© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/10 15. Januar 2010

Außen Demokratie, nach innen Tyrannei
Regime und Opposition im Iran: Warum ein Präventivschlag Israels das Volk nicht mehr hinter die Mullahs treiben würde
Jürgen Liminski

Im Iran vollzieht sich derzeit ein altes Gesetz jeder Revolution: Sie frißt ihre Kinder. Zwar ist im Moment noch nicht abzusehen, wie lange die revolutionäre Mahlzeit dauern und wie umfassend sie sein wird, aber anders als noch vor einem halben Jahr kann man sagen, diese Phase der Revolution hat begonnen.

Die Agonie einer Revolution beginnt, wenn die Elite, die sie bewirkt und geführt hat, in sich so tief zerstritten ist, daß Blut fließt, und zwar das Blut nicht des Volkes – das fließt immer –, sondern das Blut führender Revolutionäre. Das war so in Frankreich, das war so in Rußland und Osteuropa. Das kann auch der Tod von Symbolgestalten sein wie jetzt im Iran.

Verhaftungswellen können den Widerstand nicht brechen

Der Tod des Großajatollahs Montaseri und seine Botschaft kurz zuvor haben dem Regime einen Stoß versetzt, von dem es sich nicht erholen wird. Denn es war ein Stoß ins Herz der Glaubwürdigkeit. Montaseri hat dem Regime mit einer Fatwa, einem islamischen Rechtsgutachten, den Schleier der Legitimität weggerissen, indem er das Vorgehen des Regimes gegen die Proteste und Demonstrationen als unislamisch qualifizierte. Und nun sieht das Volk: Die Revolutionsführer sind nackt. Gegen das Volk aber, vor allem gegen seine Jugend, ist keine Zukunft zu machen.

Der französische Dichter Lamartine schrieb nach der Französischen Revolution und Waterloo, Gesetze seien kalkulierbar, aber „das Volk ist ein Element“. Das gilt auch für Revolutionen andernorts. Das Volk in Aufruhr sucht wie das Wasser seinen Weg und vernichtet wie eine Feuerwalze Fassaden und hohle Gefäße. Die Dauer der jetzigen revolutionären Phase im Iran ist deshalb nicht absehbar, weil die Proteste einen spontanen Charakter haben. Sie suchen ihren Weg. Sie sind nicht strategisch organisiert und deshalb für das Regime auch nur punktuell zu erfassen und niederzuknüppeln.

Die Verhaftungswellen, die seit einigen Wochen über das Land rollen, können den Widerstand auf Dauer nicht brechen. Er hat die kritische Masse erreicht, man kann das ganze Volk nicht dauerhaft ins Gefängnis sperren. Dreißig Jahre Diktatur haben vielleicht zwei, drei Generationen gebrochen. Die Masse der heute Zwanzig- bis Dreißigjährigen aber, die im Internet täglich Freiheit und Wohlstand im „satanischen“ Westen betrachten können, glauben nicht mehr an dieses Regime, das die Freiheit niedermacht, dessen Willkür offenkundig ist, dessen Funktionäre sich nicht an die eigenen islamischen Gesetze halten. Sie sehen die Widersprüche zwischen Wirklichkeit und Plakaten.

Diese Plakate mit den strahlenden Führern von Staat und Revolution verstellen zwar die Wirklichkeit, sind aber da. Dagegen fehlt noch die Alternative, strukturell und personell. Solange die Köpfe und das Konzept der Zukunft fehlen, so lange wird es Aufruhr und Rebellion, aber keinen Regime-und Machtwechsel geben.

Das Regime der Mullahs im Iran heute ist noch zu sehr gefestigt für einen Umsturz. Es verfügt über die Gewalt und die dazugehörenden Instrumente: paramilitärische Einheiten und den Schlüssel zu den Kasernen mit ihren Waffenarsenalen. Die Armee ist unter Kontrolle und verhält sich ruhig, die Revolutionswächter prügeln das Volk. Die Machtstruktur zeigt das gleiche Wesensmerkmal auf wie alle totalitären Regime des letzten Jahrhunderts: eine Doppelhierarchie.

Wenn sich das Volk irrt, korrigiert dies der Rahbar

Die marxistischen Regime in Rußland, Osteuropa, China, Nordkorea, Kuba, Vietnam oder Kambodscha verfügten – und tun es zum Teil bis heute – über einen administrativen Strang, der dem Befehlsstrang der Partei untergeordnet ist. Staatschef und Regierung sind Fassade. Die wirklichen Herren waren oder sind die Chefs der Partei (Lenin, Stalin, Breschnew, Mao, Deng, Kim, Castro, etc.). Sie waren nicht selten zugleich Staatschefs. Auch im faschistischen Italien unter Mussolini war das so und selbstverständlich auch in der NS-Diktatur.

In der iranischen Mullarchie ist es nicht anders. Es gibt die Regierung, den Präsidenten, das Parlament, die kommunalen Mandatsträger – alle vom Volk gewählt. Daneben existiert der religiöse Machtapparat mit dem Rahbar, dem geistlichen Führer, an der Spitze. Während die administrative Struktur im Prinzip wie eine Demokratie funktionieren soll, handelt es sich beim religiösen Apparat de facto um eine Monarchie.

Der Rahbar wurde auf Lebenszeit von seinem Vorgänger, dem Revolutionsführer Khomeini, bestimmt. Die Staatsmacht ist ihm, der Religionsmacht,  untergeordnet – und das ganz offiziell. Artikel 110 der Verfassung erlaubt dem Rahbar, sämtliche Entscheidungen und Handlungen des Staatsapparats, also auch Wahlen, zu „kontrollieren“ und auf ihre Übereinstimmung mit dem Islam zu prüfen. Dafür steht dem Religionsführer ein Rat der Weisen, der Vilayet e-faqih, zur Seite. De facto handelt es sich um eine schiitische Junta mit ihrem Diktator.

Nach außen Demokratie, nach innen Tyrannei – dieses Prinzip wird von allen totalitären Regimen des letzten Jahrhunderts angewandt. Es ermöglicht die großen politischen Lebenslügen. Angeblich bestimmt das Volk seine Regierung, aber wenn das Volk sich irrt, rückt der Rahbar den Irrtum im Sinn des schiitischen Staatsverständnisses zurecht. Es war zwar historisch immer das Volk, das eine Revolution zustande brachte, aber nicht selten wurden die Massen von einer Elite mobilisiert und in eine andere Diktatur gelenkt – die Revolutionen in Europa 1989 sind eher Ausnahmen denn die Regel gewesen. In der Sowjetdiktatur wurden die Lebenslügen mit dem Auftrag der Geschichte überhöht, die nach Marx und Lenin ja zu der Gleichheit aller führen sollte. In der Mullarchie werden sie direkt mit letzten, also religiösen Wahrheiten überhöht und begründet.

Die Revolution wurde im Namen der Endstufe des schiitischen Islam geführt, sie ist der Status vor der Wiederkunft des Religionsgründers Ali, Schwiegersohn des Propheten Mohammed, dem die rechtmäßige Nachfolge als Religionsführer aller Muslime von den Gefolgsleuten des Propheten verwehrt wurde und der schließlich im Kampf gegen diese „unrechtmäßigen“ Nachfolger des Propheten den Märtyrertod erlitt, was ja dann auch zum Schisma der Muslime führte. Mehr Rechtfertigung als der Rückgriff auf Ali und dessen Nachkommen, die zwölf Imame, ist nicht möglich. Die Macht der Mullarchie ist sozusagen auf Allah selbst zurückzuführen, mehr Totalitarismus ist in der Tat nicht denkbar.

Mit einer Demokratie, in der das Volk tatsächlich der Souverän ist, hat die Diktatur im Iran jedenfalls nur am Rande zu tun. Sie ist eine religiöse Tyrannis, die in den ersten zehn Jahren vom Revolutionsführer Ruhollah Khomeini selbst und seit dessen Tod 1989 von seinem Nachfolger Ali Khamenei ausgeübt wird. Die ersten Staatspräsidenten, Bani Sadr (1980–1981), Mohamed Radschai (nach einem Monat ermordet) und dann der spätere Religionsführer Khamenei (1981–1989) stammten alle aus der nächsten Umgebung des Revolutionsführers. Auch die Präsidenten in der Ära des zweiten Tyrannen, Ali-Akbar Hashemi Rafsandschani (1989–1997), Mohammed Khatami (bis 2005) und  Mahmud Ahmadinedschad (seit 2005) sind regimetreue Anhänger des Revolutionsführers.

Die führenden Köpfe des Widerstands heute – Mir Hussein Musawi und Mehdi Karrubi und vor allem Mohammed Khatami – stammen aus denselben Kreisen. Sie sind an einem Umsturz oder einer Revolution nicht interessiert. Sie wollen nur einen Cliquenwechsel innerhalb des Regimes, sie wollen an die Tröge der Macht, von denen sie schon gekostet haben, Musawi als Premierminister von 1981 bis 1989, Khatami als Kulturminister, zuständig für die Einhaltung des islamischen Geistes und seiner menschenverachtenden Gesetze. Sie verkörpern aber heute schon den tiefen Riß, der durch die Mullarchie geht.

Israels Geheimdienst hat seine Aktivitäten verstärkt

Diese Zusammenhänge und Hintergründe sind den Israelis vermutlich bis in kleine Verästelungen bekannt. Der israelische Geheimdienst hat seine Aktivitäten im Iran in den letzten fünf Jahren erheblich verstärkt und ist damit den Nachrichtendiensten Amerikas und Europas um Längen voraus. Washington ist in der Region schon traditionell schwach. Für die Regierung in Israel – ganz gleich, ob rechts oder links – ist klar, daß man die Worte Ahmadinedschads, des Diktators von Mullahs Gnaden, ernst nehmen muß, so wie die Worte Hitlers ernst zu nehmen waren.  In Israel gibt es keine Daladiers und Chamberlains, die findet man in Europa und Amerika. Auch Peking und Moskau haben ihre eigene Agenda.

Für alle Politiker von Rang in Israel gilt deshalb die existentielle Annahme: Dieses Regime würde die Atombombe nutzen. Das Kalkül der Mullahs ist einfach: Eine Bombe genügt, um Tel Aviv und weite Teile Israels auszulöschen. Selbst wenn die israelischen U-Boote im Mittelmeer noch einen Vergeltungsschlag führen würden, stünden den vier bis fünf Millionen toten Israelis vielleicht sieben oder zehn Millionen tote Iraner gegenüber. Es blieben mindestens 65 Millionen Iraner übrig – genug, um die Vorherrschaft in der Region zu sichern. Israel aber wäre vernichtet. Dazu wird es nicht kommen.

 Israel wird, notfalls ohne die USA, einen Präventivschlag führen und kann sich dafür auch der Zustimmung in Riad, Kairo und am Golf sicher sein. Die Wahrscheinlichkeit für diesen Schlag wächst. Die wohlfeilen Warnungen aus den lauwarmen Politikerstuben Europas, damit würde man das Volk wieder mit dem Regime solidarisieren, sind eine Fehlannahme ängstlicher Diplomaten. Auch das Volk im Iran kann rechnen: Ein Präventivschlag verhindert die Vergeltung und rettet Millionen Iraner, er nutzt dem Volk. Kein Präventivschlag dagegen nutzt nur dem Regime.

So blind ist die iranische Jugend nicht, daß sie lieber die Atombombe will als ihre Freiheit. Das Regime dagegen sieht im Streben nach der islamischen Bombe die Chance, gegen äußere Feinde zu hetzen, seine Macht dauerhaft zu festigen und die Revolution auszuweiten. Deshalb wird der Präventivschlag kommen und das Volk im Iran  weiter auf die Straße gehen.

 

Stichwort: „Revolutionswächter“

Die Armee der Wächter der Islamischen Revolution (Revolutionsgarde; Pasdaran) wurde nach der Machtübernahme Ajatollah Khomeinis in Iran installiert. Oberste Aufgabe der selbständigen, nur dem religiösen Oberhaupt verpflichteten Einheit – geschätzte Stärke: 120.000 Mitglieder – ist die Abwehr von äußeren und inneren Feinden. Diszipliniert, opferbereit und tief religiös verwurzelt, ist sie schnell zur tragenden Säule des Landes geworden. Und dies nicht nur im politischen Raum (Minister) – die Garde ist das größte Wirtschaftsunternehmen (Energie- und Infrastruktur) im Iran.

Foto: Trauerzug für den Großajatollah Montaseri (21. Dezember 2009): Tausende Oppositionelle geben dem Regimegegner das letzte Geleit

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen