln“ (Gruhl) immer schwerer fällt. Das ist ein Menetekel, das Kulturphilosophen wie Günter Rohrmoser ebenfalls aufziehen sahen und daher eine Kulturrevolution für um so dringlicher hielten.

Vor 25 Jahren erschien die Erstauflage eines anderen Klassikers der Umweltliteratur – Hoimar von Ditfurths „So laßt uns denn ein Apfelbäumchen pflanzen“.

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