© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  02/10 08. Januar 2010

Hoffnungslos, aber nicht ernst
EU: In diesem Jahr soll der Europäische Auswärtige Dienst seine Arbeit aufnehmen / Geringes Ansehen und wenig Wirkung in der Welt
Arnulf Rall

Lady Catherine Ashton ist Ende vergangenen Jahres vom Europäischen Rat für das neue Amt des Hohen Vertreters der EU für Außen- und Sicherheitspolitik nominiert worden. Wenn sie wie vorgesehen in diesem Monat durch das EU-Parlament bestätigt wird, ist die Britin damit gemäß dem Lissabon-Vertrag neue „EU-Außenministerin“.

Die 53jährige Britin gilt als freundlich im Umgang, doch als außenpolitisch unbeschriebenes Blatt. Da sie nie irgendwo gewählt worden war, mußte sie durch die Ernennung ins Oberhaus geadelt werden, um unter der Blair-Regierung Staatssekretärin im britischen Bildungsministerium werden zu können. Im Oktober 2008 wurde sie als Verlegenheitslösung sogar – als Nachfolgerin für den überraschend in die Londoner Politik zurückkehrenden Peter Mandelson – EU-Handelskommissarin. In Brüssel unterschrieb sie als einzige Großtat einen schon fertigen Freihandelsvertrag mit Südkorea. Ansonsten fiel sie nur dadurch auf, daß sie sich im Gegensatz zu ihrem Vorgänger nicht mit den Franzosen zerstritt.

Diese harmlose Lady soll nun die gemeinsame Außenpolitik der EU in Gang setzen, von der Schwergewichte wie der vormalige Nato-Generalsekretär Javier Solana zehn Jahre lang nur mühsam den Schein wahren konnten. Von der Legitimität des Irak-Kriegs, über die Anerkennung des Kosovo, den EU-Beitritt der Türkei, der Rußlandpolitik bis hin zum Waffenembargo gegenüber China blieben und bleiben sich die 27 Außenminister und ihre Regierungschefs herzlich uneins. Der Welteinfluß des 500-Millionen-Staatenverbundes verpufft weiter ungenutzt in mühsam ausgehandelten Leerformeln, den Fototerminen der Konferenzdiplomatie und dem Füllhorn einer milliardenschweren Wirtschafts- und Entwicklungshilfe, die für jedes löbliche Ziel weltweit nach dem Gießkannenprinzip verteilt wird.

Die Führungen Indiens, Rußlands und Chinas verhehlen kaum noch ihre Verachtung für die Besuche und die Vorhaltungen der halbjährlich wechselnden EU-Troikas. China ließ im Vorjahr aus Verärgerung über Nicholas Sarkozy sogar ein Gipfeltreffen platzen. Indien bekundete, es lege keinen Wert auf ein Partnerschaftsabkommen mit der EU. Rußland drehte im Vorjahr dem Südosten der EU vertragswidrig das Erdgas ab (JF 4/09). Das alles blieb folgenlos.

Die neue US-Regierung reagiert auf den amerikanischen wirtschaftlichen Schwächeanfall nicht etwa mit der verstärkten Einbindung Europas, sondern mit der Schnapsidee der „G2“, einer Art Ko-Direktorat mit seinem Hauptgläubiger China, das alle Probleme der Welt, und in Sonderheit die der US-Schuldenpolitik, lösen soll. Doch Barack Obamas große Asienreise im vergangen Jahr brachte keine konkreten Ergebnisse (JF 48/09). Mit der Implosion der unilateralen Weltordnung durch den beschleunigten demographischen und wirtschaftlichen Niedergang der USA wäre eine gestärkte europäische Führungsrolle dringend nötiger denn je.

Hoher finanzieller Einsatz, wenig praktische Wirkung

Doch die Europäer trauten sich statt eines großen Wurfs im Vertrag von Lisabon nur einen halbgaren institutionellen Kompromiß zu. Ashton („Call me Cathy“) soll nun auch dem neuen Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD) vorstehen, der sich aus einigen Hundertschaften der nationalen Außenministerien, den bisherigen Zuarbeitern Solanas im Ratssekretariat und Kommissionsbeamten zusammensetzen soll. Letztere verwalteten bisher zumeist für die österreichische EU-Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner (ÖVP) Ausgabenprogramme in aller Welt.

Auch die 130 EU-Delegationen in aller Welt sollen übernommen werden. Da der EAD eine eigene Agentur mit eigenem Rechtsstatut werden soll, ist unklar, ob das EU-Parlament überhaupt ihr Wirken und ihren Haushalt kontrollieren darf, der bislang zur Pflege der EU-Außenbeziehungen immerhin vier Milliarden Euro im Jahr ausmacht. Die entscheidenden EU-Außenminister sind jedenfalls strikt dagegen.

Während die Rangelei um die neuen Posten – vier Stellvertreter für Ashton, etliche Generaldirektoren und die 130 Botschafterstellen – begonnen hat, wartet der Rest der Welt nicht. Selbst Spanien, das im ersten Halbjahr den EU-Vorsitz führt, verkündete, es werde sich nicht um den neuen EAD scheren und seine nationalen Präsidentschaftsinteressen (Mittelmeerpolitik, Lateinamerika) durchziehen. Wie die EU mit ihren echten außenpolitischen Herausforderungen klarkommen soll, bleibt unklarer denn je. Die Beziehungen zur Nato sind – dank türkischer Blockaden – weiter belastet. Doch das immer blutigere Abenteuer in Afghanistan erfordert einen geregelten Abzug. Die Amerikaner haben den ihrigen für Mitte 2011 terminiert  – rechtzeitig vor Obamas beabsichtigter Wiederwahl. Europäische Soldaten wären als geopferte Nachhut zu schade.

Auf die demographische Explosion der islamischen Völker Nordafrikas, der Türkei, des Nahen Ostens, Zentralasiens und des Iran und die zunehmende Gewalttätigkeit und Migrationsneigung hat Europa weiter keine Antwort – geschweige denn effektive Abwehrstrategien zum zivilisatorischen Überleben. Statt dessen wird die EU weiter eine moralisierende Ersatzpolitik betreiben: weltweite Kampagnen gegen die Todesstrafe, kostenträchtige Klimahysterien oder die weltweite Projektfinanzierung – vom Brunnenbohren bis zu den Frauenhäusern. Von solchen gutmenschlichen Herzensanliegen lebt mittlerweile eine kleine Armee einschlägiger Entwicklungs- und NGO-Betroffenheitsspezialisten weltweit ganz gut.

Der EAD und Cathy Ashton werden damit die zunehmende Irrelevanz Europas im geopolitischen Kräftespiel der Welt, das zwischen den USA, China, Rußland und Indien stattfindet, kaum beeinflussen können. Aber sie werden das Geschehen von der Zuschauertribüne aus weiterhin wortreich politisch korrekt zu bewerten wissen und weiter auf US-Geheiß ebenso verläßlich wie ziellos den Geldbeutel zücken.

Foto: Catherine Ashton: Das neue außenpolitische Gesicht Europas?

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