© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/10 15. Januar 2010

Der Doppelpaß ist keine Schnapsidee
Südtirol: Diskussionen um die Zukunft des Grenzlandes gehen auch nach dem Ende des Andreas-Hofer-Jahres weiter / Ablehnung in Österreich
Martin Schmidt

Das Jahr 2009 endete in Südtirol mit hitzigen Diskussionen, wie sie schon die vorangegangenen Monate geprägt hatten: nämlich über die staatspolitische Zukunft des nach dem Ersten Weltkrieg an Italien gefallenen österreichischen Grenzlandes an Etsch und Eisack. Angefacht wurde die Debatte durch den Nordtiroler Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP). Dieser wandte sich in einem Interview mit der Südtiroler Tageszeitung Dolomiten vom 24. Dezember gegen den Vorschlag einer österreichisch-italienischen Doppelstaatsbürgerschaft für alle jene seiner alteingesessenen Landsleute südlich des Brenners, die diese haben wollten.

Platter, der sich als „Freund“ des in puncto Südtirol wiederholt mit antideutschen Sprüchen aufgefallenen italienischen Außenministers Franco Frattini bezeichnet, gehört zu den einflußreichsten Verteidigern des Status quo. Dieser wird allerdings zunehmend in Frage gestellt – nicht nur von den entschiedenen Selbstbestimmungsbefürwortern der Süd-Tiroler Freiheit um Eva Klotz und Sven Knoll (JF 9/09) sowie der Freiheitlichen um Pius Leitner, sondern auch aus den eigenen Reihen der in der Provinz noch allein regierenden Südtiroler Volkspartei (SVP). In diesem Zusammenhang war es bemerkenswert, daß nach Angaben der Dolomiten die beiden wichtigen SVP-Abgeordneten Siegfried Brugger und Karl Zeller betonten, ihre Partei wünsche sich ausdrücklich eine solche doppelte Staatsangehörigkeit.

Doppelpaß für Minderheiten ist kein Ausnahmefall

Der SVP-Völkerrechtsexperte Zeller erklärte, die entsprechenden rechtlichen Voraussetzungen seien gegeben und sollten im Januar oder Februar gegenüber den österreichischen Nationalratsparteien unter Beteiligung der SVP-Spitze mit Landeshauptmann Luis Durnwalder thematisiert werden. In juristischer Hinsicht sei noch eine Ausnahmeregelung im österreichischen Staatsbürgerschaftsgesetz erforderlich, für die eine Zweidrittelmehrheit benötigt werde. Außerdem hob er hervor, daß die Republik Italien den eigenen in Slowenien und Kroatien beheimateten Minderheiten bereits seit 2006 derartige Doppelstaatsbürgerschaften ermögliche und damit sogar viele kroatische Nicht-EU-Bewohner aus Dalmatien zu EU-Bürgern gemacht habe.

Darüber hinaus würden im Nationalparlament in Rom 18 ständige Sitze im Senat und in der Abgeordnetenkammer für „Auslandsitaliener“ reserviert, während die Südtiroler in Wien mit keinem einzigen festen Sitz repräsentiert sind. Der freiwillige Doppelpaß für die Südtiroler wäre laut Karl Zeller ein „Signal im europäischen Geist“ und eine deutlicher spürbare Unterstützung als die vieldiskutierte Schutzklausel in einer etwaigen neuen österreichischen Verfassung. Zudem gibt es weitere Doppelpaß-Beispiele für außerhalb der Landesgrenzen lebende Volksangehörige. So gewährt Ungarn den in Rumänien oder Serbien lebenden Madjaren den ungarischen Paß. Ebenso verfährt Rumänien mit den Bürgern Moldawiens (JF 46/09), wo sogar offen über eine Wiedervereinigung mit der Ex-Sowjetrepublik diskutiert wird.

Doch nicht nur Platter äußerte seine Ablehnung. Mit Hermann Gahr, einem weiteren Nordtiroler Abgeordneten, warnte der Obmann des Südtirol-Unterausschusses im Nationalparlament davor, eine derartige doppelte Staatsbürgerschaft würde „eine Lawine auch in anderen Ländern lostreten“. Darauf reagierte der Südtiroler SVP-Vertreter Brugger mit dem Vorschlag einer Unterschriftenaktion unter den Südtirolern, die den Wunsch seiner Landsleute nach einer Doppelstaatsbürgerschaft gegenüber Österreich mit Nachdruck unterstreichen würde.

Diese wäre, so erklärte Brugger am 7. Januar gegenüber den Dolomiten, „eine qualitative Verbesserung unseres Status als Minderheitenpartei und ein neuer Ansatz in der Südtirol-Politik, der abgekoppelt von der Parteipolitik auf breiter Ebene vorangetrieben werden soll“. Der Doppelpaß für Südtiroler wäre eine rein österreichische Angelegenheit und deshalb „absolut nicht angreifbar“, zumal Italien mit seinen Minderheiten genauso verfahre.

Während die Wiedervereinigungsbefürworter in der SVP, der Süd-Tiroler Freiheit, bei den Freiheitlichen oder beim Südtiroler Heimatbund die im Zuge des Andreas-Hofer-Jahres 2009 (JF 38/09) entbrannte öffentliche Diskussion um den Verbleib bei Italien oder den Wiederanschluß an Österreich nach 90jähriger Fremdherrschaft mit der Doppelpaß-Idee weiter anfachen wollen, streben die Mächtigen in Rom und zum Teil eben auch in Wien und Bozen danach, diese schnellstmöglich zu ersticken.

Das war schon nach dem großen Festumzug vom 20. September in Innsbruck der Fall, bei dem viele der rund 30.000 Teilnehmer – allen voran die Schützenverbände – ein unmißverständliches Bekenntnis zur Landeseinheit abgelegt hatten. Und es wird bei dem nun beiderseits des Brenners voll ausgebrochenen Streit um eine doppelte Staatsangehörigkeit der Südtiroler kaum anders sein.

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