© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  02/10 08. Januar 2010

Schlechte Aussichten für Deutschland
Wirtschaftspolitik: Beschränkte Produktionsmöglichkeiten hemmen, Anti-Marktwirtschaft verhindert Wachstum
Bernd-Thomas Ramb

Die Bundesregierung pokert mit der Wachstumskarte. Verstärktes Wirtschaftswachstum soll im neuen Jahrzehnt nicht nur die beschlossenen und geplanten Steuererleichterungen finanzieren. Die wachstumsbedingten Mehreinnahmen sollen auch den Berg der Staatsschulden zumindest nicht weiter anwachsen lassen. Genau diese Wunschvorstellung führt zu bezifferbaren Mindestanforderungen an das dazu notwendige Wirtschaftswachstum.

Ein Minimalziel wäre, wenn allein der Schuldenstand in Relation zum erwirtschafteten Bruttoinlandsprodukt (BIP), die sogenannte Schuldenquote, eingefroren wird. Eine absolute Schuldenzunahme ist im Rahmen der Maastrichter Stabilitätspakts noch zulässig. Die Neuverschuldungsgrenze liegt bei drei Prozent des BIP. Um den Gesamtschuldenstand auf den maximal erlaubten 60 Prozent des BIP stabil zu halten, ist ein jährliches Wirtschaftswachstum von fünf Prozent erforderlich. Wird dieser Nominalwert um die Inflationsrate gekürzt – die Europäische Zentralbank toleriert eine Geldentwertung von zwei Prozent –, ist ein reales Wirtschaftswachstum von drei Prozent eine Mindestforderung.

Laut einer Prognose der EU-Kommission wird Deutschland 2010 eine Neuverschuldung von 4,2 Prozent des BIP und eine Gesamtverschuldung von 72,3 Prozent ausweisen. Dies übersteigt die Vorgaben des Euro-Paktes bei weitem. Und nach den Vorgaben der Mittelfristigen Finanzplanung soll das Defizit in den kommenden Jahren weiter ansteigen – dementsprechend wären noch höhere Wachstumsraten unerläßlich.

Doch schon drei Prozent Wirtschaftswachstum sind ein sehr ambitioniertes Unterfangen. Zuletzt konnte Deutschland 1991 eine solch hohe Rate aufweisen. In den Jahren zuvor waren sogar Wachstumsraten bis zu sechs Prozent feststellbar – allerdings nur für einen kurzen Zeitraum während der letzten echten wirtschaftlichen Hochkonjunktur zwischen 1986 und 1991. Der langfristige Wachstumstrend sinkt seit dem Ende des deutschen Wirtschaftswunders kontinuierlich gegen Null.

Während Wachstumseffekte aufgrund einer Verstärkung der Nachfrage allenfalls kurzfristig provoziert werden können, sind die langfristigen Wachstumsaussichten allein von den Produktionsmöglichkeiten bestimmt. In den siebziger Jahren glaubten die meinungsführenden Wissenschaftler noch an eine Grenze des Wachstums durch die Begrenzung der verfügbaren Rohstoffe, heute sind diese Irrtümer weitgehend ausgeräumt. Dagegen ist die – von den Menschen verursachte – Beschränkung der beiden anderen volkswirtschaftlichen Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital kaum ins öffentliche Bewußtsein gedrungen. Beide Faktoren leiden in Deutschland unter einer quantitativen und qualitativen Auszehrung.

Beim Faktor Arbeit ist der mengenmäßige Rückgang noch am geläufigsten. Die deutsche Bevölkerung schrumpft, weil zu wenige Kinder in die Welt gesetzt werden. Kinder mutieren zunehmend zum „Luxusgut“, dessen produktive Verwertbarkeit als Betrachtungspunkt verpönt ist – und von denen meist ein Exemplar zum „Konsum“ reicht. Ein Ausgleich durch Zuwanderung ist mengenmäßig nicht ausreichend steuerbar, insbesondere nicht hinsichtlich der produktiven Verwendung der Immigranten. Zumindest gilt dies für Deutschland. Nachweislich fallen mehr und mehr Einwanderer dem deutschen Sozialsystem zu Last. Sie verschärfen damit sogar das Haushaltsproblem, statt zum Wirtschaftswachstum beizutragen.

Der qualitative Aspekt des Faktors Arbeit betrifft hauptsächlich die Ausbildung. Würde die Qualität überproportional zunehmen, könnte der quantitative Ausfall dadurch weitgehend ausgeglichen werden. In Deutschland ist jedoch das Gegenteil festzustellen. Auf der polytechnischen Seite beklagen Berufsschullehrer den zunehmenden Niveauverlust. Die Hauptschulen werden als „Restschulen“ diffamiert und der überwiegende Anteil der Schüler entweder zum unbedingten Abitur gepreßt oder ohne Abschluß entlassen. Auch bei der akademischen Bildung hapert es. Massenuniversitäten mit häufig hochschul-ungeeigneten Studenten, niveaulosen Studiengängen und nicht selten ebenfalls ungeeigneten Hochschullehrern produzieren ein qualitativ wie quantitativ sinkendes Potential an akademischen Arbeitskräften, das für ehrgeizige Wachstumspläne nicht ausreicht.

Die Entwicklung des Produktionsfaktors Kapital verzeichnet ebenfalls sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht gravierende Defizite. Für eine quantitative Ausweitung wären expansive Investitionsvorhaben notwendig. Der Staat fällt diesbezüglich schon deshalb aus, weil die engen Haushalte mit dem überbordenden Anteil an sozialen Zahlungen, Schuldzinsbelastungen und anderen fixierten Konsumausgaben keinen Freiraum mehr für größere Investitionen lassen. Die privaten Investoren leiden unter der Auszehrung ihres Kapitalvermögens, weil zunehmend Kapital zur Finanzierung der Alterseinkommen abgebaut werden muß. Hinzu kommen die modische Verteufelung des „Kapitalismus“ als angeblich menschenverachtend und die Forderung, Kapital zu verstaatlichen. Damit wird Kapital „flüchtig“ und der effizienteren Nutzung durch private Entscheidungsträger in Deutschland entzogen.

Zum qualitativen Niedergang des Faktors Kapital ist nicht nur der mangelnde „Intelligenzfortschritt“ zu zählen, der unmittelbar am sinkenden Volumen der deutschen Patente erkennbar wird. Dazu gehört auch der Qualitätsverlust des Kapitalmanagements. Dubiose Pleiten großer und kleiner Firmen, die steigende Zahl von Korruptionsfällen und der vielseitig zu verzeichnende Verfall allgemeiner unternehmerischer Kultur sind Ausdruck des kapitalen Qualitätsverlusts. Dieser hat nicht zuletzt zu einer weitverbreiteten Verachtung der Marktwirtschaft schlechthin geführt.

Ohne die produktiven Kräfte des Marktes sind jedoch weder Wirtschaftswachstum zu generieren noch die Verfallsprozesse der Produktionsfaktoren zu stoppen. Eine Gegenbewegung erfordert die breite Aufklärung der Öffentlichkeit über die wahren Grenzen des Wachstums. Ein solches Vorhaben läßt jedoch die halbherzig und oberflächlich wachstumsorientierte Bundesregierung bislang nicht einmal im Ansatz erkennen.

Foto: Bierselige deutsche Jugendliche: Die Qualität des Faktors Arbeit hat sich dramatisch verschlechtert

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen