© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  02/10 08. Januar 2010

„Die Abwracker“
Deutschland ist auf den Hund gekommen. Mit seinem neuen Buch will Hans-Olaf Henkel „auf den Tisch hauen“
Moritz Schwarz

Herr Professor Henkel, „verglichen mit dem Sturm, der uns noch bevorsteht, war die Finanzkrise nur eine leichte Bö“, heißt es in der Ankündigung zu Ihrem neuen Buch „Die Abwracker. Wie Zocker und Politiker unsere Zukunft verspielen“. Was droht uns noch?

Henkel: 2008 hat uns bekanntlich nur eine Auswirkung der US-Immobilienblase getroffen. In meinem Buch zeige ich auf, daß wir allerdings fleißig dabei sind, eigene Blasen zu züchten: die Beschäftigungsblase, die Sozialversicherungsblase und die Schuldenblase.

Welche platzt zuerst?

Henkel: Wenn man das wüßte. Nehmen Sie etwa die letzte: Wenn es so weitergeht, ist eine Hyperinflation unausweichlich.

Kommt es wirklich so weit?

Henkel: Nun, wer profitiert am meisten von einer Inflation? Der Schuldner! Und wer ist der größte Schuldner? Der Staat!

Sie meinen, die Politik legt es darauf an?

Henkel: Die Schulden steigen und steigen, und dem Versuch, das Problem über Inflation zu lösen, wird der Staat irgendwann nicht mehr widerstehen können.

Und dann?

Henkel: So weit sollten wir es gar nicht kommen lassen. Wenn die Leute mein Buch lesen – oder die Bücher anderer Leute, die warnend die Stimme erheben, ich bin ja nicht der einzige – und wenn sie sich vor allem dann eine Politik, die unser aller Zukunft aufs Spiel setzt, nicht länger gefallen lassen, dann muß es nicht so kommen. 

Dazu schlagen Sie zum Beispiel eine „Hall of Shame“ vor, ein Pantheon der Schande, wo all jene verewigt werden, die sich mitschuldig gemacht haben.

Henkel: Im letzten Kapitel meines Buches mache ich 14 Vorschläge, wie das Verhängnis noch abzuwenden wäre, wenn wir Bürger nur endlich entschlossen aufstünden. Der 14. Vorschlag ist tatsächlich die Einrichtung einer solchen „Hall of Shame“. Bisher loben wir nur jene, die sich um unser Gemeinwesen verdient machen, sie erheben wir, bildlich gesprochen, in eine „Hall of Fame“, eine Ruhmeshalle. Schön und gut, aber warum klagen wir nicht auch jene an, die sich als schwarze Schafe erweisen? Wegen einiger, die sich bereichern, kommt die ganze Marktwirtschaft in Verruf. Deshalb sollten wir uns von diesen Leuten distanzieren, damit klar wird, daß sie nicht „der Kapitalismus“ sind.

Ex-Arcandor-Chef Thomas Middelhoff, Ex-Daimler-Chef Jürgen Schrempp und VW-Chef Ferdinand Piech empfehlen Sie dort zuerst der öffentlichen Schande aussetzen.

Henkel: Immer noch besser, als wenn unser ganzes Wirtschaftssystem verunglimpft wird. Eine Selbstreinigung würde wieder zu mehr gesellschaftlicher Akzeptanz führen.

Warum haben Sie ausgerechnet die Abwrackprämie zum Namensgeber Ihres Buches gemacht? Was drückt sie aus, das so bezeichnend ist für die politische und ökonomische Klasse?

Henkel: Erstens war diese Maßnahme einfach hanebüchener Unsinn, denn nun steht die deutsche Automobilindustrie vor einem noch größeren Loch als vor ihrer Einführung. Zweitens hat man damit die Lösung eines akuten Problems wegen einer bevorstehenden Wahl in die Zukunft verschoben. Das ist symptomatisch für viele Entscheidungen der Politik. Drittens, typisch ist auch das Verwirrspiel mit dem Namen, denn man hat sie als Umweltprämie deklariert. Man wollte uns damit weismachen, daß es sich um eine umweltpolitische Großtat handelt. Doch werden 67 Prozent des CO2-Ausstoßes im „Leben“ eines Autos nicht durch dessen Betrieb, sondern durch dessen Herstellung verursacht. Tatsächlich kann man durch das vorzeitige Abwracken von Volksvermögen Deutschland weder reicher machen noch die Umwelt schützen.

Seit November 2009 haben wir eine neue Bundesregierung. Aus bürgerlicher Sicht ist der Ballast der Sozialdemokratie abgeworfen, dafür das Zugpferd FDP vorgespannt. Jetzt müßte doch alles gut werden.

Henkel: Das hätte ich auch gedacht. Was wir aber offenbar alle übersehen haben, ist, daß es sich bei der CDU nicht mehr um eine wertkonservative Partei handelt.

Sondern?

Henkel: Sondern daß sie nach links gerutscht ist. Das kann man an drei Namen festmachen: an dem des Sozialpopulisten Horst Seehofer, des Arbeiterführers Jürgen Rüttgers und leider auch an dem der Bundeskanzlerin, die viele ihrer mutigen Aussagen vom Leipziger Parteitag 2003 zurückgenommen hat.

Jetzt, wo die SPD weg ist, zeigt die Kanzlerin also ihr wahres Gesicht?

Henkel: Vielleicht ist es noch zu früh, um abschließend zu urteilen, aber es stimmt, ich hatte geglaubt, daß viele der Entscheidungen aus der Zeit der Großen Koalition nur deshalb getroffen werden mußten, weil die Kanzlerin die SPD an der Seite hatte. Inzwischen muß ich feststellen, daß sie sich von dieser offensichtlich hat anstecken lassen.

Die CDU/CSU hat allerdings offenbar kein Problem mit ihrer Kanzlerin.

Henkel: Es ist für mich inzwischen eindeutig, daß das hohe Gut der Selbstverantwortung auch bei der Union unter die Räder gekommen ist. Schon der Begriff kommt kaum mehr vor – weder im Programm noch in den Reden. Und spätestens seit der Krise 2008 ist selbst die CDU/CSU ständig dabei, das Erhardsche Modell der Marktwirtschaft in Frage zu stellen. Nicht anders sieht es in gesellschaftlichen Fragen aus, auch dort müssen wir deutliche Verschiebungen nach links beobachten. Beispiel Betreuungsgeld: Zwar hat die Bundeskanzlerin im letzten Moment doch noch die Seiten gewechselt, aber eine Zeitlang sah es so aus, als ob sie tatsächlich die ach so selige Zeit der DDR-Kinderkrippen wiederherstellen wollte.

Selbst wenn die CDU sich als bürgerlicher Ausfall erweist, man könnte erwarten, daß die FDP ihr nun Beine macht.

Henkel: Erschreckenderweise hängt auch die FDP beim Thema Betreuungsgeld – ich denke an die Äußerungen von Cornelia Pieper – Vorstellungen aus der DDR-Zeit an. Nein, aus gesellschaftspolitischer wie auch aus wirtschaftspolitischer Sicht ist die schwarz-gelbe eher eine sozial-liberale Koalition.

In Ihrem Buch stellen Sie fest, unsere Gesellschaft habe inzwischen die Stufe des Neosozialismus erreicht.

Henkel: Allerdings muß man einräumen, das gilt nicht für alle Politikfelder. Für die Meinungsfreiheit setzte sich die FDP vehement ein, ebenso wie gegen einen übertriebenen Überwachungsstaat und für eine geringere Steuerbelastung, auch das sind immerhin Gradmesser für die Freiheit.

Im Oktober 2009 haben Sie öffentlich und engagiert für Bundesbankvorstand Thilo Sarrazin Partei ergriffen (JF 44/09), der nach Interview-Äußerungen zu Einwanderung und Integration heftigen Angriffen ausgesetzt war.

Henkel: Ich habe das getan, weil ich die intoleranten Reaktionen auf Herrn Sarrazins Äußerungen erschreckend fand. Mir ging es so wie offenbar der großen Mehrheit der Deutschen, die laut Umfragen seine Erfahrungen und Ansichten teilen.

Wenn das die Situation ist, ist die FDP mit ihrem Kampf für die Meinungsfreiheit nicht sehr erfolgreich. Sind Sie sicher, daß die Liberalen diesen Kampf tatsächlich führen und nicht nur behaupten, dies zu tun?

Henkel: Sie müssen zugeben, daß es doch immerhin ganz erstaunlich war, wer sich alles für Herrn Sarrazin eingesetzt hat, etwa Ralph Giordano oder Henryk M. Broder.

Beide allerdings keine FDP-Politiker.

Henkel: Was Herr Sarrazin gesagt hat, hätte früher eine viel höhere Welle der Empörung in der großen Politik ausgelöst. Das aber ist nicht passiert. Ich vermute, die Politik merkte, daß Sarrazin die Mehrheit hinter sich hatte, und man wollte die eigene Popularität nicht beschädigen.

Ist das jetzt die gute Nachricht?

Henkel: Irgendwie ja. Zwar gab es immer noch zu wenige, die ihn öffentlich unterstützten, aber das Bemerkenswerte ist doch, daß keine großen Namen ihn kritisierten.

Am Ende wurde Sarrazin doch strafversetzt.

Henkel: Ich habe diese Reaktion des Bundesbankpräsidenten Axel Weber für kindisch gehalten und tue es noch.

Stehen Sarrazin und Sie nicht im Grunde vor dem gleichen Problem: der unsichtbaren Mauer der Political Correctness in Deutschland?

Henkel: Ja und nein. Bei meinen wirtschaftspolitischen Themen stehe ich vor dem Problem, daß die Leute nicht genug Allgemeinwissen haben oder durch sozialpolitischen Populismus ganz bewußt irregeleitet worden sind. Die Political Correctness, die stillschweigende Einigung, gewisse Themen zu tabuisieren, ist ein anderes Problem. Sage ich zum Beispiel bei einem Vortrag, es gibt nach meiner Erfahrung – und ich bin ja schon viel herumgereist in meinem Leben – keine Demokratie auf der Welt, in der die Parteien so mächtig sind wie bei uns, dann nickt man mir zu, allerdings stumm, denn es stimmt zwar, aber man sagt so etwas natürlich eigentlich nicht so laut. Füge ich hinzu, es gebe folglich auch keine Demokratie, in der der Bürger so wenig zu sagen hat wie bei uns, so ernte ich plötzlich Empörung. Dabei ist der zweite Satz nur die unvermeidliche Folge des ersten Satzes, den man eben noch benickt hat. Das zum Beispiel ist Political Correctness, die Macht der Parteien in Deutschland ist tabu.

„Die Abwracker“ ist Ihr sechstes Buch. Wie viele müssen Sie noch schreiben, bis sich etwas in Deutschland grundlegend ändert?

Henkel: Ich glaube, das ist eine müßige Frage. Der Aufklärungsbedarf in Deutschland ist riesengroß, und ich fühle mich einfach verpflichtet aufzuklären, weil ich sehe, wie notwendig das ist. Dazu schreibe ich Bücher, leiste ehrenamtliche Arbeit, etwa früher als BDI-Präsident oder als Präsident der Leibniz-Gemeinschaft, heute als Vorstand im Konvent für Deutschland oder Professor an der Universität Mannheim, und ich gehe – wenn sich niemand anderes findet – in die Talkshows, um gegen den Trend der Meinungen in den deutschen Medien anzubürsten. Und das werde ich wohl bis zum letzten Atemzug tun.

Sie haben gesagt, „Die Abwracker“ sei Ihr bisher aggressivstes Buch.

Henkel: Ja, denn inzwischen muß auch mal mit der Faust auf den Tisch geschlagen werden.

Im Grunde schreiben Sie doch immer das gleiche Buch, zwar behandeln Sie jeweils einen anderen Stoff, aber am Ende kommen Sie immer zum gleichen Problem. 

Henkel: Na ja, das stimmt hier nun nicht, denn ich gehe den Ursachen und Wirkungen der Krise auf den Grund. Die hatten wir vorher nicht. Es geht mir aber immer um das Gut der Freiheit. Die Deutschen lieben die Freiheit immer weniger. Sie bevorzugen immer mehr die Gleichheit.

Egal, wie viele Offene Briefe oder Bücher Sie noch schreiben, ohne einen politischen Arm für Ihre Reformvorschläge wird sich nichts tun.

Henkel: Ich glaube, ohne unermüdliche Mahner wie Arnulf Baring, Hans-Werner Sinn, Meinhard Miegel oder den Konvent für Deutschland wäre die Lage vielleicht noch schlechter. Vermutlich hätten wir ohne deren Einmischung weder die Föderalismusreform I noch die Schuldenbremse erreicht.

Sie haben letztere selbst kritisiert.

Henkel: Ja, denn damit ist es wie mit dem Mann im Lokal, der ohne Hemmung säuft, frißt und praßt. Schließlich reicht der Ober die Rechnung. Der Gast: „Ich zahle nicht, die Rechnung übernimmt eines Tages mein Sohn.“ Der Ober: „Woher soll ich wissen, daß Ihr Sohn einmal zahlt und nicht auch säuft, frißt und praßt und die Zeche schuldig bleibt?“ Darauf der Mann: „Weil ich es ihm verboten habe!“ – So „funktioniert“ die Schuldenbremse. Und dennoch – bei aller Kritik, die man daran üben muß –, in diesem Fall hat der Bürgerwille die Politik dazu gebracht, etwas zu beschließen, was diese eigentlich nicht beschließen wollte und was ihren Handlungsspielraum in Zukunft beeinträchtigt. Das kann noch einmal wichtig werden, um eine Hyperinflation zu verhindern.

Ist es angesichts Ihrer Analyse nicht an der Zeit, mit den etablierten Parteien zu brechen?

Henkel: Nein.

Warum nicht?

Henkel: Weil man paradoxerweise zum Brechen der Übermacht der Parteien die Parteien selbst braucht. Das schreibt die Verfassung vor.

2008 haben Sie mit den Freien Wählern kooperiert, warum ist daraus nichts geworden?

Henkel: Die Freien Wähler hatten mich gebeten, ihnen Vorschläge für ihr Wahlprogramm zu machen. Warum nicht? Aber das heißt nicht, daß ich dort Funktionär werden wollte, wie Journalisten konstruiert haben.

Viele Bürger warten auf die Friedrich-Merz&Hans-Olaf-Henkel-Partei.

Henkel: Es kann sein, daß diese Partei eines Tages kommt – aber ganz sicher ohne diese beiden Personen.

Warum?

Henkel: Ich kann nur für mich sprechen. Ich könnte nie etwas sagen, an das ich nicht glaube. Und damit wäre ich für jede Partei, die immer auf Disziplin achten muß, untragbar.

 

Prof. Dr. Hans-Olaf Henkel war von 1995 bis 2000 Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) und danach Vorsitzender der Leibniz-Gemeinschaft. Geboren wurde Henkel 1940 in Hamburg. Heute berät der ehemalige IBM-Manager unter anderem die Bank of America, das größte Kreditinstitut der USA, und ist Vorstandsvorsitzender der Initiative „Konvent für Deutschland“ (siehe unten). Er veröffentlichte bereits etliche Bücher, im November 2009 frisch erschienen: „Die Abwracker. Wie Zocker und Politiker unsere Zukunft verspielen“ (Heyne). Darin zeigt Henkel auf, inwieweit die Finanzkrise in Wahrheit Folge einer Mentalitätskrise ist, die durch den Zusammenbruch von 2008 nicht überwunden wurde, sondern im Gegenteil diesen unbeschadet überstanden hat – bis zum nächsten Krach, der dank ihr bereits programmiert ist. Längst hat diese Mentalität der „Abwracker“ nicht nur die Wirtschaft, sondern auch die Politik tiefenwirksam infiziert.

Kontakt und Information: Konvent für Deutschland, Friedrichstr. 133, 10117 Berlin Telefon: 030 / 20 45 66 10, Internet: www.konvent-fuer-deutschland.de 

 

weitere Interview-Partner der JF vor akuten Problemen“

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