© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/10 15. Januar 2010

Das Parteispektrum war bunter, als es im Westen je war
Zum Jahresbeginn 1990 gründeten sich in der DDR viele neue Parteien / Die SED und die ehemaligen Blockparteien vollzogen eine oberflächliche Wendung
André Freudenberg

Bis zum Herbst ’89 wurde das Machtmonopol der SED kaum in Frage gestellt, vor allem nicht von den sogenannten Blockparteien, die als bürgerliche Reste im sogenannten Demokratischen Block mit der Staatspartei verbunden und so politisch weitgehend neutralisiert waren. Systemkritik artikulierte sich dort nur langsam. Ein „Brief aus Weimar“ mit Forderungen nach Reisefreiheit und Rechtsstaatlichkeit, unterzeichnet von CDU-Mitgliedern der Basis, darunter auch die jetzige thüringische Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht, wurde von der Parteispitze ignoriert. Erst sehr spät, praktisch in letzter Sekunde, sprang auch die Ost-CDU voll auf den „Wendezug“ auf, und Kohl akzeptierte sie nach einigem Zögern als Partner.

Früher und wohl auch dezidierter hatte sich die Führung der DDR-Liberalen (LDPD) SED-kritisch zu Wort gemeldet: Schon im Juni 1989 äußerte sich Parteichef Manfred Gerlach im Parteiorgan Der Morgen ablehnend zum Medien- und Informationspolitik der SED. Ende September solidarisierte er sich mit der Bürgerbewegung und stellte kurz darauf das SED-Machtmonopol in Frage. Nachdem die Volkskammer am 1. Dezember den Führungsanspruch der SED aus der Verfassung strich, trat die NDPD, eine kleinere Blockpartei, aus dem Bündnis mit der SED aus und beteiligte sich an Runden Tischen. Nachdem sie bei der Volkskammerwahl nur auf 0,4 Prozent der Stimmen kam, schloß sie sich dem liberalen Bündnis Freier Demokraten an, das später in der westdeutschen FDP aufging. Einen ähnlichen Weg beschritt die Demokratische Bauernpartei (DBD), die mit der CDU fusionierte. 

Während sich die vormaligen Blockflöten neu positionierten, gründete sich eine ganze Reihe neuer Parteien. Dazu gehörten neben den eher links orientierten Bürgergruppen aus dem Milieu der Friedens- und Umweltopposition auch einige bürgerliche Neugründungen. Letztere unterschieden sich programmatisch dadurch, daß sie von einer eigenständig-reformierten DDR nichts wissen wollten, sondern sehr schnell und lautstark die deutsche Einheit einforderten. Dies traf vor allem auf die am 20. Januar 1990 in Leipzig gegründete Deutsche Soziale Union zu, die durch Fusion von zwölf konservativen Oppositionsgruppen entstand. Die CSU organisierte den Zusammenschluß und unterstützte den Wahlkampf. Die DSU trat schließlich in das bürgerliche Wahlbündnis Allianz für Deutschland ein, ebenso wie die Ost-CDU und der Demokratische Aufbruch (DA).

Strukturschwäche der SPD resultiert aus dem Jahr 1990

Dieser ging auf eine Initiativgruppe zurück, die schon im Juli des Wendejahres von überwiegend kirchlichen Mitarbeitern ins Leben gerufen wurde. Die offizielle Gründung erfolgte erst Mitte Dezember. Neben dem regimekritischen Berliner Pfarrer Rainer Eppelmann gehörte Wolfgang Schnur, der bald als Stasi-IM aufflog, zu den bekanntesten Figuren. Auch der DA schloß sich der CDU an, lediglich die DSU blieb eigenständig, auch wenn die CDU später – zum Teil mit Erfolg – versuchte, Führungspersonal von dort „abzuwerben“.

Bliebe noch das linke Lager: Aufgrund der SED-Mißwirtschaft und dem Drang nach D-Mark und Einheit waren die Linken zunächst in der Defensive. Die SED selbst, die zwar mit Massenaustritten rang und zeitweise an Auflösung dachte, konnte jedoch durch mehrmalige Umbenennungen schnell wieder Boden gutmachen. Sie überlebte nicht nur, sondern schnitt bei der Volkskammerwahl am 18. März 1990 mit 16,4 Prozent den Umständen sogar noch passabel ab. Ins Hintertreffen gerieten jene, die Reformgedanken als erste formulierten, vor allem die Akteure des im September 1989 ins Leben gerufenen Neuen Forums. Deren allgemein gehaltener, aber sehr geschickt formulierter Gründungsaufruf schlug wie eine Bombe ein und verbreitete sich rasch im gesamten Land. Die Forderung der Demonstranten lauteten dann auch bald: „Neues Forum zulassen!“ Der Wähler goutierte den Mut allerdings kaum, die Bürgerrechtsgruppen erreichten zusammen nur drei Prozent. Später vereinigten sie sich mit den westdeutschen Grünen. Die Sozialdemokratische Partei der DDR entstand ausgerechnet am 40. Jahrestag der DDR in Schwante (bei Berlin). Man war dort anfänglich strikt antikommunistisch orientiert, wenngleich der erste Vorsitzende Ibrahim Böhme als IM der Stasi enttarnt wurde. Bis heute leiden die Sozialdemokraten in den neuen Bundesländern unter organisatorischen Schwächen.

Ingesamt war das nachwendliche Parteiensystem der DDR „bürgerlicher“, weniger 68er-lastig und auch ausgewogener als das in der Bundesrepublik. Zwar gab es in Gestalt der SED-PDS eine (reform-)kommunistische Partei, aber mit der DSU eben auch eine dezidiert konservative und antikommunistische Gruppierung, die immerhin 25 Abgeordnete in der Volkskammer stellte, wo bundesdeutsche Rechtsparteien wie die Republikaner und NPD allerdings verboten waren.

 

André Freudenberg ist Autor des Buches „Freiheitlich-konservative Kleinparteien im wiedervereinigten Deutschland“ (Engelsdorfer Verlag, Leipzig 2009, broschiert, 382 Seiten, 18 Euro), siehe auch JF 34/09

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