© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/10 15. Januar 2010

Auf der Suche nach dem verlorenen Konservatismus
Richtungsstreit: Eine Studie der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung versucht der Union einen Weg zum verschütteten konservativen Denken zu bahnen
Fabian Schmidt-Ahmad

Es ist ein offenes Geheimnis, daß im politischen Kampf in Deutschland der Konservatismus gerne mit Bezeichnungen wie „Rassismus“ oder „Rechtsextremismus“ in Verbindung gebracht und dadurch als politischer Faktor ausgeschaltet wird. Ermöglicht wird dies nicht zuletzt durch eine begriffliche Unschärfe. Denn was heißt eigentlich Konservatismus? Diese Frage haben auch die vier CDU-Politiker nicht beantwortet, die am Wochenende in einem Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung von ihrer Partei mehr (konservatives) Profil gefordert haben (siehe auch Seite 4).

Der Literaturwissenschaftler Philipp Hildmann, bis vor kurzem Referent für Werte und Normen und derzeit Büroleiter für Vorstandsangelegenheiten bei der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung, hat nun ein Positionspapier zur „Freiheit des konservativen Denkens“ vorgelegt, in dem er dieser Frage nachgeht.

Drei Gründe sieht Hildmann, aus denen heraus eine Beschäftigung mit dem Begriff des Konservatismus wieder notwendig erscheint. Zum einen ist mit der Globalisierung eine radikale Beschleunigung unserer Lebensverhältnisse verbunden, die eine tiefe soziale Verunsicherung entstehen ließ. Diese wird durch die Konfrontation mit dem Islam verschärft. „Die heterogenen westlichen Gesellschaften (...) empfinden sich häufig von einer offensiven islamischen Religiosität bedroht, die so selbstverständlich ein Teil des Alltags der Muslime überall auf der Welt ist, wie dies seit langem schon nicht mehr für die christlichen Religionen gilt.“

Zum anderen geschieht dieser Prozeß vor dem Hintergrund einer allgemeinen Diskreditierung „progressiv-utopistischer Träume und der libertären Gesellschaftsmodelle“, wie sie zuvor in Gestalt von sozialistischen oder marktmechanischen Vorstellungen gesellschaftsbeherrschend waren. Hier erscheint der Konservatismus zunehmend als ein sinngebendes politisches Koordinatensystem, bis hin zur abhanden gekommenen gesamtgesellschaftlichen Zielsetzung. So sei im Grunde genommen „das Fehlen eines Leitbildes noch beängstigender als der Mangel an treffenden Beschreibungen der Wirklichkeit und ihrer Entwicklungstendenzen“, zitiert Hildmann den Philosophen Vittorio Hösle.

Ein Ideenschatz wartet auf seine Entdeckung

Als letzten – eher pragmatischen – Grund zählt Hildmann für die christlichen Unionsparteien die Notwendigkeit auf, angesichts der drohenden linken politischen Mehrheit „ein klares, bürgerlich-konservatives Profil“ herauszuarbeiten. Auch sollen „heimatverbundene Patrioten, überzeugte Christen und wertbewußte Konservative“ dadurch weiterhin an die Unionsparteien gebunden werden, da ein mögliches „Vakuum im konservativen Bereich“ sonst von anderen Parteien besetzt werden könnte. „Rechts von der Union darf es keine demokratisch legitimierte Partei geben“, zitiert Hildmann die legendären und vielfach bemühten Worte von Franz Josef Strauß‘. Dennoch gibt sich Hildmann bezüglich einer Begriffsbildung skeptisch. „Noch jeder Ideenhistoriker, der sich daran versucht hat, die materialen Gehalte konservativen Denkens zu fixieren, scheiterte an diesem schwierigen Unterfangen.“ Zu vielfältig erscheinen die verschiedenen Ausprägungen von „Konservatismus“, deren Anhänger „offenbar nicht wüßten, was sie konservieren wollen“, wie Hildmann eine spöttische Bemerkung Otto von Bismarcks wiedergibt. Hildmann selbst nähert sich dem Problem durch einen kurzen Rekurs auf den britischen Politiker und Philosophen Edmund Burke, der durch seine eloquente Gegnerschaft zur Französischen Revolution als Begründer des europäischen Konservatismus gilt, und seinen französischen Kollegen François-René de Chateaubriand.

Besonderes Augenmerk legt Hildmann in seinem knappen historischen Überblick auf die Konservative Revolution in der Weimarer Republik. Im Gegensatz zur Gründungszeit der Bundesrepublik, die „ein bruchloses Anknüpfen an konservative Positionen“ in der Zeit vor dem Nationalsozialismus kategorisch ausschloß, wirbt Hildmann für einen differenzierenden Umgang, der sich nicht nur deren Schattenseiten bewußt ist. Denn dies eröffne uns „auf der Suche nach einem zukunftsgerichteten konservativen politischen Leitbild (...) die befreiende Möglichkeit, das konkrete konservative Handeln dann für jede Epoche neu an dem jeweiligen Koordinatensystem der als gültig erachteten Werte auszurichten“.

Konkret versteht CSU-Mann Hildmann darunter, in Anlehnung an Burke, einen Konservatismus, der sich durchaus in einem kontinuierlichen Wandlungsprozeß befindet, allerdings radikale Brüche ablehnt: „Evolution also, nicht Revolution.“ Wie sehr das deutsche Geistesleben unter diesen Umstürzungen der Vergangenheit gelitten hat, wird allerdings auch an Hildmanns ansonsten verdienstvoller Arbeit ersichtlich. So fehlt darin nicht nur der Bezug auf Friedrich von Gentz, der als bedeutender Rezipient Burkes zum Begründer des deutschen Konservatismus wurde, sondern überhaupt der Anschluß an deutsche Denker, die gerade diesen Gedanken einer harmonischen, gesetzmäßigen Sozialmetamorphose – in Abgrenzung zu den Gewaltexzessen absoluter Machbarkeit in Frankreich – entwickelten. Hier liegt ein beeindruckender  Ideenschatz vergraben, den zu entdecken Künftigen noch vorbehalten ist.

Philipp W. Hildmann: Von der Freiheit konservativen Denkens. Grundlagen eines modernen Konservatismus. Hanns-Seidel-Stiftung e.V., München 2009, geheftet, 36 Seiten. Kostenfrei zu bestellen unter 089/12 58 263 oder im Internet unter www.hss.de

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